Digitale Mobilität: VW dreht den Spieß um
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Im Auslieferungsturm der Wolfsburger Autostadt steht ein VW ID.4 bereit.
© Quelle: Peter Steffen/dpa
Eine große Angst beherrschte die Autoindustrie vor ein paar Jahren: Eine Handvoll Internetkonzerne könnte sich ins Auto schleichen und ein lukratives Netzwerk für Mobilität bauen. Die Insassen wären dann mehr Googles und Amazons Kunden als die von Volkswagen oder Peugeot. Die ruhmreichen Fahrzeugbauer wären nur noch Kistenlieferanten, ihre Autos aber die Orte von Milliardenumsätzen.
Google und Amazon sind schon drin
Von diesen Ängsten hört man nicht mehr viel – weil es längst still passiert. Die Systeme von Google und Amazon halten Einzug in die Autos, weil die Hersteller selbst nichts Vergleichbares entwickeln konnten – es fehlten Zeit, Geld und Know-how.
Die Angst ist immer noch da und völlig berechtigt: Wer nur Autos baut, wird den Kundenkontakt und damit den interessanteren Teil des Geschäfts verlieren. Unter den Etablierten hat nur VW ernsthaft reagiert – anfangs zögerlich, mit der neuen Strategie aber konsequent.
Das ist nebenbei der wesentliche Treiber des autonomen Fahrens: Die Zeit am Steuer ist der letzte wache Moment, in dem wir nicht online sind.
Die Zeit am Steuer ist der letzte wache Moment, in dem wir nicht online sind.
Muss die Hand nicht mehr am Lenkrad und der Blick nicht mehr auf der Straße ruhen, sind beide frei für den Touchscreen im Armaturenbrett – und damit den Onlineeinkauf, die Reisebuchung, den gestreamten Film. Das ist der Milliardenmarkt, der die Internetkonzerne lockt und die Autohersteller in Bedrängnis bringt.
Die Autos werden Datensammler
Man muss die – bisweilen aufgesetzte – Begeisterung der Konzernoberen für diese neue Mobilitätswelt nicht teilen. Das Auto wird, wie Herbert Diess unermüdlich wiederholt, zum rollenden Smartphone: Sehr austauschbar, individuell nur durch das, was man damit macht. Und ein Datensammler, wie es noch keinen gab.
Aber abseits dieses Szenarios werden in der Autowelt nur noch Nischen bleiben, in denen zum Beispiel VW bestenfalls einen Bruchteil seiner 660.000 Beschäftigten bezahlen könnte.
Software und Services als gleichrangiges Geschäft neben den Autobau zu stellen, dürfte der einzige Weg sein, in dieser Größenordnung zu überleben. Es bedeutet nicht weniger, als den Spieß umzudrehen und selbst Internetriese zu werden.
VW hat den Kampf um die Kunden noch nicht gewonnen. Aber der Konzern hat mit seinen zehn Millionen Autos im Jahr eine Plattform, die sich selbst manche Internetgröße wünschen würde. Am Kapital scheint es nicht zu scheitern, der Nachweis der Kompetenz steht allerdings noch aus.