Megastau auf der Nordsee – über 100 Containerschiffe warten
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Ein voll beladenes Containerschiff fährt auf der Nordsee Richtung Nord-Ostsee-Kanal.
© Quelle: imago/Winfried Rothermel
Ganz schön was los auf der Nordsee. Wer derzeit im Landeanflug auf den Amsterdamer Flughafen einen Blick auf die südliche Nordsee werfen kann, der sieht sie – fein säuberlich aufgereiht: Schiffe, bis hinauf nach Helgoland. Sie warten auf eine Löschung ihrer Waren in Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg.
2 Prozent der weltweiten Containerflotte
Derzeit stecken 2 Prozent der weltweiten Containerflotte vor und in den Häfen Deutschlands, Hollands und Belgiens fest, was einer Anzahl von gut 100 Schiffen entspricht, wie es vom Kieler Wirtschaftsforschungsinstituts IfW heißt.
„Für die Nordsee ist das sehr viel“, sagt IfW-Ökonom Vincent Stamer. Dabei seien die deutschen Häfen mit Hamburg an der Spitze gar nicht so stark betroffen – die meisten Schiffe lägen vor Europas größtem Seehafen Rotterdam und vor Antwerpen, der Nummer zwei, auf Reede. Das bestätigt auch ein Blick auf den Schiffsortungsdienst Vesselfinder.
Zehn Schiffe warten im Bereich der Elbmündung
Beim Hafenlogistiker HHLA, Betreiber von drei Containerterminals im größten deutschen Seehafen, werden die Sorgenfalten dennoch tiefer. „Das ist eine neue Situation, die ein einzelner Terminalbetreiber nicht auflösen kann“, so HHLA-Sprecher Hans-Jörg Heims gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Allein zehn Schiffe warten im Bereich der Elbmündung auf eine Löschung an den Terminals der HHLA.
IfW-Ökonom Stamer führt das Problem in Europa vor allem darauf zurück, dass sich die riesigen Staus vor den großen US-Häfen an der Westküste inzwischen aufgelöst haben. Dort lagen bis vor einigen Monaten teilweise mehr als 100 Schiffe auf Reede, weil die Häfen und der Hinterlandverkehr mit dem Entladen und dem Weitertransport der Waren nicht hinterherkamen. „Das Problem verlagert sich von einer Ecke der Welt zur anderen“, so Stamer. Auch vor chinesischen Häfen kommt es wegen Corona-Lockdowns immer wieder zu Staus.
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Die „HMM Algeciras“ dockt am Hafen von Qingdao in der ostchinesischen Provinz Shandong an. Inzwischen ist der Lockdown in China weitgehend beendet, Schiffe aus Shanghai sind wieder auf dem Weg nach Europa.
© Quelle: Li Ziheng/XinHua/dpa
HHLA-Sprecher Heims nennt drei Faktoren, die mutmaßlich für Rückstau im Hamburger Hafen verantwortlich sind. „Viele Logistikunternehmen haben in Voraussicht vor drohenden Lockdowns in China ihre Lager vollgemacht, hätten zudem Lagerkapazitäten und Personalbestand heruntergefahren. Dazu kommen massive Störungen in der Struktur der Deutschen Bahn, die ihren logistischen Anforderungen bedingt durch Verspätungen, Baustellen und Witterungseinflüsse nicht vollumfänglich nachkommen kann. Als dritten Grund vermute ich eine Kaufzurückhaltung der Verbraucher, vor allem Luxusgüter betreffend, sodass die Ware hier einfach liegen bleibt.“ Im Normalfall bleibt ein Container drei Tage im Hamburger Hafen. „Derzeit sind es sechs bis sieben“, so Heims, „es gibt sogar welche, die hier 30 Tage stehen bleiben“.
Um den Stau aufzulösen, führt die HHLA derzeit intensive Gespräche mit allen Beteiligten – mit Logistikunternehmen, vor allem aber mit Reedern. Die haben ein geradezu märchenhaftes erstes Quartal hinter sich: Allein die zehn größten Reedereien haben, bedingt durch den Nachholeffekt nach der Pandemie und knapp gewordene Transportkapazitäten, allein im ersten Quartal 2022 einen Gewinn von 43,1 Milliarden Dollar gemacht, was einer Verdreifachung zum sehr guten Vergleichszeitraum vor der Pandemie bedeutet.
Eine Auflösung des Staus ist bitter vonnöten. Denn frühestens sechs bis acht Wochen droht ein neuer Ansturm von Containerschiffen, die nach dem langen Lockdown vor eineinhalb Wochen endlich Shanghai verlassen konnten. Und noch ein Problem beschäftigt die Hamburger Hafenbetreiber, wenn auch im Vergleich weniger dramatisch: Im Tarifkonflikt mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist am Freitag eine letzte Gesprächsrunde angesetzt. Am Donnerstag trat die Spätschicht in Hamburg, ebenso wie die Kollegen in Emden, Bremen, Bremerhaven und Wilhelmshaven, in einen Warnstreik. Mehrere Stunden lang ruhte die Arbeit.
Das Problem verlagert sich von einer Ecke der Welt zur anderen.
Vincent Stamer, IfW-Ökonom
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