Compliance bei Wirecard: keine Kontrolle, keine E‑Mail, kein Geschäft
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Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun ist der Hauptangeklagte im Münchner Betrugsprozess.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
München. Compliance ist ein nicht mit einem Wort zu übersetzender Begriff der Unternehmensführung. Dahinter verbergen sich rechtskonformes Handeln und firmeninterne Kontrolle. Die Complianceabteilung eines Konzerns wacht darüber, dass keine Rechte gebrochen und Gesetze befolgt werden. Aus wem die Complianceabteilung bei Wirecard bestand, will Richter Markus Födisch von der Zeugin im Münchner Betrugsprozess um die 2020 kollabierte Skandalfirma wissen. „Das war ich als einzige Vollzeitmitarbeiterin“, sagt die 41-Jährige. Sie ist die erste Zeugin, die in dem Fall vor dem Landgericht München aussagt. Für einen früheren Dax-Konzern ist das ein wahrlich dürftiges Personaltableau. Was Zeugin Christine A. dann erzählt, erklärt die spartanische Besetzung aber recht gut.
Einmal sei es um das Rechtsgutachten einer Anwaltskanzlei gegangen, dem die Wirecard-Compliance 2018 zuarbeiten sollte. Schon damals sollte die Frage geklärt werden, ob im Asiengeschäft Umsätze frei erfunden und Konzernbilanzen gefälscht wurden. Sie habe sich an die Arbeit gemacht, erzählt die 41-Jährige. „Dann hat Jan gesagt, er macht es selbst, und ich war raus“, erklärt sie.
Ehemaliger Wirecard-Chef Markus Braun verantwortet sich vor Gericht
Zweieinhalb Jahre nach der Pleite des Finanzdienstleisters hat in München der Prozess gegen Ex-Chef Braun und zwei weitere frühere Manager begonnen.
© Quelle: Reuters
Jan heißt mit Nachnamen Marsalek und ist der heute flüchtige sowie damals für das Asiengeschäft zuständige Wirecard-Vorstand. Vor Gericht stehen mit dem früheren Wirecard-Chef Markus Braun, dem Kronzeugen Oliver Bellenhaus und dem ehemaligen Chefbuchhalter Stefan E. nur die drei Manager, derer die Justiz habhaft werden konnte. Sie habe intern damals dagegen protestiert, dass Marsalek für die Kanzlei alle nötigen Informationen besorgt, sagt Christine A. Denn der sei qua Vorstandsamt für das zu prüfende Geschäft zuständig gewesen. „Wenn derjenige, um den es geht, die Untersuchung leitet, kann er machen, was er will“, sagt die Rechtsexpertin noch heute empört.
Das damalige Resultat des Rechtsgutachtens gibt ihr recht. Es hatte Wirecard eine weiße Weste bescheinigt, was falsch war, wie man heute weiß. Bei der Wirecard-Pleite im Juni 2020 fehlten 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten. Dieses Geld hat es wohl nie gegeben. Gleiches gilt für dahinterstehende Geschäfte über Drittpartner in Asien, was auf dem Papier lange ganz anders aussah.
Die Zeugin stützt die Anklage in einem wesentlichen Punkt
„Das Drittpartnergeschäft war das eigentliche Standbein“, weiß die Zeugin. Ohne es hätte Wirecard ab 2017 defizitär gewirtschaftet. Nach der Pleite habe sie dem Insolvenzverwalter zugearbeitet, um die Existenz von Geschäften nachzuprüfen. Nicht eine einzige E-Mail zwischen Wirecard und den Händlern, die Drittpartner angeblich vermittelt hatten, sei aufgetaucht. Auch nach der Pleite habe sich keiner gemeldet, obwohl mit Wirecard ihr Zahlungsdienstleister über Nacht weg gewesen und betroffene Händler dann nicht mehr bezahlt worden seien.
Das sind schlagende Indizien für die These, dass es weder das Drittpartnergeschäft noch die Treuhandmilliarden je gegeben hat. Sie bestätigten Vorwürfe von Staatsanwälten und Aussagen des Kronzeugen Bellenhaus. Braun als Hauptbeschuldigter behauptet dagegen, Geschäft und Geld habe es gegeben. Die Milliarden seien vielmehr von einer Bande um Marsalek und Bellenhaus geraubt worden.
Kurz vor der Pleite habe sie im Rahmen einer Sonderprüfung bei der Kreditkartenfirma Visa um Verifizierung von Transaktionsdaten angeblicher Wirecard-Händler gebeten, sagt die Zeugin. „Sie konnten nicht bestätigt werden“, stellt sie klar. Zuvor habe sie bisweilen ein ungutes Gefühl beschlichen, wenn ihre Mahnungen zu guter Unternehmensführung wieder einmal verpufft waren oder sie intern kaltgestellt wurde. „Aber als dann klar wurde, dass es die Geschäfte gar nicht gab, war es für jeden ein Schock“, beschreibt die Zeugin die Tage um die Pleite herum. Dass so vieles nur erfunden war, habe sie sich bis zuletzt nicht vorstellen können. „Man geht jeden Tag in die Arbeit und denkt, das ist ein Unternehmen.“