Gehört die Zukunft wirklich dem Elektroauto?

So fing es bei VW an: eine frühe Skizze eines Ingenieurs - vier Jahre später rollen die ersten neuartigen Stromer vom Band.

So fing es bei VW an: eine frühe Skizze eines Ingenieurs - vier Jahre später rollen die ersten neuartigen Stromer vom Band.

Eine Garagengeschichte läge nahe, wie in den Gründungsmythen des Silicon Valley. Aber VW hat keine alten Garagen, nur neue. Deshalb beginnt die Geschichte im Rothehof, einem lauschigen Gästehaus des Unternehmens im Wald bei Wolfsburg. Dort trafen sich im Herbst 2015 ein paar Dutzend ­VW-Manager unter Führung ihres Chefs Herbert Diess, um die Elek­trorevolution zu planen. Es entstanden fröhliche Gruppenbilder und sogar eine erste Skizze des künftigen Elektrofahrgestells, angeblich gezeichnet vom damaligen Technikchef Frank Welsch.

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Vier Jahre später wird von dem Treffen als dem Beginn einer Umwälzung erzählt. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) steht das Ergebnis, der VW ID.3, und Diess spricht vom „Systemwechsel“. Nicht nur in seinem Unternehmen soll alles anders werden, auch auf der Straße. Es gehe um klimaschonende Mobilität – und damit um ein „gesellschaftliches Anliegen“. E-Mobilität will er „in die Mitte der Gesellschaft“ bringen. Die Botschaft zum Beispiel an die Kanzlerin, die an diesem Donnerstag in Frankfurt die IAA eröffnen wird, ist klar: Hier entsteht Großes im Interesse der Allgemeinheit.

Die erzählen doch alle Märchen.

Anonymer Automanager auf der IAA

Man kann es auch anders sehen. „Die erzählen doch alle Märchen“, wettert ein langjähriger Automanager auf den Messefluren. „Kein Mensch in der Industrie weiß, wie es weitergeht.“ Er ist schon seit ein paar Jahren aus dem Geschäft, alte Garde sozusagen, schon immer bekennender Nicht-Visionär und kühler Rechner. Diese ganze Elektrooffensive der Wolfsburger sei eine einzige Verzweiflungstat nach dem Dieselskandal. Die Elektroplattform sei überhastet entwickelt, die technische Festlegung übereilt.

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„Was es bringen soll, weiß kein Mensch“, sagt der Mann und zählt auf, was im Moment gegen den massenhaften Einsatz von Batterieautos spricht: Mit Strom aus Kohlekraftwerken bringen sie nichts für das Klima. Die Rohstoffe für die Batterien werden oft unter fragwürdigen Bedingungen gefördert. Nach der Nutzung sind sie Giftmüll, die Lebensdauer ist vor allem bei häufigem Schnellladen kaum erprobt, die Produzenten haben Lieferschwierigkeiten. Vor allem für das Schnellladen fehlt es an Stationen. Und Geld verdienen könne man mit den E-Autos noch lange nicht.

Diess kennt all diese Punkte aus dem Effeff, und natürlich hat er Antworten. Sein Konzern verkauft inzwischen selbst Ökostrom und Ladeboxen für die Hauswand, plant ein Recyclingsystem, baut mit Daimler, BMW und Ford ein Ladenetz an Europas Autobahnen, kauft zertifizierte Rohstoffe und will dank riesiger Stückzahlen auch Geld verdienen und Arbeitsplätze sichern. Wer jetzt nicht voll auf batterieelek­trischen Antrieb setzt, könne in ein paar Jahren einpacken, das ist seine feste Überzeugung. Diess’ größtes Zugeständnis an die Ungewissheit: „Mit der einen oder anderen Reibung im Aufbau ist zu rechnen.“

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Es sind die beiden Extreme einer Debatte, die eine ganze Branche beschäftigt. Da sind die Elektropioniere, die mit aller Macht und enormen Investitionen auf die neue Technik setzen. VW tut es am lautesten, Renault schon länger. Und da sind viele, die es schrittweise versuchen, Modelle erst einmal ankündigen, Alternativen offenhalten, die Batterie noch nicht für den Stein der Weisen halten. Die drastischen Worte bleiben den Ehemaligen vorbehalten, doch auch die Aktiven grenzen sich ab.

Mit der einen oder anderen Reibung im Aufbau ist zu rechnen.

VW-Chef Herbert Diess über die E-Auto-Strategie

Der neue BMW-Chef Oliver Zipse bleibt bei der Linie seines Vorgängers Harald Krüger – obwohl dieser auch wegen seiner zögerlichen E-Strategie gehen musste: BMW fahre mehrgleisig, betont er in Frankfurt, und dazu gehöre neben Verbrennern und Batteriefahrzeugen „in Zukunft auch die Wasserstoff-Brennstoffzelle“.

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Hoffnungsträger Wasserstoff?

Es ist inzwischen fast ein Reizwort, denn die Brennstoffzelle, die im Auto den Strom für einen E-Motor produziert, ist schon sehr lange der Hoffnungsträger für sauberes Fahren. Mercedes baut ein Modell in Kleinserie, Toyota hat die Limousine Mirai, BMW will 2022 in Kooperation mit Toyota einige X5-SUV mit Brennstoffzelle bauen, frühestens 2025 könnten Kunden kaufen.

Erzählt man es Diess, gibt der zurück: „Haben Sie auch gefragt, woher der Wasserstoff kommt?“ Dessen Erzeugung brauche viel Energie, beim Transport gehe viel verloren, die Massenproduktion sei schwierig. Für Diess ist die Technik vom Alltagseinsatz noch weit entfernt, und er fühlt sich bestätigt: Wasserstoffpionier Toyota wollte auf dem Weg zur Brennstoffzelle eigentlich die Batterie als Stromspeicher überspringen – und steuert gerade um.

So wogt es in der Branche hin und her. Dem Radikalen aus Wolfsburg stehen die Gemäßigten gegenüber. Keiner zweifelt am Ziel des ­CO2-freien Fahrens, Daimler steuert sogar auf das klimaneutrale Unternehmen hin – aber Wege und kurzfristige Ziele gehen weit auseinander. In der Mercedes-Halle steht der neue elektrische EQC in der Ecke. Bei VW stehen ID.3, so weit das Auge reicht.

Branchenverbände tun sich schwer

Die unterschiedlichen Strategien machen es nicht leichter, den Wandel durchzusetzen. Der deutsche Branchenverband VDA tut sich ebenso wie sein europäisches Pendant Acea schwer, eine Position zu formulieren. Wie soll der Staat die alternativen Antriebe nun fördern? Technologieoffen oder konzentriert auf die Batterie? In jedem Fall müssten sich die Regierungen in der EU dem Tempo der Produktneuheiten anpassen, sagte Acea-Präsident Carlos Tavares am Mittwoch auf der IAA – an der sein eigenes Unternehmen Peugeot-Citroën nicht teilnimmt. Die Staaten müssten ihre Investitionen in Infrastruktur „dramatisch aufstocken“, und mehr noch: „Sie müssen auch nachhaltige Kaufanreize setzen, die konsistent in der gesamten EU sind.“

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Die zentrale Rolle der Politik ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner der Branche. „Wenn es die Politik entschieden hat ...“, ist ein oft gehörter Stoßseufzer. Ja, die Politik hat sich für einen schnelleren Abbau von CO2 im Verkehr entschieden. Oder, wie Diess sagt: „Der Kunde entscheidet sich nicht aus freien Stücken für ein Antriebskonzept.“

So kaufen die Kunden in manchen Ländern immer noch sehr viele Dieselautos, in anderen Elektrowagen, in Italien ist Gasantrieb besonders gefragt, und in manchen Ländern gibt es kaum Motoren mit mehr als 1,6 Litern Hubraum – je nachdem, was gefördert oder besteuert wird.

In Europa schwebt die Zahl 95 über allem. Vom nächsten Jahr an dürfen die neu verkauften Autos der großen Hersteller im Schnitt nur noch 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen. Für jedes Gramm darüber werden 95 Euro Strafe pro verkauftem Auto fällig. Ende 2020 nimmt sich die Europäische Kommission die Zulassungsstatistik vor, zählt zusammen und soll dann erstmals Strafbescheide verschicken – denn 95 Gramm schaffen mit konventionellem Antrieb nur Kleinwagen. Der Durchschnitt der Neuwagen liegt in Europa bei knapp 120 Gramm, in Deutschland treiben ihn die vielen Dienstwagen noch etwas höher.

Teuer wird es so oder so

Seit Jahren kann sich jeder Hersteller ausrechnen, wie hoch die Rechnung aus Brüssel 2021 sein wird, wenn alles bleibt, wie es ist. Einige Hundert Millionen kommen schnell zusammen – jedes Jahr. Der einzige Ausweg ist der Verkauf von reinen Elektro- oder Hybridfahrzeugen, die nicht nur weniger ausstoßen, sondern auch noch Bonuspunkte für die Gesamtrechnung bringen. Ob nun Strafzahlung oder die Entwicklung neuer Antriebe: Teuer wird es so oder so.

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Dass der VW-Konzern im nächsten Jahr über 200 000 E- und Hy­bridautos verkaufen will, hat viel mit dieser Rechnung zu tun. Denn schon aus Imagegründen müssen die Wolfsburger nach dem Dieselskandal die Prüfung 2020 mit weißer Weste bestehen. Gleichzeitig fordert auch die Regierung im bei Weitem wichtigsten VW-Markt China kategorisch Elektroautos.

Mit diesem doppelten Druck im Nacken hat der VW-Chef alle Alternativen verworfen und setzt wie kein anderer in der Branche auf eine Technologie: Der Elektromotor mit einer Batterie als Stromspeicher soll der Antrieb der Zukunft sein. Alles andere sei zu teuer, bringe zu wenig oder brauche noch zu viel Zeit.

Absage an synthetische Kraftstoffe

Pragmatische Experten glauben, dass Gas schnellere und billigere CO2-Effekte brächte. Dann müssten die Leute diese längst verfügbaren Autos aber endlich kaufen, sagt Diess. Synthetische Kraftstoffe, von denen sich der Branchenverband VDA viel verspricht, sind in der Produktion teuer. Mit dem Jahr 2020 vor Augen peitscht der VW-Chef die Elektrostrategie durch. Für ihn ist sie alternativlos.

Die Kanzlerin soll das verstehen. Beim Eröffnungsrundgang wird ihr die Branche all die Fortschritte auf dem Weg zum klimaschonenden Auto vorführen. Die stolzen Gastgeber auf den Messeständen werden darauf hinweisen, dass sie nur unter den passenden Rahmenbedingungen in ausreichender Zahl auf die Straße kommen werden. So weit reicht die Einigkeit in der Branche dann doch.

Die Gelbwesten in Frankreich waren schon eine Erfahrung für Politiker.

VW-Chef Herbert Diess

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In Deutschland richten sich die Hoffnungen auf die Sitzung des Klimakabinetts in der nächsten Woche. Diess hat bereits diverse Vorschläge, von der Verlängerung bestehender Förderung über die Abschaltung von Kohlekraftwerken bis zur Subventionierung des Ladestroms, hinterlassen. Nach seiner Wahrnehmung hat das Kabinett ein offenes Ohr für die Forderung nach gleichzeitig sauberer und bezahlbarer Mobilität. „Die Gelbwesten in Frankreich waren schon eine Erfahrung für Politiker.“

Und wenn das nun alles nicht funktioniert, wenn die Leute die Autos nicht wollen, sich die Batterietechnik als Irrweg erweist, das Ladenetz zusammenbricht? Wenn VW Milliarden in den Sand setzt, CO2-Strafen zahlen und die Fabriken für E-Autos dichtmachen muss? Diess blickt belustigt auf: „Was ist denn das für eine Frage?“

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