Was Verbraucherinnen und Verbraucher in der Gaskrise jetzt wissen müssen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/RGDVEJOLN5AYXNDFEVCCJQ27ZI.jpeg)
Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.
© Quelle: Jens Büttner/dpa
Berlin. Seit diesem Montag, 6 Uhr, fließt kein Gas mehr durch die Pipeline Nord Stream 1. Die Doppelröhre wird turnusgemäß gewartet – wie jeden Sommer. Was für gewöhnlich nicht mal eine kleine Meldung wert ist, sorgt in diesem Jahr für riesige Aufregung, denn die Angst geht um, dass Russland die Gaslieferungen auch nach dem Abschluss der Arbeiten nicht mehr aufnehmen wird. Deutschland würde in diesem Fall eine akute Mangellage mit unvorhersehbaren wirtschaftlichen Folgen drohen. Was wir wissen und was nicht – ein Überblick.
Kommt nun gar kein Gas mehr von Russland nach Deutschland?
Doch. Von den insgesamt vier Pipelineverbindung für den Gastransport von Russland nach Deutschland stehen derzeit drei still: die nie in Betrieb genommene Ostseepipeline Nord Stream 2, die Jamal-Pipeline über Weißrussland und Polen und nun eben Nord Stream 1. Durch die Transgas-Pipeline, die über die Ukraine und Tschechien führt, liefert Russland dagegen noch – wenn auch in weit geringerem Umfang. Zuletzt floss gut ein Drittel des durch Nord Stream 1 transportierten Volumens, wobei Russland die Liefermenge durch die Ostseepipeline seit Juni auf 40 Prozent reduziert hatte. Technisch wäre es ohne Weiteres möglich, mehr Gas durch die Ukraine-Pipeline zu schicken, sagt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. „Die Regierung in Moskau könnte die Liefermengen durch die Ukraine jederzeit erhöhen, um ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dazu fehlt Waldimir Putin aber offenbar der politische Wille.“
Steigende Energiepreise: Vermietende sollen aktiv über höhere Vorauszahlungen sprechen
Angesichts der stark gestiegenen Energiepreise hat der Eigentümerverband Haus und Grund Vermieter zum Handeln aufgefordert.
© Quelle: dpa
Ist der Streit um die Turbine gelöst?
Ja, zumindest fast. Eine in Kanada von Siemens Energy gewartete und wegen der Sanktionen zunächst nicht zurückgelieferte Turbine zur Gasverdichtung war von der russischen Regierung als Grund für die Drosselung der Liefermenge seit Juni genannt worden. Die Bundesregierung hatte das als Vorwand bezeichnet. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die kanadische Regierung dennoch gebeten, die Ausfuhr zu erlauben. Kanada war der Bitte am Wochenende nachgekommen – was wiederum die Regierung der Ukraine erzürnt hatte. Man sei „zutiefst enttäuscht“, hieß es aus Kiew. Die US-Regierung begrüßte die Entscheidung hingegen als „Beitrag zur europäischen Energiesicherheit“.
Wie lange wird der Einbau der Turbine dauern?
Es soll sehr schnell gehen. Nach RND-Informationen wird das reparierte Bauteil nun per Flugzeug von Kanada nach Deutschland gebracht und schnellstmöglich an den Bestimmungsort transportiert. Ziel ist es, die Reparatur bis zum Ende der Wartungsarbeiten am 21. Juli über die Bühne zu bringen. „Das werden wir schaffen“, gibt sich ein Insider überzeugt. Die Bundesregierung will Russland keinen Vorwand mehr bieten, um die vertraglichen Lieferverpflichtungen nicht zu erfüllen. Falls Wladimir Putin es will, könnte die Kapazität der Pipeline ab dem 21. Juni wieder voll ausgenutzt werden.
Warum ist die Aufregung dann trotzdem so groß?
Weil derzeit niemand weiß, was genau Putin will. Es kommen sehr unterschiedliche Signale aus Russland. Ein Kremlsprecher hatte erklärt, mit Lieferung der Turbine stünde einer vollständigen Wiederaufnahme der Lieferungen nichts mehr im Wege. Eine Rede Putins beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg vor drei Wochen war dagegen als Kampfansage an den Westen interpretiert worden. Am Ende liegt es einzig in der Hand des Kremlherrschers, ob Russland die Gaslieferungen via Nord Stream wieder aufnimmt und wenn ja, in welchem Umfang.
Was passiert, wenn Russland wieder liefert?
Das würde die Situation ein ganzes Stück entspannen. Derzeit sind die Gaspreise an den Rohstoffbörsen extrem hoch, nicht zuletzt, weil Händler die Ungewissheit einpreisen. Sollte Russland wieder liefern, würden die Kurse mutmaßlich sinken. Da Deutschland und andere Länder allerdings angekündigt haben, mittelfristig aus russischem Gas aussteigen zu wollen, gilt ein Rückgang der Preise auf das Vorkriegsniveau dennoch als ausgeschlossen.
Was geschieht, wenn Russland den Hahn nicht wieder aufdreht?
Dann kämen auf Deutschland und Europa extrem harte Zeiten zu. Wenn Wirtschaftsminister Habeck eine dauerhafte Verschlechterung der Versorgungssituation bejaht, wäre er vermutlich schnell gezwungen, die sogenannte Notfallstufe des Notfallplans Gas auszurufen. Die Bundesnetzagentur würde dann zum „Bundeslastverteiler“, sie würde also im Endeffekt entscheiden, wer noch mit Gas beliefert wird und wer nicht. Krankenhäuser, Wärmekraftwerke und Privatpersonen gelten als besonders geschützt und würden wohl weiterhin Gas bekommen. Die Industrie allerdings müsste mit Abschaltungen rechnen.
Knappes Gas, harter Winter? Bevorstehende Krise löst politische Debatte aus
Angesichts der Gaskrise kommt aus der FDP und der Union weiter Druck, eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke in Betracht zu ziehen.
© Quelle: dpa
Warum muss Uniper jetzt gerettet werden
Uniper, in dem die ehemalige Eon Ruhrgas aufgegangen ist, ist der größte Gasimporteur Deutschlands. Das Unternehmen leidet massiv, seit Russland die Liefermenge durch Nord Stream 1 gedrosselt hat, weil es die fehlenden Mengen zu den zum Teil sechsfach erhöhten Preisen am Spotmarkt einkaufen muss. Wegen vertraglicher Verpflichtungen kann Uniper die erhöhten Beschaffungspreise aber bislang nicht an seine Abnehmer, unter denen sich zahlreiche Stadtwerke befinden, weitergeben. Das Unternehmen hat deshalb Staatshilfen beantragt. Derzeit laufen Verhandlungen, in welcher Form der Bund sich an Uniper beteiligen kann, um eine Insolvenz zu verhindern. Diskutiert wird auch, die höheren Beschaffungskosten für das Gas über eine Umlage an alle Marktteilnehmer weiterzugeben.
Und was ist mit den Preisen?
Die steigen so oder so. Schon jetzt erleben viele Verbraucher eine Verdopplung der Abschläge – und die aktuelle Abrechnungsperiode bezieht sich noch auf die Zeit vor dem Krieg. Eine Verdreifachung der Endverbrauchspreise binnen des nächsten Jahres halten Expertinnen und Experten für ziemlich sicher. Falls Russland gar nicht mehr liefert, müssten Gaskunden wohl auch mit einer Vervierfachung rechnen. Die Frage wird für viele also nicht sein, ob sie noch Gas bekommen, die Frage wird sein, ob sie es sich noch leisten können.