Die Autowelt ist ein Versuchslabor
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Journalisten schauen sich am Messestand von Mercedes vor Beginn der Internationalen Automobilausstellung (IAA Mobility) die neuen Modelle an.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
München. Topmanager lassen sich ungern in irgendetwas übertreffen. Deshalb sind sie geworden, was sie sind – das Thema spielt dabei keine große Rolle. So ist es für die Klimaaktivisten auf der IAA Mobility in München nicht mehr ganz einfach, Angriffsfläche zu finden. Vor zwei Jahren setzten sie mit ihrem Protest noch die Agenda und hinterließen eine ratlose Branche im Tal der Tränen. Jetzt empfängt der VW-Chef die Greenpeace-Protestler mit freundlicher Plauderei, sein BMW-Kollege geht mit einer Ökooffensive in die Messe, und ihr Branchenverband VDA bekennt sich unermüdlich zu den Klimazielen.
Darauf wären die Konzerne allerdings nicht von selbst gekommen. Es brauchte den massiven Protest, eine klimabewegte Jugend und politische Vorgaben in vielen Teilen der Welt, um den Wandel voranzutreiben. Tatsächlich hat er – daran mag sich der Protest noch lange aufrichten – gerade erst begonnen.
Manchen Trends ist zu wünschen, dass sie bald wieder verschwinden
Und er treibt durchaus sonderbare Blüten: Der Boom schwerer Hybrid-SUV ist eine hoffentlich kurzlebige Absurdität, erzeugt von Abgasvorschriften auf der einen und Kundenvorlieben auf der anderen Seite: Starker Motor mit formal niedrigem Verbrauch ist eine unwiderstehliche Kombination. Dass sie im Alltag vor allem übergewichtig und übermotorisiert sind – nun ja.
Auch die Ökobilanz von Elektroautos ist noch längst nicht makellos, der Verzicht auf Kohlestrom und Rohstoffe fragwürdiger Herkunft bleibt eine schwere Aufgabe. Und selbst über neue Mobilitätsservices, von denen sich manche weniger Autos erhoffen, lässt sich streiten. In einigen Fällen ahnt man schon heute, dass sie weder der Umwelt noch dem Umsatz viel bringen werden.
Doch solche Herausforderungen sind zu bewältigen, während die Übersetzung der alten Autowelt in eine umweltverträgliche Zukunft schlicht unmöglich wäre. Es sind Nebenwirkungen eines Umbaus, wie ihn noch keine Industrie wagen musste – in dieser Radikalität und erst recht in diesen Dimensionen. Schließlich geht es um Produkte, an denen allein in Deutschland Hunderttausende Arbeitsplätze und Wohl und Wehe ganzer Landstriche hängen.
Drang zum Erfolg
Druck von außen hat den Wandel angestoßen, aber die Dynamik der Industrie mit ihrem schlichten Drang zum Erfolg hat ihn in Fahrt gebracht. Ungezählte Versuche mit innovativen Vernunftautos waren kommerziell gescheitert. Es brauchte Tesla, um zu lernen, dass ein gutes Gewissen erst in Verbindung mit Status und Spaß gekauft wird. Für Vernunft allein legt die Kundschaft nicht mehrere Monatsgehälter auf den Tisch.
Diese Erkenntnis und Milliarden staatlicher Kaufhilfen haben die Elektromobilität schneller vorangebracht, als man es noch vor wenigen Jahren für möglich hielt – nicht zum ersten Mal gilt in der Industrie das Prinzip „langsam, aber gewaltig“. Die Autowelt ist gerade ein riesiges Versuchslabor. Überall wird das Verhältnis von Vernunft und Kommerz neu austariert. Und alle haben geirrt, die mit dem Elektroantrieb eine gleichförmige Autowelt kommen sahen. Im Gegenteil: Wer ohne Achtzylinder leben kann, findet mehr Vielfalt als je zuvor. Es ist schade, dass Corona der IAA Mobility einen Fehlstart beschert. Sie zeigt nicht nur die alte Vielfalt von Kleinwagen und Luxuslimousinen, sondern auch die neue von Lastenrädern und Mobilitätsservice.
Was davon wie viel Erfolg hat, wird sich zeigen. Denn so übermächtig die Weltkonzerne scheinen und manchmal auch sind: Am Ende ist es ihnen egal, ob sie Leder oder vegane Innenausstattung verkaufen, ob das Auto wahnsinnig schnell oder irre sparsam ist. Sie wollen nur unser Geld. Und jeder kann selbst entscheiden, ob und wofür sie es bekommen.