Ex-Audi-Boss vor Gericht: Vom Chefsessel auf die Anklagebank

Der damalige Vorstandsvorsitzende der Audi AG, Rupert Stadler, muss sich wegen Betrugs in der Dieselaffäre vor Gericht verantworten.

Der damalige Vorstandsvorsitzende der Audi AG, Rupert Stadler, muss sich wegen Betrugs in der Dieselaffäre vor Gericht verantworten.

München. Er schien ehrlich überrascht. X-mal habe er seine Leute gefragt, ob die Audi-Motoren sauber seien, berichtete Rupert Stadler im Herbst 2015. Und jedes Mal hätten sie bestätigt: Alles in Ordnung, keine Manipulationssoftware, wie sie die US-Behörden gerade in einem Motor des Mutterkonzerns VW entdeckt hatten.

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Und nun war sie doch gekommen, die „Notice of Violation“, die Mitteilung, dass auch ein Audi-Motor amerikanisches Umweltrecht verletze – ein Sechszylinder-Diesel, entwickelt in Ingolstadt, eingebaut in Audis, Volkswagen, Porsches. Stadler staunte.

Staatsanwaltschaft wirft Stadler Vertuschung vor

Die Ankläger glauben ihm seine Überraschung. „Bei Audi war es ein Schweigekartell“, sagt ein VW-Manager. Stadler, seit Jahrzehnten im VW-Konzern tätig, früh in verantwortlicher Position, wusste wohl wirklich nicht, dass eins der wichtigsten Projekte im Konzern, die Dieseloffensive in den USA, auf einer Lüge gründete.

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Die Verfehlungen des Finanzexperten begannen erst, als die Techniker ihre längst hinter sich hatten: Er ließ weiter Audis mit Manipulationssoftware verkaufen, als der Betrug bekannt war. Und er tat wenig, um diesen aufzuklären, die Staatsanwaltschaft München2 wirft Stadler sogar Vertuschung vor.

Drei weitere, ehemalige Audi-Mitarbeiter angeklagt

Noch fast drei Jahre hielt Stadler sich im Amt, erklärte Diesel intern zum VW-Problem und beschwor bei seinen Leuten den „Audi-Spirit“, bis er 2018 in Untersuchungshaft musste. „Der Dieselskandal fängt bei Audi an und führt dorthin zurück“, sagte ein VW-Aufsichtsrat damals.

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Von heute an kommt Stadler wieder regelmäßig in die Justizvollzugsanstalt Stadelheim – dort gibt es den größten Münchner Gerichtssaal. Nach ungezählten Schadensersatzklagen beginnt das erste Strafverfahren im Dieselskandal, angeklagt sind neben dem einstigen Chef drei weitere frühere Audi-Mitarbeiter.

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VW hält am Mittwoch Hauptversammlung ab

Es geht um Betrug und weitere Delikte, und es ist nur der Auftakt für eine Reihe von Strafprozessen. In Braunschweig werden Stadlers einstiger Chef Martin Winterkorn und vier frühere Kollegen vor Gericht stehen. Außerdem liegen bei den Landgerichten in Braunschweig und München Anklagen gegen knapp 20 Ex-Manager, über deren Annahme noch nicht entschieden ist. Derweil laufen Dutzende Ermittlungen weiter.

Wenn die Aufklärung beginnt, wird sich VW mit anderen Dingen beschäftigen. Dort tagt an diesem Mittwoch die Hauptversammlung der Aktionäre – im Internet und verspätet, wegen Corona. So mag der Termin Zufall sein, aber er trifft sich glänzend. Denn in Wolfsburg glaubt man das Skandalthema weitgehend erledigt. Dort geht es längst um Elektroautos und Vernetzung, um Corona-Krise und Auslastung.

Diess und Pötsch werden der Marktmanipulation bezichtigt

Mehr als 30 Milliarden Euro an Strafen, Nachrüstkosten und Schadensersatz hat der Konzern gezahlt, um die „Dieselthematik“, wie es dort offiziell immer noch heißt, aus der Welt zu schaffen. Die Kunden in vielen Ländern sind nach langem Sträuben entschädigt, Hunderttausende allein in Deutschland. Die Führung wurde ausgetauscht.

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Zwei Schlüsselfiguren, die bleiben sollten, paukte man raus. Anklagen gegen Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wurden gegen Millionenbußen beendet, bevor es zum peinlichen Prozess kam.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen nicht Betrug, sondern Marktmanipulation vor: Sie hätten die Finanzmärkte zu spät über das drohende Dieseldesaster und die absehbare Wertvernichtung informiert. Beide bestreiten das, wollten aber nicht mit Gerichtsauftritten ihre Posten gefährden. Martin Winterkorn hat da nichts mehr zu verlieren und geht wegen beider Vorwürfe vor Gericht: Betrug und Marktmanipulation.

Thompson sieht VW auf einem guten Weg

Gegen die elegante Lösung für Diess und Pötsch hatte der vom US-Justizministerium entsandte Aufpasser Larry Thompson offenbar nichts einzuwenden. Nach langer Prüfung hat er sich gerade mit freundlichen Worten verabschiedet und sieht VW auf einem guten Weg. Die Kultur im Konzern habe sich wirklich geändert. Aber natürlich müsse man stets wachsam sein. Denn die Tradition ist tief verankert.

In den nächsten Monaten in Stadelheim wird man wohl ein Bild von ihr bekommen. Die vier Männer auf der Anklagebank können viel erzählen vom Innenleben eines Weltkonzerns, von Hierarchie, von Wissen, Nicht-Wissen und Nicht-wissen-Wollen.

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Ex-Audi-Manager Hatz bestreitet Wissen über Betrug

Zwei ehemalige Audi-Techniker sitzen dort, die sich irgendwann 2006 nicht mehr zu helfen wussten. Wie sollten europäische Diesel die viel schärferen kalifornischen Grenzwerte für Stickoxid schaffen? Das werde legal wohl nicht gehen, soll es in einer Mail heißen, die im Prozess eine Rolle spielen wird. So nahm man Software, die erkannte, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand lief – und ließ nur dann die Abgasreinigung voll aktivieren.

Die beiden Techniker haben bereits umfangreich ausgesagt und dürften die Kronzeugen spielen. Fürchten muss das vor allem der ebenfalls angeklagte Wolfgang Hatz, damals Leiter der konzernweiten Motorentwicklung. Er bestreitet jedes Wissen über den Betrug, genauso wie Martin Winterkorn, der just zum Jahreswechsel 2006/2007 vom Audi- zum Konzernchef befördert wurde.

Abgaswerte seien “mirakulös” gewesen

Kann das sein? Die Abgaswerte der US-Diesel seien schlicht „mirakulös“ gewesen, sagt ein VW-Manager, der sich erst später durch die Akten wühlte. Wenn jemand dem Wunder auf den Grund gehen wollte, habe es offenbar ein „Zauberwort“ gegeben: „Dann war immer von innermotorischen Maßnahmen die Rede“ – nicht ganz gelogen, aber auch nicht wahr.

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Sollten Winterkorn, Hatz und andere Hypertechniker beim weltgrößten Autohersteller an das Wunder geglaubt haben? „Dass jemand, der sich mit Motorenentwicklung gut auskennt, nicht gefragt hat: Wie habt ihr das gemacht? – das kann ich mir schwer vorstellen“, sagt ein Konzernchef aus der Autobranche.

Software in Millionen Neuwagen eingebaut

Es folgten Jahre zwischen Dichtung und Wahrheit, in denen der Konzern den Erfolg mit dem Diesel feierte und einige Schlüsselfiguren dessen Geheimnis offenbar verdrängten. Derweil wurde die Software, die eigentlich als Notlösung für ein paar US-Autos gedacht war, in Millionen Neuwagen aufgespielt – oft unnötigerweise. Für einige Motoren hätte man die Trickserei gar nicht gebraucht, um etwa europäische Grenzwerte zu schaffen. „Ein Irrsinn“, sagte später ein hochrangiger Automanager. „Das war schlicht Schlamperei.“

So erstreckt sich die Wahrheitssuche über mehr als ein Jahrzehnt. Von der Verzweiflung der Techniker 2006 über erste Hinweise amerikanischer Forschungsinstitute 2014 und Mahnungen der US-Umweltbehörden im gleichen Jahr bis zu Warnungen in der Wochenendpost von Martin Winterkorn und Gesprächen am sogenannten Schadenstisch, den Winterkorn als unbarmherziges Qualitätstribunal inszenierte.

Angeklagte beharren auf Unschuld

Wer hat wann was gewusst und nichts getan? Das Publikum wartet auf Aufklärung, und die Protagonisten bereiten sich auf die schwersten Auftritte ihres Lebens vor. Die Prominenten auf der Anklagebank dürften bei ihrer Verteidigungslinie bleiben. Keiner von ihnen hat bisher Schuldbewusstsein erkennen lassen. Winterkorn blieb dabei vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags, Hatz und Stadler brachte auch monatelange Untersuchungshaft nicht davon ab.

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Seit ihrem ruhmlosen Abgang meiden sie die Öffentlichkeit. Stadler sei vor einigen Monaten im Ingolstädter Rotary Club aufgetreten, berichtet die Lokalpresse. Es habe „unterschiedliche“ Reaktionen gegeben. Offenbar vermissten manche die Asche auf dem Haupt.

Winterkorn überträgt Villa einer GmbH & Co KG

Winterkorn sah man bei Basketballspielen des FC Bayern neben Uli Hoeneß. Ein Sohn, hochbegabter Wissenschaftler, lebt in den USA. Dort kann der Vater nicht hin, er würde sofort festgenommen. Es gehe ihm nicht besonders, sagt ein ehemaliger VW-Manager. „Er hatte ja nichts außer VW und Fußball.“ Das Geld natürlich. Seine Villa in München-Bogenhausen soll er sicherheitshalber einer GmbH & Co. KG übertragen haben. Denn wer weiß, wer nach einem möglichen Schuldspruch im späteren Braunschweiger Prozess noch auf die Millionen zugreifen will – womöglich der alte Arbeitgeber.

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Offiziell prüft VW schon lange Forderungen gegen den früheren Chef – immer ein bisschen verdruckst, es muss halt sein. Doch selbst auf hohe zweistellige Millionen, über die Winterkorn sicher verfügt, würde der Konzern gern verzichten, um nur endlich Ruhe beim Diesel zu haben. Volkswagen, das ist die seit fünf Jahren unermüdlich gepflegte Botschaft, ist jetzt anders.

Ehrlich, offen, man könne vernünftig über alles miteinander reden – heißt es. Für Sorgenfälle gibt es Ombudsleute, ein ganzes Whistleblower-System. Ja, man könne alles infrage stellen, frei diskutieren. Breite Brust und lautes Organ im Zweireiher, wie zu Winterkorns Zeiten, das sei Geschichte. Manager seien jetzt selbstbewusster, nicht mehr so blass wie einst Stadler. Und Grauzonen in der Abgasregulierung wolle niemand mehr. „Klare Regeln“ seien das Beste für VW und die ganze Branche.

Man kann jetzt viele Menschen im Konzern treffen, die die alten VW-Zeiten in feiner Umschreibung als Panoptikum schildern. „Sonderbar“ ist ein gern gebrauchtes Wort. Ob Motorentwickler mit Problemen wie damals heute offen umgehen würden? Von Diess jedenfalls sagt ein Konzernmanager: „Es hat ihn noch niemand ausgleichend erlebt.“ Aber es gebe ja jetzt das Whistleblower-System.

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