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Familienstiftung stiftet keinen Frieden

Es geht um 15 Milliarden: der bizarre Streit um das Thiele-Erbe

Heinz Hermann Thiele in einem Bremsprüfstand des Werkes in München.

Heinz Hermann Thiele in einem Bremsprüfstand des Werkes in München.

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Berlin. Zu Lebzeiten hatte sich Heinz Hermann Thiele das wahrscheinlich anders vorgestellt. Sein beträchtliches Erbe von mindestens 15 Milliarden Euro sollte nach seinem Tod so eingesetzt werden, dass die Familie ordentlich weiter wirtschaften kann. Eine Familienstiftung hielt Thiele für eine sinnvolle Idee.

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Hier sollten die Mehrheitsanteile an seinen Industrieunternehmen verwaltet werden, damit sie nicht veräußert werden können. Thiele hatte 1989 den in Schieflage geratenen Bremssystemehersteller Knorr-Bremse endgültig erworben und machte ihn zum Weltmarktführer. Nach 2013 übernahm er die Mehrheit am Bahntechnikhersteller Vossloh, außerdem hielt er lange Zeit große Anteile am Lufthansa-Konzern.

Dem knorrigen Selfmademan Thiele gelang in seiner Laufbahn nahezu alles. Den geordneten Übergang, den er sich so sehr wünschte, schaffte der Unternehmer jedoch nicht. Als er im Februar 2021 im Alter von 79 Jahren starb, begann bald ein heftiger Streit um das Vermögen und wie es eingesetzt werden sollte. Thiele hatte zwar seinen Stiftungsgedanken hinterlegt – allerdings ohne eine detaillierte Regelung.

Familienstiftung genehmigt

Seitdem streiten sich Thieles Tochter Julia Thiele-Schürhoff (52) sowie ihre Stiefmutter, Thieles zweite Ehefrau Nadia Thiele (47), darum, wer beim Erbe das Sagen hat. An den Auseinandersetzungen beteiligt ist auch Thieles Steuerberater und Testamentsvollstrecker Robin Brühmüller, dessen Vater schon eng mit dem Unternehmer zusammengearbeitet hatte.

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Thiele hatte in Grundsätzen für die Stiftung festgelegt, dass sein Vertrauter Brühmüller im Vorstand der Stiftung neben einem Familienmitglied und einer Person aus der Wirtschaft Platz nehmen soll.

Nun, zwei Jahre nach dem Tod des Patriarchen, ist die Stiftung gegen den Widerstand der Witwe Thieles durch die Genehmigung der oberbayerischen Regierung an den Start gegangen. Nadia Thiele ist dort nicht vertreten, obwohl es lange geheißen hatte, sie würde zumindest im Beirat sitzen.

Der 2021 verstorbene Heinz Hermann Thiele im Jahr 2002.

Der 2021 verstorbene Heinz Hermann Thiele im Jahr 2002.

Die Familie wird im Vorstand nun durch Julia Thiele-Schürhoff vertreten. „Mit der Gründung der Heinz Hermann Thiele Familienstiftung sind nun ganz im Sinne meines Vaters die Voraussetzungen für die Fortführung seines unternehmerischen Lebenswerks geschaffen“, sagte sie. Zum Vorsitzenden des Stiftungsvorstandes wurde der langjähriger Finanzvorstand und Vorstandschef der Fresenius-Gruppe, Stephan Sturm, bestellt.

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Thiele-Tochter wird Industriekapitänin

Ob der Beginn der Stiftungstätigkeit tatsächlich Ruhe in die Familie und die beteiligten Unternehmen bringt, daran zweifeln Experten. Denn während Thieles Tochter nun mit der Stiftung und ihren Milliarden eine mächtige Industriekapitänin ist, scheint seine zweite Ehefrau keinen aktiven Einfluss mehr auf das Vermögen nehmen zu können.

Dagegen hatte sie sich in den vergangenen Monaten auf mehreren Pfaden juristisch gewehrt. Die Satzung der Stiftung würde nach Ansicht der Witwe nicht dem Willen ihres verstorbenen Mannes entsprechen. In einer Klage vorm Bayerischen Verwaltungsgericht in München geht sie vor allem dagegen vor, dass Mitglieder des Stiftungsbeirats abhängig vom Testamentsvollstrecker Brühmüller sind.

Folgt man den Argumentationen der Witwe, hat Brühmüller unrechtmäßig Millionen gescheffelt – was dieser von sich weist. Hierbei geht es um die Vergütung des Steuerberaters, die laut Thieles Testament „angemessen“ sein sollte. Die entsprechenden Honorarsätze liegen bei 1,5 Prozent der Erbsumme. Die liegt bei 15 Milliarden Euro – das Honorar Brühmüllers läge damit mindestens bei 225 Millionen Euro.

Thiele-Witwe klagt mehrmals

Nadia Thiele, die anwaltlich vom früheren CSU-Politiker Peter Gauweiler und Thomas Fischer vertreten wird, läuft dagegen vor dem Oberlandesgericht München Sturm. Sie sagt, dass die Gehälter der höchsten Vorstände bei Knorr-Bremse höchstens bei 1 bis 2 Millionen Euro gelegen hätten. Ihr Mann könne solch ein hohes Honorar für Brühmüller unmöglich gewollt haben.

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Zuvor hatte sie juristisch versucht, Brühmüller als Testamentsvollstrecker absetzen zu lassen. Das Nachlassgericht lehnte dies ab, dagegen hat Nadia Thiele Rechtsmittel eingelegt. Ermittlungen wegen Betrugs gegen Brühmüller stellte die Staatsanwaltschaft, die sogar dessen Büroräume durchsuchte, inzwischen ein.

Bremsprüfstand im Werk der Knorr-Bremse AG in München.

Bremsprüfstand im Werk der Knorr-Bremse AG in München.

Dagegen will Nadia Thiele laut Medienberichten vorgehen. Sie habe Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens beim Generalstaatsanwalt eingelegt und werde auch den Anerkennungsbescheid des Regierungspräsidenten von Oberbayern für die Stiftung anfechten. Sie werde bei keiner der anhängigen Klagen nachgeben.

Thiele-Sohn fechtet Abfindung an

Doch damit nicht genug: Thieles Sohn Henrik (55) klagt gegen Stiefmutter Nadia Thiele und Brühmüller. Dabei geht es um seine Abfindung von 25 Millionen Euro, die ihm sein Vater 2017 im Gegenzug für die Abtretung seiner milliardenschweren Anteile an der Vermögensholding der Familie zugestand. Die Klage wegen „Nichtigkeit wegen Wucher“ mit einem Streitwert in Höhe von 4,5 Milliarden Euro war im Februar vom Landgericht München abgewiesen worden. Die Berufung liegt nun beim Oberlandesgericht.

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Im ganzen familiären Tohuwabohu wird leicht übersehen, dass auch der Mutterkonzern Knorr-Bremse seit dem Tod Thieles kräftig durchgeschüttelt worden ist. Der Aktienkurs des Unternehmens, das 2018 an die Börse gegangen war, ging im vergangenen Jahr auf Talfahrt. Am Jahresende stand der Jahresschlusskurs bei −40,98 Prozent. Inzwischen erholt er sich wieder unter dem seit Januar als CEO eingesetzten Marc Llistosella.

Anleger dürften nun wieder etwas ruhiger schlafen, glaubt Daniel Bauer vom Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). „Ich kenne keinen Fall, der so speziell und dramatisch ist wie der Erbstreit in der Familie Thiele“, sagte Bauer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „In der Regel sind Nachfolgefragen lange vorab detailliert und optimal geregelt.“

Anleger bleiben gelassen

Bauer weist in Bezug auf die wirtschaftliche Situation der Unternehmen auch auf die Gleichzeitigkeit von Ereignissen hin. „Auf der einen Seite der Tod einer Persönlichkeit wie Thiele, auf der anderen Seite stark belastete Märkte durch die bekannten Lieferkettenverzögerungen.“ Bauer ist optimistisch, dass unter der Thiele-Tochter durch „vernünftige, ruhige Führung“ wieder Geradlinigkeit einziehen könne.

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW.

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW.

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Ähnlich wird es bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) gesehen. Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler sagte dem RND, dass sich die Streitigkeiten in der Familie bei Knorr und für die freien Aktionäre „zum Glück“ nicht auf das Schicksal der börsennotierten Gesellschaft oder deren Aktionärsstruktur ausgewirkt hätten. Thiele habe dies durch die Stiftungslösung bewusst vermieden.

Tüngler setzt darauf, dass die Familie positive Signale setzt. „Insgesamt und unabhängig davon kann man dennoch nur hoffen, dass alle Beteiligten zur Vernunft kommen und die Unruhe beendet wird“, sagte er. „Denn egal, wie man es dreht und wendet: Positiv wirkt der Familienstreit definitiv nicht.“

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