Einzelhandelskrise: “Ab Oktober wird es Schließungen hageln”
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Ganz so leer wie auf dieser Aufnahme der Essener Fußgängerzone ist es in Innenstädten zwar nicht mehr – doch die Konsumlaune ist weiterhin im Keller.
© Quelle: imago images/Rupert Oberhäuser
Die Hiobsbotschaften aus dem Handel nehmen kein Ende: Auch nach dem Ende des Lockdowns laufen die Geschäfte in vielen Bereichen nur schleppend an. Der Handelsverband warnt gar, dass Zehntausenden Händlern das endgültige Aus drohen könnte. Und längst geht es nicht mehr nur um einzelne Geschäfte, auch ganze Innenstädte könnten bedroht sein. Warum und was dagegen helfen könnte, erklärt Hans-Günter Grawe. Im Rahmen eines Pilotprojekts ist er “Handelskümmerer” – eine Rolle, die vor wenigen Jahren geschaffen wurde, um eine Schnittstelle zwischen Händlern, Verbänden und Politik zu schaffen.
Herr Grawe, der Handelsverband warnt vor einem dramatischen Ladensterben – doch bei meiner Recherche wollte bislang kein Händler über seine Schwierigkeiten sprechen. Ist das Problem vielleicht doch nicht so groß?
Doch, das Problem ist riesengroß. Wir befinden uns seit dem Lockdown in einer Wirtschaftskrise. Wenn es gut läuft, liegen die Händler bei 50 Prozent des Vorjahresumsatzes – während sie mittlerweile wieder 100 Prozent der Kosten haben. Da muss man keine Rechenmaschine bemühen, um festzustellen, dass das Ladensterben in den nächsten Wochen losgehen wird. Wir werden also viele Geschäfte verlieren, da geht es um persönliche Existenzen ebenso wie um den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Was erzählen Ihnen denn die Geschäftsleute, mit denen Sie Kontakt haben?
Einerseits sagen sie, dass die Shoppinglust verloren gegangen ist – wobei sich gerade auch die Ferienzeit bemerkbar machen dürfte. Aber eigentlich klagen fast alle Branchen. Im Textilhandel zum Beispiel gibt es einen hohen Druck. Die sitzen noch auf ihren Frühjahrskollektionen, selbst die Sommerkollektionen fließen nur schleppend ab. Und gleichzeitig sind die ersten Anzahlungen für Herbst- und Winterkollektionen zu leisten. In der Gastronomie spielt sich – wenn das Wetter gut ist – vieles in Außenbereichen ab. Aber einige haben längst geschlossen, weil ihre Innenräume unmöglich den Hygieneanforderungen entsprechen können.
Was macht das mit einer Stadt wie Köln?
Grundsätzlich hat Köln einerseits eine große Innenstadt, die in der Vergangenheit stark vom Tourismus und von Messegästen geprägt war. Beides haben wir derzeit nicht, weshalb die Umläufe rückläufig sind. Aber wir haben auch 86 kleinere Viertel, die eigentlich wie eigenständige Einkaufszonen kleinerer Städte funktionieren. Dort gehen die Umsätze ebenfalls massiv zurück und gerade dort sind Geschäfte in ihrer Existenz gefährdet. Das ist gefährlich. Denn wir wissen alle, dass ein Leerstand meistens weitere Leerstände nach sich zieht, weil der bunte Mix aus Unternehmen fehlt.
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Hans-Günter Grawe ist “Handelskümmerer” in Köln. Sein Job ist es, Händlern und ihren Interessengemeinschaften zuzuhören – und ihnen zu helfen, mit dem Strukturwandel im Handel zurechtzukommen. Unterstützt wird das Pilotprojekt der Kölner IHK unter anderem vom Handelsverband NRW, dem Gaststättenverband Dehoga und der Stadt Köln.
© Quelle: Privat
Wie reagieren die Händler?
Es heißt ja nicht ohne Grund Einzelunternehmen, viele kämpfen auch dementsprechend. Aber ich hoffe, dass es uns gelingt, in den kommenden Wochen viel, viel enger zusammenzurücken. Wir müssen gemeinsame Lösungen erarbeiten, aber nicht nur mit dem Handel, sondern auch mit den Stadtverwaltungen, der Politik und den Institutionen. Wir müssen uns über Leerstandsmanagement, hohe Mieten und das Thema Stadtentwicklung Gedanken machen.
Stadtentwicklung? Heißt das, dass sich Städte grundsätzlich verändern müssen?
Die müssen sich nicht verändern, die werden sich verändern. Auf den Trend zum Onlinehandel werden Geschäfte reagieren müssen, sie hätten es eigentlich in der Vergangenheit schon tun müssen. Aber ich bin auch überzeugt, dass manche horrend hohe Ladenmiete nicht mehr haltbar ist. Es sollte zwar nicht zulasten der Altersvorsorge von Vermietern gehen, aber über das Thema muss gesprochen werden. Wenn das nicht stattfindet, geht das Ladensterben noch schneller. Man darf sich an dieser Stelle nichts vormachen: Auch die großen Ketten haben nicht mehr das Geld für große Investitionen.
Und in welche Richtung sollten sich Städte insgesamt entwickeln?
Zuletzt hat sich ja gezeigt, dass ein Großteil der deutschen Innenstädte austauschbar ist – und dass die Individualität, die Kunden suchen, fehlt. Da glaube ich, dass man über neue Flächenkonzepte nachdenken muss. Also über Concept Stores, kleine Manufakturen und über die Verbindung mit Wohnraum. Andererseits muss auch das Thema Online stärker in den Blick genommen werden, etwa mit regionalen Verkaufsportalen und guten Übersichtsseiten zu Angeboten des lokalen Handels. Gerade in mittelständischen Strukturen hat man dabei während des Lockdowns so viel Kreativität gesehen. Der Elan hat aber wieder nachgelassen.
Nun wurde seit Beginn der Pandemie schon viel zur Unterstützung des Handels getan ...
Am Anfang waren die Hilfsprogramme ein gutes Signal von Bundes- und Landespolitik. Aber bei kleineren und mittelständischen Händlern ist vor allem die Soforthilfe angekommen. Es ist kein Geheimnis, dass es Ungereimtheiten zu der Frage, wofür die Gelder verwendet werden dürfen, gab. Nun wurden die ersten Nachweise zur Verwendung eingefordert – und das kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Zwar berappeln sich die Ersten gerade, aber wenn nun Rückforderungen fällig werden, gibt es Probleme. Damit muss mindestens bis Jahresende abgewartet werden, zumal bei vielen Händlern auch noch gestundete Rechnungen offen sind.
Ab Ende September müssen wieder sämtliche Insolvenzen angezeigt werden. Wie wird sich das auswirken?
Schon jetzt haben einige Insolvenz angemeldet. Ab Oktober wird es Schließungen hageln.
Das heißt, es muss jetzt alles sehr, sehr schnell gehen, um dem Einzelhandel zu helfen?
Ja! Es ist wichtig, jetzt schnell zu handeln. Wir brauchen in den Städten den Schulterschluss zwischen Stadtspitzen, Politik, Institutionen. Wichtig ist, dass da auch die Basis, also die Händler einbezogen werden. Die brauchen das Symbol dafür, dass es weitergeht – auch wenn noch niemand genau weiß, wie. Und außerdem müssen wir den Endkunden motivieren, den lokalen Händler und die Gastronomie zu besuchen. Denn es ist alles da, um die Hygienestandards einzuhalten.