Arbeitspsychologin zum Homeoffice: „Zeit für Erholung kann man nicht aufschieben“

Das Arbeiten im eigenen Zuhause ist in Corona-Zeiten zur Selbstverständlichkeit geworden, doch der Job im Homeoffice kann auch zur Belastung werden.

Das Arbeiten im eigenen Zuhause ist in Corona-Zeiten zur Selbstverständlichkeit geworden, doch der Job im Homeoffice kann auch zur Belastung werden.

Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsalltag für viele verändert. Wer sich sonst morgens ins Auto oder aufs Fahrrad gesetzt hat, um zum Büro zu fahren, geht heute einfach in den Nachbarraum. Mittlerweile sind die Arbeitgeber von der Bundesregierung verpflichtet worden, Homeoffice anzubieten, wenn keine wichtigen Gründe dagegen­sprechen. Die Mitarbeiter müssen dieses Angebot aber nicht annehmen.

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Viele haben sich trotzdem dazu entschlossen: Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus dem Dezember arbeitet derzeit jeder Vierte (25 Prozent) ausschließlich im Homeoffice. Das sind mehr als zehn Millionen Berufstätige. Weitere 20 Prozent arbeiten teilweise zu Hause.

Carmen Binnewies, Arbeitspsychologin an der Universität Münster.

Carmen Binnewies, Arbeitspsychologin an der Universität Münster.

Carmen Binnewies ist Professorin für Arbeits­psychologie und leitet den entsprechenden Fachbereich an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ihre Forschungs­schwerpunkte umfassen Stress, Erholung und Work-Life-Balance.

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Frau Binnewies, ist Homeoffice eigentlich stressiger als die Arbeit im Büro?

Prof. Carmen Binnewies: Ich würde sagen, es gibt im Homeoffice andere Anforderungen an die Mitarbeiter. Zum Beispiel muss man sich allein darum kümmern, dass die Technik läuft, das ist ja eine wichtige Grund­voraussetzung. Und dann gibt es zum Beispiel keine Kantine und man muss sich selbst und vielleicht auch der Familie Mittagessen kochen. Das sind nur Kleinigkeiten, aber das sind Dinge, die obendrauf kommen und Zeit kosten. Außerdem werden im Homeoffice natürlich Arbeit und Privatleben stärker miteinander vermischt. Das liegt nicht jedem. Manche bekommen das Gefühl, dass es gar keine Arbeitszeit und Freizeit mehr gibt, sondern der ganze Tag verschwimmt. Das kann zu einer psychischen Belastung werden.

Welche Strategien empfehlen Sie, wenn Homeoffice zur Belastung wird?

Wenn die Situation einen überfordert, sollte man sich das eingestehen und versuchen, die beiden Lebensbereiche so gut es geht voneinander zu trennen. Zum Beispiel kann man vorher klar festlegen, wann Feierabend ist. Das bedeutet nicht, dass man sich daran sklavisch halten muss. Wenn etwas noch 20 Minuten braucht, bis es fertig ist, kann es sinnvoll sein, die Zeit dranzuhängen und dafür am nächsten Tag später anzufangen. Wichtig ist aber, dass man sich bewusst macht, dass man Zeit für Erholung nicht aufschieben kann. Wir müssen uns regenerieren, sonst haben wir immer weniger Energie und die Arbeit geht dann schlechter von der Hand. Wenn man aufhört zu arbeiten, ist das also nicht selbstsüchtig, sondern klug – auch im Sinne der Arbeit.

Für Familien gibt es oft noch ganz andere Herausforderungen.

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Ja, viele Eltern haben derzeit mehr Aufgaben als sonst, weil die Kinder nicht in die Kita oder die Schule gehen können. Diese Mehrarbeit kann man auch nicht schönreden oder ändern. Aber es bringt etwas, sich gut mit dem Partner abzusprechen. Wenn der eine Elternteil zum Beispiel weiß, er braucht jetzt mal zwei Stunden am Stück, an denen er ungestört arbeiten kann, dann kann vielleicht der andere in dieser Zeit für Fragen der Kinder da sein. Aber es ist auch wichtig, Me-Time zu haben. Denn nur weil man fertig mit der beruflichen Arbeit ist, heißt das ja noch lange nicht, dass man Zeit für Erholung hat. Diese Me-Time sollte man sich nehmen und auch verteidigen. Dafür kann man nur selbst einstehen, da kümmert sich niemand anderes drum.

Es gibt ja nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Vermischung der Lebensbereiche. Aus Ihrer Sicht: Sollte der Computer neben dem Bett stehen?

Wenn man damit kein Problem hat, spricht nichts dagegen. Aber wenn einem diese räumliche Vermischung schwerfällt und man plötzlich ständig an die Arbeit denkt, ist es sinnvoll, Bereiche abzugrenzen. Man sollte dann in der Wohnung Zonen festlegen, wo die Arbeit nicht hinkommt – und sich auch daran halten. Das hat mit Disziplin zu tun. Für Familien ist das natürlich manchmal noch schwieriger. Gerade wenn beide Elternteile im Homeoffice arbeiten, gibt es oft einfach nicht genügend Zimmer, um diese Abgrenzung durchzuhalten.

Hat Homeoffice auch Vorteile?

Natürlich. Homeoffice bietet sehr viel Flexibilität. Wenn ich früher immer um 8 Uhr im Büro sein musste, kann ich jetzt auch mal erst um 8.30 Uhr anfangen und dafür länger machen. Außerdem spart man sich den Arbeitsweg, das ist ein echter Zeitfaktor. Und ich habe auch beobachtet, dass nicht mehr jedes Meeting unbedingt stattfinden muss. Die Chefs überlegen mehr, was wirklich wichtig ist. Das ist gut, diese neue Situation führt zu einem Umdenken auch in anderen Bereichen.

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Wenn Meetings nur wenig und wenn, dann virtuell stattfinden und auch andere Treffen mit den Kollegen ausfallen, was macht das mit dem Team?

Das ist natürlich schwierig. Es gab auch schon vor der Pandemie Studien, die gezeigt haben, dass man weniger positive Teamerfahrungen macht, wenn man viel im Homeoffice arbeitet. Aber nur weil wir uns physisch nicht sehen können, heißt das ja nicht, dass wir uns gar nicht mehr sehen. Auch virtuell kann man Raum schaffen, sich auszutauschen. Natürlich ist das nicht das Gleiche. Aber es hilft ja nichts, immer daran zu denken, was gerade nicht geht. Besser ist es zu überlegen, was man tun kann, um auch positive Erfahrungen wieder möglich zu machen.

Kann im Homeoffice die Motivation für den Job verloren gehen?

Es gibt einige Studien, die zeigen, dass Menschen im Homeoffice mehr arbeiten als sonst. Man sollte da auch nicht so streng mit sich sein, auch im Büro arbeitet man ja nicht jede Minute effektiv am Computer. Da kommt auch mal ein Kollege vorbei und erzählt fünf Minuten vom Wochenende. Grundsätzlich ist aber gerade im Homeoffice wichtig, dass die Mitarbeiter wissen, was die Ziele sind und wie zusammen­gearbeitet werden soll. Mangelnde Motivation kommt oft aus Frustration, weil eben diese Dinge nicht ausreichend geklärt wurden.

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