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Viel Nachfrage, wenig Nachwuchs

Neue Studie: Handwerk für junge Menschen attraktiver als gedacht

Handwerker sind nicht nur am Bau in Deutschland oft Mangelware.

Handwerker sind nicht nur am Bau in Deutschland oft Mangelware.

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München. Hilmar Klink bringt seine Empfehlungen an Handwerks­betriebe prägnant auf den Punkt. „Macht mehr daraus“, sagt der Leiter einer Handwerks­studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bei deren Vorstellung. Denn die hat überraschend ergeben, dass junge Menschen dem Handwerk weit offener gegenüberstehen, als viele Unkenrufe das behaupten. So würden sie eine duale Ausbildung im Handwerk als genauso attraktiv einstufen wie ein Unistudium, hat IW ermittelt. Vor allem Arbeitsplatz­sicherheit und der Umstand, dass im Handwerk konkrete Probleme gelöst werden und es eine sinnhafte Arbeit sei, werde unter jungen Menschen geschätzt.

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214 von ihnen hat das IW im Auftrag des Bausanierungs­spezialisten Isotec und dessen Chefs Horst Becker bundesweit befragt. Dazu kamen 248 Handwerks­betriebe, deren Selbst­einschätzung deutlich negativer ausfiel als die potenzieller Lehrlinge. „55 Prozent der Betriebe sagen, das Handwerk ist nicht attraktiv“, erklärt Klink. Mit einer solchen Haltung sei es schwer, neues Personal zu gewinnen, findet Becker und fordert eine professionellere Ansprache.

Warum bleiben so viele Stellen im Handwerk unbesetzt, Herr Dittrich?

Am 16. September ist Tag des Handwerks. Im RND-Interview spricht Handwerks­präsident Jörg Dittrich über die aktuelle Lage in den Betrieben und ihre Sorgen vor der Zukunft. „Wir müssen jetzt handeln“, sagt er.

Betriebe müssten ihre Stärken betonen und auch moderne Kommunikations­wege wie soziale Medien beschreiten, um junge Menschen anzusprechen, unterstützt das Klink. Die Studie habe einige Punkte enthüllt, wo die Realität im Handwerk die Erwartungen von Menschen am Anfang ihres Berufslebens sogar übererfüllt. Neben Jobsicherheit und sinnhafter Tätigkeit seien das Teamwork oder gleiche Bezahlung für Frauen und Männern.

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Wie man bei der Mitarbeiter­gewinnung auf sich aufmerksam macht, zeigten erfolgreiche Vorbilder, betonen der IW-Forscher und Isotec-Chef. Da treten Handwerks­influencer auf Instagram, Tiktok und Co mit werbenden Darstellungen des Handwerker­alltags auf. Auch eine niederschwelligere Außendarstellung in Form des eigenen Auftretens sei wichtig, findet Becker. Seine Kollegen müssten mehr von Aufstiegs­chancen und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung sprechen als von Problemen. „Ziel muss sein, der geilste Arbeitgeber der Region zu werden und eine Willkommenskultur für Handwerker zu schaffen“, regt der Isotec-Gründer an.

Viel Nachfrage, wenig Nachwuchs

Derzeit verharre das Handwerk in einem Attraktivitäts­dilemma, konstatiert Klink. Das bestehe darin, dass Handwerker­leistungen zwar immer mehr nachgefragt würden, der Nachwuchs seit Jahren aber schmilzt. So sei die Zahl der in Deutschland abgelegten Meister­prüfungen binnen zwei Jahrzehnten von 9,3 auf 6,9 Millionen jährlich gefallen, auch weil von vier Lehrlingen statistisch nur einer bleibt. Ähnlich rückläufig entwickle sich die Zahl neu gegründeter Handwerks­betriebe.

Zwei Seiten des Handwerks

Das Handwerk ist volkswirtschaftlich sehr bedeutend. Etwa eine Million Betriebe beschäftigen in Deutschland 5,6 Millionen Menschen. Das sind über 12 Prozent aller Berufstätigen. Dazu kommt mit zuletzt rund 350.000 Auszubildenden gut ein Viertel aller Azubis bundesweit überhaupt. Mit 285 Milliarden Euro Branchenumsatz steht das Handwerk auch für gut 8 Prozent der Brutto­wertschöpfung in Deutschland. Demgegenüber stehen immer größere Probleme bei der Nachwuchsgewinnung. Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die Zahl von Engpassberufen im Handwerk binnen vier Jahren von 56 auf 68 gewachsen bei insgesamt 177 Handwerks­berufen. Von 138.000 bei der BA als offen gemeldeten Handwerks­stellen gehen gut 80 Prozent auf diese Engpassberufe zurück. Aktuell sind über 30.000 Lehrstellen unbesetzt.

Mängel bestünden vielfach nicht nur in der Selbst­darstellung und Ansprache des Nachwuchses, betont Klink. So mangle es an flexiblen Arbeitszeit­modellen, dem Einsatz neuer Digital­technologien oder Weiterbildungs­möglichkeiten. Auch Gehalts­vorstellungen gingen oft auseinander bei im Schnitt 3100 Euro Bruttogehalt für einen Handwerks­gesellen. „Gehalt ist ein großes Thema, hier müssen wir deutlich nachlegen“, räumt Becker selbstkritisch ein.

Während es sich drei von zehn Befragten vorstellen können, im Handwerk zu arbeiten, tut es aktuell nur einer von zehn. Das zeige das Potential für Verbesserungen, sagt Klink. Auch die Politik könne dabei helfen. Er und Becker regen dazu unter anderem eine Transfer­prämie für Studien­abbrecher an, um die damit für das Handwerk zu gewinnen.

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Neben einem Azubibafög nach Vorbild des Hochschul­bafögs fordern sie eine Entbürokratisierung speziell bei der Gründung neuer Handwerks­betriebe. In Schulen müsse zudem mehr als bisher für Handwerks­berufe geworben werden. Denn entscheidend dafür, dass zu wenig junge Menschen einen Handwerks­beruf wählen, sei das Unwissen über dortige Möglichkeiten, so die Studie.

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