Kommentar

Bildungspolitik muss Chefsache werden

Olaf Scholz während der Sat.1-Sendung „Kannste Kanzleramt?“ im Bundestagswahlkampf: Kaum zu überschätzende Dynamik.

Olaf Scholz während der Sat.1-Sendung „Kannste Kanzleramt?“ im Bundestagswahlkampf: Kaum zu überschätzende Dynamik.

Berlin. Es ist zum Verzweifeln: Trotz wachsenden Problembewusstseins, unzähliger Reformen und immer neuer Milliarden schafft Deutschland es einfach nicht, ein Schulsystem aufzubauen, das dem Entwicklungsstand und der wirtschaftlichen Bedeutung des Landes gerecht wird. 20 Prozent der Grundschulkinder können am Ende der vierten Klasse nicht richtig schreiben, lesen oder rechnen. Jeder fünfte Grundschüler erreicht nach vier Jahren Schule nicht einmal die Mindeststandards.

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Das sagt nicht irgendwer, das sagt die Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz – jenes Gremium, in dem die 16 Landesminister und Landesministerinnen sitzen, die das Desaster zu verantworten haben. Angesichts der niederschmetternden Bilanz kann man ohne zu übertreiben von einem System­versagen sprechen. 21 Jahre nach dem Pisa-Schock fragt man sich, was Deutschlands Bildungspolitiker in den vergangenen zwei Jahrzehnten eigentlich gemacht haben. Oder haben sie in ihrem Reformeifer womöglich zu viel gemacht?

So oder so sind es nicht nur die Kinder, die leiden, weil sie nicht jene Förderung bekommen, die sie brauchen und verdienen. Auch die Gesellschaft bezahlt einen extrem hohen Preis. Die vermurkste Bildungspolitik führt zu mehr Schulabbrechern, mehr Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz, mehr Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben. Angesichts der demografischen Entwicklung und des schon heute dramatischen Fachkräftemangels kann sich unser Land einen solch verschwenderischen Umgang mit seiner wichtigsten Ressource – den Köpfen – auch volkswirtschaftlich nicht mehr leisten.

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Deutschland muss größer denken

Die Vorschläge, die nun wieder auf den Tisch kommen, sind kaum mehr als ein Herumdoktern an Sympto­men: Konzentration auf Deutsch und Mathematik, intensivere Übungsphasen, mehr Lernstands­überprüfungen. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, dass sich das Problem mit ein bisschen mehr Mathe und ein paar zusätzlichen Tests lösen ließe?

Es ist an der Zeit, größer zu denken. Und radikaler. Deutschland braucht keine 16 Schulsysteme. Die Bundes­länder haben wieder und wieder bewiesen, dass sie es nicht schaffen, für ausreichend Personal, gut sanierte Gebäude oder zielführende Lehrpläne zu sorgen. Nicht einmal flächendeckendes WLAN bekommen sie hin.

Und die Kultusministerkonferenz, die sich um gemeinsame Standards kümmern sollte, hat sich bis heute nicht einmal auf eine einheitliche Schreibschrift verständigt, die an Deutschlands Grundschulen unterrichtet wird. Stattdessen gibt es vier. Ganz zu schweigen von all den Problemen und Widrigkeiten, mit denen Teenager konfrontiert sind, die mit ihren Eltern in ein anderes Bundesland umziehen.

Der Bildungsföderalismus funktioniert nicht

Der Bildungsföderalismus in seiner heutigen Ausgestaltung funktioniert nicht. Die Erkenntnis mag bitter für die Länder sein, die ohnehin kaum noch eigene Zuständigkeiten haben, aber es führt kein Weg an ihr vorbei: Der Bund sollte die Regie über Deutschlands Schulen übernehmen.

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Das Thema Bildungspolitik bekäme schlagartig einen anderen Stellenwert – in der Politik wie in der medialen Öffentlichkeit. Einheitliche Rahmenbedingungen, gemeinsame Lernstandards und bundesweite Förder­programme ließen sich definieren. Es wäre einfacher, Verantwortliche zu benennen. Mittel würden schneller und großzügiger fließen. Und vor allem müsste sich dann auch ein deutscher Kanzler am Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler messen lassen.

Ein Bundestagswahlkampf zur deutschen Bildungspolitik? Die Dynamik, die daraus resultieren würde, kann man gar nicht groß genug einschätzen. Warum versuchen wir es nicht einfach mal? Lasst uns Bildungspolitik zur Chefsache machen!

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