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Klimaschutz: Umweltverbände klagen gegen Shell

Gegen Raubbau an Natur und Mensch: Aktivistinnen protestieren an einer Shell-Tankstelle in Den Haag.

Gegen Raubbau an Natur und Mensch: Aktivistinnen protestieren an einer Shell-Tankstelle in Den Haag.

Kann ein Gericht einen multinationalen Konzern dazu zwingen, sein Geschäftsmodell klimafreundlicher zu gestalten? Oder, anders gefragt: Können Klimaschützer auf dem Rechtsweg den „fossilen Riesen“ wie Öl- und Kohlekonzernen gefährlich werden?

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Eine Antwort darauf gibt in der Woche nach Pfingsten das Bezirksgericht Den Haag. Am 26. Mai soll das Urteil im Prozess gegen den Ölgiganten Shell gesprochen werden. Die Umweltorganisation Friends of the Earth Nederland/Milieudefensie und 17 000 Nebenklägerinnen und Nebenkläger wollen den Ölriesen per Gerichtsbeschluss zu einem klimafreundlicheren Geschäftsmodell zwingen.

Shell dazu zwingen, Klimaziele einzuhalten

Milieudefensie-Chef Donald Pols sagte vor Prozessbeginn: „Dies ist eine einzigartige Klage mit potenziell erheblichen Konsequenzen für das Klima und die fossile Brennstoffindustrie weltweit.“ Er sei zuversichtlich, dass das Urteil Shell dazu zwingen werde, die internationalen Klimaziele einzuhalten und keinen gefährlichen Klimawandel mehr zu verursachen. Shell behaupte, voll an der Energiewende beteiligt zu sein, der Löwenanteil der Investitionen fließe aber immer noch in umweltschädliche Aktivitäten. Der Konzern sei zu lange mit „Greenwashing“ davongekommen, kritisierte Pols. Der Prozess werde „allen klarmachen, dass mehr als 95 Prozent der Aktivitäten von Shell einen gefährlichen Klimawandel verursachen.“

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Dies ist eine einzigartige Klage mit potenziell erheblichen Konsequenzen für das Klima.

Milieudefensie-Chef Donald Pols

Shell soll verpflichtet werden, seine Investitionspläne so zu ändern, dass die mit den Zielen des Pariser Weltklimaabkommens im Einklang stehen. Konkret heißt das: Der Konzern muss die CO₂-Emissionen, die durch die von ihm geförderten Erdöl- und Erdgasmengen in die Atmosphäre gelangen, bis zum Jahr 2030 (und damit bis zum Ende dieses Jahrzehnts) um 45 Prozent reduzieren und bis 2050 auf null senken. Der Paris-Vertrag legt fest, dass die Erwärmung der Erde bei „deutlich unter zwei Grad“ gestoppt werden soll.

Anklage: Verstoß gegen das Recht auf Leben

Die Kläger – neben Friends of the Earth Netherlands (Milieudefensie) auch Greenpeace und Action Aid Foundation – argumentieren, Shell gehöre zu den 100 größten konventionellen Energieunternehmen, die zusammen für mehr als 70 Prozent des CO₂-Ausstoßes seit 1988 verantwortlich seien. Der Multi allein habe 1,2 Prozent der weltweiten Treibhausgase verursacht. Damit sei das Unternehmen zusammen mit anderen für die schwerwiegenden Folgen des Klimawandels verantwortlich, die weltweit bereits spürbar sind.

Der Konzern verstoße damit gegen Artikel 2 (Recht auf Leben) und Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention.

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Der Shell-Anwalt argumentierte vor Gericht, kein Unternehmen könne „das Energiesystem im Alleingang ändern“. Shell werde sich beim Umbau seines Geschäftsmodells an der Politik der Länder orientieren, in denen der Konzern aktiv sei.

Auch auf der Jahreshauptversammlung am 18. Mai bekam Shell Druck von Klimaschützern. „Grüne“ Aktionäre brachten erneut – wie schon bei anderen Ölkonzernen – eine Resolution ein, die eine verbindliche Orientierung am Pariser Abkommen verlangt. Um das zu kontern, legte der Vorstand eine konzerneigene Klimastrategie vor: Shell soll bis 2050 zu einem klimaneutralen Konzern werden. Der Haken: 55 Prozent der CO₂-Einsparungen sollen erst nach 2035 erfolgen.

 Aktivisten protestieren vor der Shell-Zentrale in Den Haag während der Jahreshauptversammlung des Konzerns.

Aktivisten protestieren vor der Shell-Zentrale in Den Haag während der Jahreshauptversammlung des Konzerns.

Für die Klimakläger ist das längst nicht ausreichend. Und nicht nur Shell und andere Ölkonzerne stehen in ihrem Fokus, sondern etwa auch die deutsche RWE.

Mitglieder des Oberlandesgerichts Hamm reisen nach Peru

Die Mitglieder des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm werden im September nach Peru reisen und einen Gletschersee in Augenschein nehmen. Die Gletscherschmelze in den Anden – beschleunigt durch den Klimawandel – bedrohe das Land des Bauern Saúl Lliuya, eine Überschwemmung oder eine Schlammlawine könnten sein Haus wegschwemmen. Der Kohlekonzern RWE sei dafür durch seinen Anteil an den CO₂-Emissionen mit verantwortlich.

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Eine Studie der Universität Oxford, veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift Nature Geoscience, stützt die Argumente der Kläger. Erstmals konnten die Wissenschaftler eine relativ klare Kausalitätskette für eine drohende Überflutung belegen. Es sei mit mehr als 99 Prozent Wahrscheinlichkeit so gut wie sicher, dass sich der Rückzug des Palcaraju-Gletschers nicht mit natürlichen Schwankungen erklären lässt, sondern Folge des Klimawandels ist.

In den USA sind aktuell mehrere Schadensersatzklagen zunächst gescheitert, die Städte gegen Ölkonzerne auf Zahlung von Klimawandelfolgekosten angestrengt hatten. Der Oberste Gerichtshof erklärte sich für nicht zuständig, eine Klage der Stadt Baltimore gegen Shell, BP, Exxon, Chevron und andere zu behandeln. Sie wird nun vermutlich vor einem Bundesgericht entschieden. Eine ähnliche Klage der Stadt New York wurde bereits von einem Bundesberufungsgericht zurückgewiesen.

Tabakindustrie zahlte 200 Milliarden Dollar

Die Risiken für die fossilen Konzerne bleiben dennoch. Immer öfter wird der Vergleich mit der Tabakindustrie gebracht. Auch die Zigarettenhersteller sind auf einem legalen Markt aktiv. Ähnlich wie die Tabakkonzerne die Gesundheitsgefahren durch das Rauchen irreführend herunterspielten, gingen die Ölmultis mit dem CO₂-Ausstoß um. In den USA erklärten sich die Zigarettenhersteller 1998 nach einem langen Rechtsstreit einverstanden, insgesamt mehr als 200 Milliarden Dollar zu zahlen, als Kompensation für einen Teil der Kosten, die das Rauchen im Gesundheitssystem verursacht hat.

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„Der Vergleich mit den Tabakklagen ist nicht falsch“, sagt die Hamburger Rechtsanwältin Roda Verheyen. Sie führt die Klimaklage gegen RWE, sie war auch maßgeblich an der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz beteiligt. „Die Dimension des Risikos für die Konzerne ist ähnlich groß. Das sträfliche Ignorieren von Forschungsergebnissen – Gesundheitsrisiken hier, Klimawandel dort, ist ebenfalls vergleichbar.“ Doch der Vergleich hinke auch an mehreren Stellen: „Bei der Shell-Klage geht es aber nicht um Schadensersatz, sondern sie richtet sich nach vorn: Es geht um eine Verpflichtung für die Zukunft. Die RWE-Klage ist anders gelagert, da geht es um die Beeinträchtigung von Eigentumsrechten und die Kosten für Schutzmaßnahmen.“

Klimaklagen sind existenzbedrohend

Während die Tabakkonzerne die Strafzahlungen überlebt haben, könnten Klimaklagen für die fossilen Riesen existenzbedrohend sein und sogar das Potenzial haben, einen ganzen Sektor in die Pleite zu treiben. Das schreibt die Denkfabrik 2 Degrees Investing Initiative in einer bislang unveröffentlichten Studie: Nehme man den Vergleich der Tabakindustrie als Maßstab, drohten den Konzernen Schadensersatzzahlungen zwischen 38 und 82 Milliarden US-Dollar (31 bis 67 Milliarden Euro). Allein 15 bis 30 Milliarden US-Dollar (12 bis 24 Milliarden Euro) entfielen auf den BP-Konzern. In die Untersuchung sind 17 große Energieunternehmen einbezogen, darunter auch RWE.

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