DIW-Chef Fratzscher: „Der Staat kann nicht alle Unternehmen retten“
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Der Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher
© Quelle: Gregor Fischer/dpa
Berlin. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, rechnet mit einem tiefen und lang anhaltenden Abschwung, den viele Unternehmen nicht überstehen werden. „Die Rezession wird unvermeidbar sein, wir befinden uns schon in einem Abschwung“, sagte Fratzscher im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
DIW-Chef Fratzscher: „Wir werden einen riesigen Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft erleben“
Der Ökonom rechnet mit einem tiefen und lang anhaltenden Abschwung, den viele Unternehmen nicht überstehen werden.
© Quelle: RND
Auch die langfristigen Aussichten sind nach Meinung des Ökonomen düster. „Meine Sorge ist gar nicht so sehr, dass wir in den nächsten zwei Quartalen schrumpfen werden, sondern dass es auch danach keine Erholung geben wird“, so Fratzscher weiter. „Wir rechnen mit einer schrumpfenden Wirtschaft für das Gesamtjahr 2023, und auch 2024 wird nicht so ein gutes Jahr werden“, warnte der DIW-Chef. „Wir werden uns auf einige Jahre Stagflation einrichten müssen.“
„Wir werden einen riesigen Strukturwandel erleben“
Die aktuelle Situation sei mit der Corona-Krise nicht vergleichbar. Einen zweistelligen Einbruch der Wirtschaft wie im zweiten Quartal 2020 werde es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geben. „Aber wir werden auf breiter Front weniger Aktivität sehen“, so Fratzscher. Das Besondere an dieser Krise sei der Rückgang des privaten Konsums, weil viele Menschen den Gürtel enger schnallen müssten. „Das ist ein flächendeckendes Problem und trifft letztendlich die gesamte Wirtschaft.“
Eine Zunahme der Insolvenzen lasse sich in dieser Lage nicht vermeiden, sagte Fratzscher. „Die bittere Wahrheit ist, wir werden einen riesigen Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft erleben. Viele energieintensive Unternehmen werden es nicht überleben“, fügte er hinzu. Die Kosten für Gas und andere fossile Energieträger seien nicht nur temporär erhöht. „Das wird sich so lange fortsetzen, bis wir den Umstieg auf erneuerbare Energien ausreichend gemacht haben“, prognostizierte er.
Das wird sich so lange fortsetzen, bis wir den Umstieg auf erneuerbare Energien ausreichend gemacht haben.
Marcel Fratzscher,
Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
„Viele Unternehmen werden insolvent gehen, und der Staat kann nicht alle retten“, so der DIW-Chef. Das sei allerdings auch gar nicht wünschenswert. „Man muss jetzt aufpassen, dass eine so tiefe Krise nicht die falschen Unternehmen trifft, sagte er und nannte Start-ups und andere innovative Firmen ohne große Rücklagen als Beispiel. „Vor allem diese Unternehmen sollte der Staat unterstützen.“ Bei allen anderen sei es sinnvoller, die Energiekosten zu begrenzen und die Unternehmen bei der Transformation durch Technologieförderung sowie eine gute Infrastruktur zu unterstützen.
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Volumen der Entlastungspakete reicht nicht aus
Fratzscher warb dafür, in der aktuellen Debatte einen anderen Schwerpunkt zu setzen. „Wir reden viel über Unternehmensinsolvenzen, meine größte Sorge aber sind Privatinsolvenzen“, sagte er. „Viele Bürgerinnen und Bürger werden wegen der explodierenden Strom- und Gaspreise ihre Rechnung nicht bezahlen können“, warnte er. Die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung hätten zwar gute Elemente, würden aber von ihrem Volumen her nicht ausreichen, so Fratzscher. „Die Bundesregierung wird die jetzigen Hilfen über die nächsten sechs Monate verdoppeln oder sogar verdreifachen müssen“, so der DIW-Chef.
Finanziell könne sich der Staat das leisten, wenn der Bundestag erneut die Regelungen der Schuldenbremse aussetze, betonte Fratzscher. „Ich würde mir von der Bundesregierung wünschen, dass sie sich ehrlich macht. Die Schuldenbremse ist mal gemacht worden, damit der Staat in schlechten Zeiten handeln kann. Wenn nicht jetzt, wann dann?“