Fronten verhärten sich

„Finger weg“: Verdi und DGB weisen Forderungen nach begrenztem Streikrecht scharf zurück

Teilnehmer einer Streikversammlung der Münchner Straßenreiniger stehen im Rahmen eines zweitägigen Warnstreiks mit Verdi-Flaggen auf dem Marienplatz.

Teilnehmer einer Streikversammlung der Münchner Straßenreiniger stehen im Rahmen eines zweitägigen Warnstreiks mit Verdi-Flaggen auf dem Marienplatz.

Berlin. Während in Deutschland eine neue Streikwelle droht, verhärten sich die Fronten zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite. Der Arbeitgeberverband BDA will nun sogar in das Streikrecht eingreifen. Angesichts der Arbeitsniederlegung an den Flughäfen in der vergangenen Woche hatte Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter von „überzogenen Streikzielen“ geredet. Das Arbeitskampfrecht werde zunehmend unberechenbar, so Kampeter. Eine „gesetzliche Regelung“ sei überfällig.

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Kampeter legte am Mittwoch nach – und erklärte, was dem Arbeitgeberverband vorschwebt. Besonders wichtig für eine gesetzliche Präzisierung des Arbeitskampfrechts seien Ankündigungsfristen bei Arbeitskampfmaßnahmen, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Wichtig sei auch die gesetzliche Verpflichtung einer Schlichtung vor Einleitung eines Arbeitskampfes. „Ebenso gehört dazu eine Klarstellung der zulässigen Mittel des Arbeitskampfs“, so Kampeter weiter. Gesetzlich solle verankert werden, dass Streik – aber auch die sogenannte Aussperrung – immer „nur das letzte Mittel in einer Tarifauseinandersetzung“ sein dürften.

Kitas zu, Busse unregelmäßig: Warnstreiks in mehreren Städten

„Unverhältnismäßige“ Streikmaßnahmen – dazu gehören aus BDA-Sicht die Warnstreiks an den Flughäfen oder die umfassenden Streiks, die bei der Post drohen – passen laut Kampeter nicht in die Zeit. „Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor existenziellen Herausforderungen durch die Energiekrise“, sagt er. „Das Weiterlaufen des öffentlichen Lebens ist ein Gebot der Stunde.“ Jüngste Ankündigungen von Verdi sehe der BDA höchst kritisch und in großer Sorge.

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Öffentlicher Dienst fordert Angebot der Arbeitgeber

Die Verhandlungen für die rund 2,5 Millionen Tarifbeschäftigten gehen in Potsdam in die nächste Runde.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erwartet zur zweiten Tarifrunde, die am Mittwoch in Potsdam startet, nun ein Angebot der Arbeitgeber. Verdi und der Beamtenbund DBB fordern für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Bereits in den vergangenen Tagen ist es deswegen in mehreren deutschen Städten zu Warnstreiks gekommen, Busse und Bahnen fuhren nur unregelmäßig, Kitas blieben geschlossen, Mülltonnen wurden nicht geleert.

Verdi-Vorsitzender Werneke: Streikrecht hat Verfassungsrang

„Der Vorstoß der CDU-Mittelstandsunion und nun auch der BDA kommt alles andere als überraschend“, kommentiert der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke den BDA-Vorschlag. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Arbeitgeber und ihre Unterstützer in der Union mit der Forderung kommen, das Streikrecht zu beschneiden.“ Die Forderung sei so abwegig wie irreführend: „Seit jeher bieten wir in besonders sensiblen Bereichen wie etwa Krankenhäusern oder in der vergangenen Woche an einigen Flughäfen den Abschluss von Notdienstvereinbarungen an, um einen Mindestbetrieb sicherzustellen“, sagte Werneke dem RND.

Der Verdi-Vorsitzende Werneke vor Demonstrierenden. Die Gewerkschaft fordert 15 Prozent mehr Lohn für Postangestellte.

Der Verdi-Vorsitzende Werneke vor Demonstrierenden. Die Gewerkschaft fordert 15 Prozent mehr Lohn für Postangestellte.

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Dort wo das nicht zustande komme, scheitere es an den Arbeitgebern. „Um das klar zu sagen: Die Möglichkeit zu streiken ist für abhängig Beschäftigte der einzige Weg, ihre Interessen wirkungsvoll durchzusetzen“, so Werneke weiter. Werde ihnen dieses Recht genommen, „verkommen Tarifverhandlungen zu kollektiver Bettelei.“ Das möge aus der BDA-Perspektive vielleicht erstrebenswert sein, meint der Verdi-Chef. Aus Sicht der Beschäftigten sei das hingegen nicht akzeptabel. „Das Streikrecht hat Verfassungsrang in Deutschland“, sagte Werneke. „Es beschneiden zu wollen ist ein Angriff auf das Grundgesetz. Deshalb: Hände weg vom Streikrecht!“

Ähnlich äußert sich auch die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. „In Zeiten von Rekordinflationsraten kämpfen Beschäftigte in Deutschland um notwendige und gerechte Lohnerhöhungen“, sagte sie dem RND. „Und da fällt manchen nichts Besseres ein, als darüber zu diskutieren, ihre Grundrechte zu beschneiden? Finger weg vom Streikrecht!“

Linken-Fraktionschef Bartsch: Erinnert an Thatcherismus

Die Gewerkschaft beruft sich bei ihren Forderungen auf die gestiegenen Kosten der Inflation. Berechtigt, findet auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. „Die Forderung von 10,5 Prozent mehr Geld ist nach drei Jahren mit Reallohnverlusten und einer aktuell historisch hohen Inflation mehr als gerechtfertigt.“ Natürlich seien die aktuellen Streiks zwar ein großes Ärgernis für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger.

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Aber: „Die Verantwortung für diese langen Auseinandersetzungen tragen die Arbeitgeber und nicht die Gewerkschaften“, so Bartsch. „Die Arbeitgeber könnten morgen alle Streiks beenden, auch an den Flughäfen.“ Dafür sollten sie die berechtigten Forderungen der Arbeitnehmerseite erfüllen, so der Linken-Politiker. „Peinlich ist, dass der BDA-Hauptgeschäftsführer jetzt die Rechte der Gewerkschaften beschneiden will. Steffen Kampeters Vorschlag erinnert an finsteren Thatcherismus.“

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SPD: Streikrecht ist ein Grundrecht

Auch die SPD-Fraktion im Bundestag stellt sich hinter die Streikenden. „Es ist gut und richtig und mit Blick auf die Inflation auch genau der richtige Zeitpunkt, für eine faire Lohnentwicklung zu streiten. Es liegt in der Natur der Sache, dass damit auch teils starke Einschränkungen für Dritte verbunden sind“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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„Die meisten Menschen zeigen sich jedoch solidarisch“, meint sie. Viele wüssten, welchen Einsatz die Beschäftigten im öffentlichen Dienst – gerade in den sozialen Bereichen – tagtäglich leisten würden. „Jetzt sind alle Seiten aufgerufen, die Verhandlungen konstruktiv fortzuführen und zu einem guten Ergebnis zu kommen“, so die SPD-Politikerin. Die Forderung nach einer Einschränkung des Streikrechts sei völlig unangebracht. „Das Streikrecht ist ein Grundrecht und Teil des fairen Ausgleichs zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen“, sagte Schmidt. „Wir stehen solidarisch an der Seite derjenigen, die den Laden am Laufen halten.“

Bei der Deutschen Post drohen Arbeitsniederlegungen

Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst sind jedoch nicht der einzige Tarifkonflikt, der im Raum steht. Auch zwischen der Deutschen Post und Verdi kann es in den kommenden Wochen zum lauten Knall kommen – beziehungsweise zu groß angelegten Arbeitsniederlegungen. Am Montag hat die Gewerkschaft eine Urabstimmung begonnen.

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Lehnen mehr als 75 Prozent der Postbeschäftigten das Angebot des Bonner Konzerns ab, soll es zum Streik kommen. Für die 160.000 Beschäftigten der Deutschen Post, für die der Tarifvertrag gilt, fordert Verdi 15 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von einem Jahr.

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