Diess bleibt VW‑Chef bis zur Rente
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VW-Vorstandschef Herbert Diess.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Wolfsburg. Im dritten Anlauf ist es Herbert Diess gelungen: Der Aufsichtsrat hat den Vertrag des VW‑Chefs vorzeitig verlängert. Im vergangenen Jahr hatte Diess das nach Angaben aus Konzernkreisen zweimal vergeblich gefordert. Nun soll er bis Oktober 2025 an der Spitze bleiben. Dann wird er 67 Jahre und wohl mit Abstand der älteste Mitarbeiter seines Unternehmens zumindest in Deutschland sein: Aktuell legt VW den 57‑Jährigen die Altersteilzeit ans Herz.
Wachstum durch Mobilitätsdienste
Zuvor hatte der Aufsichtsrat die neue Konzernstrategie 2030 beraten, die in der nächsten Woche öffentlich vorgestellt werden soll. Nachdem Diess den Konzern auf Elektromobilität ausgerichtet hat, soll nun der nächste Schritt folgen: Es wird um den Ausbau der Softwarekompetenz, das autonome Fahren und neue Mobilitätsdienste gehen. „Der Aufsichtsrat sieht auch in den kommenden Jahren unter der Leitung von Dr. Diess beste Voraussetzungen für eine weiterhin erfolgreiche Entwicklung des gesamten Unternehmens“, sagte Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch.
Wenn die Kunden nicht mehr nur für die Autos, sondern auch für viele Dienstleistungen drumherum zahlen, werde das „voraussichtlich zu einer Verdopplung des Automotive Marktes in den nächsten 10 Jahren führen“, heißt es in einer Mitteilung des Konzerns. Das VW‑Rezept dürften auch hier standardisierte Technikplattformen für alle Konzernmarken sein. Außerdem soll die Weiterbildung der Belegschaft mit dem Programm People and Transformation intensiviert werden. Der Betriebsrat und die Mitbestimmung im Konzern seien dabei „ein klarer Vorteil“, erklärte der Aufsichtsrat.
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Die Vorsitzende des VW-Betriebsrats, Daniela Cavallo.
© Quelle: Swen Pförtner/dpa
Die Arbeitnehmerseite hat sich feste Zusagen etwa für einen Modernisierungsfonds, ein neues Entwicklungszentrum in Wolfsburg und Produkte zur Auslastung der Werke gesichert, bevor Diess die Zustimmung zur Strategie und seinem neuen Vertrag bekam. Damit setzt sich unter der neuen Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo das Zweckbündnis mit Diess fort, das schon ihr mittlerweile ins Management gewechselter Vorgänger Bernd Osterloh pflegte.
Der geht gern an die Grenze – und auch darüber hinaus.
Ein VW‑Manager über Herbert Diess
Dazu gehörten auch diverse heftige Konflikte zwischen Diess und Osterloh. Aber auch im Management rumorte es oft, seit der frühere BMW-Manager 2015 nach Wolfsburg kam und 2018 an die Konzernspitze rückte. Er reiße mehr Baustellen auf, als er bearbeiten könne und wolle, heißt es oft. Außerdem gilt Diess als impulsiv und menschlich bisweilen schwierig. „Es hat ihn noch niemand ausgleichend erlebt“, sagte einmal ein VW‑Manager. „Ich bin angetreten, etwas zu verändern“, sagte Diess selbst. Und ein anderer Topmanager stellte fest: „Der geht gern an die Grenze – und auch darüber hinaus.“
Machtprobe im vergangenen Jahr
Ende vergangenen Jahres zum Beispiel. Nach massiven Anlaufschwierigkeiten mit dem neuen Golf und dem elektrischen ID.3 wackelte der Stuhl des Chefs, und Diess stellte laut vernehmlich die Vertrauensfrage: Sein Vertrag, immerhin noch bis April 2023 gültig, müsse vorzeitig verlängert werden. Er brauche Rückhalt für den radikalen Umbau. Den bekam er – aber keinen neuen Vertrag. „Seine reale Chance ist genau null Prozent“, hatte es schon vor der entscheidenden Sitzung geheißen. „Der meint, der Laden gehöre ihm.“
Er gehört vor allem den Familien Porsche und Piëch. Zu ihnen soll Diess kein sonderlich enges Verhältnis haben, aber er ist ihr Garant für den Wandel des Konzerns. Außer vielleicht Ferdinand Piëch in den Neunzigerjahren hat kein VW‑Chef das Unternehmen so radikal umgebaut wie Diess in seinen gerade erst drei Jahren an der Spitze. Er will aus dem Autobauer einen Technologiekonzern machen, orientiert sich an Silicon-Valley-Größen wie Elon Musk und Jeff Bezos und will nach deren Vorbild auch den Aktienkurs hochtreiben.
Mehr Gewinn als vor der Krise
Gerade ist ihm das wieder gelungen. Auch mit der Halbjahresbilanz befasste sich der Aufsichtsrat, und eine Zahl wurde vorab veröffentlicht: Der operative Konzerngewinn habe im ersten Halbjahr bei rund 11 Milliarden Euro gelegen. Das ist nicht nur ein Sprung gegenüber rund 800 Millionen Euro Verlust im pandemiebelasteten ersten Halbjahr 2020. Es ist auch mehr als vor der Krise. Die Zahl und die Botschaft, dass sich das Geschäft „stark erholt“ habe, ließen den Kurs der VW‑Aktie um fast 6 Prozent steigen. Da war die Verlängerung für Diess noch gar nicht bekannt.