Inflation steigt so hoch wie seit 1993 nicht mehr – das sind die Gründe

Geldscheine liegen auf einem Tisch.

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Frankfurt. Das Statistische Bundesamt meldete am Montagnachmittag, dass die Inflationsrate im August nach vorläufigen Zahlen um 3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen ist. Das ist der höchste Wert seit 28 Jahren. Die Wiesbadener Statistiker sprechen „von einer Reihe von Gründen”. Dazu gehören zahlreiche Sondereffekte: So wurden 2020 die Preise durch eine die temporäre Mehrwertsteuersenkung gedrückt, die inzwischen ausgelaufen ist.

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Eine weitere Ursache sind Lieferengpässe für eine ganze Reihe von Rohstoffen und Vorprodukten für die Industrie. Auch kletterten die Preise für Rohöl deutlich. Bei Strom und Gas gab es spürbare Aufschläge. Hier schlug die Anfang des Jahres eingeführte CO2-Bepreisung durch. Gleiches gilt für Kraftstoffe.

Es setzt sich eine Tendenz fort, die Volkswirte seit mehreren Monaten beobachten. Diese Entwicklung hat viel mit der unerwartet schnellen Erholung der globalen Wirtschaft nach den massiven Lockdowns zu tun. Die Nachfrage nach einer großen Zahl von Gütern hat sich in China und den USA, den beiden größten Volkswirtschaften, so stark erhöht, dass für Europa vielfach nur wenig übrig bleibt und sich vielfältige Lieferengpässe auftun.

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Kaufkraft trotz Corona hoch

Besonders krass ist die Lage bei Computerchips für Autos. Die Folge: Autobauer können gar nicht so viele Fahrzeuge bauen, wie die Kundschaft haben will. Das CAR-Institut von Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer hat errechnet, dass ein neuer Pkw im August im Schnitt 180 Euro teurer als im Vormonat war. Das bringt den hiesigen Konzernen (Volkswagen, BMW, Daimler) höhere Gewinne. Ähnlich günstig ist die Lage bei vielen anderen Unternehmen, die im Leitindex Dax, notiert sind.

Alles in allem seien Umsätze und Gewinne schon im zweiten Quartal so hoch wie niemals zuvor gewesen, teilt die Beratungs- und Prüfungsgesellschaft EY mit. Die Nachfrage übersteige in vielen Bereichen das Angebot deutlich, so dass sich für einige Unternehmen „ein außerordentlich günstiges Preisumfeld ergibt”, betont denn auch EY-Deutschland-Chef Henrik Ahlers. Die Erlöse der Firmen wachsen also deutlich stärker als die Kosten für Material, Rohstoffe und Vorprodukte.

Möglich ist der Boom, weil die Kaufkraft der Konsumenten trotz Corona hoch ist. Und dies hat viel mit den staatlichen Hilfen für Unternehmen und auch den großzügigen Kurzarbeitergeld-Regelungen für Beschäftige in vielen europäischen Ländern zu tun. Zugleich sind laut Destatis die Tariflöhne im zweiten Quartal mit 1,9 Prozent geringer als die Inflation gestiegen. Dies dürfte sich seither fortgesetzt haben. Auch deshalb fordern etwa die Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst der Länder (außer Hessen) fünf Prozent mehr Geld.

Ökonomen warnen vor Lohn-Preis-Spirale

Hier deutet sich ein Mechanismus an, vor dem zunehmend mehr Ökonomen warnen: Die sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Also ein wechselseitiges Hochschaukeln, das nur schwer zu kontrollieren ist, wenn es erst einmal Fahrt aufgenommen hat. Sebastian Dullien, Chef des gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstituts IMK, sieht diese Gefahren nicht. Er sprach am Montag von vorübergehenden Phänomenen. Schon im Januar 2022 werde die Inflation deutlich nachgeben. Mittelfristig werde sie sich wieder um die zwei Prozent oder darunter einpendeln, also bei dem Inflationsziel EZB.

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Der Spitzenkandidat der Partei Die Linke, Dietmar Bartsch, sprach derweil von einem „Inflationshammer” und forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. „Geldentwertung in diesem Ausmaß ist ein Lohn- und Wohlstandsfresser und Sozialabbau durch die Hintertür”, sagte Bartsch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir brauchen eine Inflationsbremse, die an vielen Stellen ansetzt und gegensteuert. Zum Beispiel beim öffentlichen Verkehr oder bei den Energiekosten, wo der Staat vielfach als Preistreiber agiert”, so Bartsch weiter.

So müsse der Nahverkehr deutlich billiger werden. „Die Verteuerungen zum Beispiel beim Heizen kann und muss die Politik zurücknehmen und durch eine Klimapolitik ersetzen, die effektiv und bezahlbar ist”, forderte Bartsch, der auch Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag ist.

Notenbanken halten an Strategie fest

EZB und US-Fed halten bislang indes an ihrer ultralockeren Strategie fest – mittels Nullzinsen und Anleihekäufen in großem Stil, wodurch gigantische Mengen Geldes in die Wirtschaft gepumpt werden. Fed-Chef Jerome Powell hat Ende voriger Woche aber angedeutet, dass die Zügel in den nächsten Monaten angezogen werden könnten.

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EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat bislang beharrlich darauf hingewiesen, dass die Pandemie noch nicht überwunden sei und deshalb auch das zusätzliche Corona-Kaufprogramm für Anleihen unvermindert fortgeführt werden müsse. Auch sie betrachtet die hochschießende Inflation als kurzfristiges Problem.

Der einflussreiche Chef der französischen Zentralbank, Francois Villeroy de Galhau, auch Mitglied des EZB-Rats, hat allerdings gerade in einem Interview darauf hingewiesen, dass es derzeit „günstige Finanzierungsbedingungen” in der Euro-Zone gebe. Beobachter werten dies als Hinweis darauf, dass demnächst zumindest die Geschwindigkeit der Anleihekäufe reduziert werden könnte. Der EZB-Rat entscheidet darüber am Donnerstag in der nächsten Woche.

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