Warum es beim Einsparen von Erdgas nicht vorangeht
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Ein Anzeige für Druck ist in der Anlage des Gasspeichers Wolfersberg, östlich von München.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Frankfurt am Main. Das Spardilemma: Es kommt immer weniger Gas aus Russland. Doch bislang wird kaum am Brenn- und Rohstoff gespart. Dabei müsste schon jetzt so viel wie möglich in die unterirdischen Speicher eingelagert werden, um durch den Winter zu kommen. Doch das mit der Reduktion des Verbrauchs erweist sich zunehmend als ziemlich komplizierte Angelegenheit.
Die Sparsamkeitsappelle von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind inzwischen zum Basissound der Energiekrise geworden. Aber: „In diesem Jahr können wir in München bisher gegenüber normalen Jahren keinen verringerten Gasverbrauch feststellen, den man nicht durch die Temperaturentwicklung erklären könnte“, sagte Florian Bieberbach, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke München (SWM), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er fügt hinzu: „Daraus kann man schließen, dass die Verbraucher und die Unternehmen von Anfang Januar bis Ende Juli nicht nennenswert Gas eingespart haben.“ Bieberbach sieht verschiedene Gründe für die stabile Nachfrage. Einer ist enorm simpel: „Momentan kann man als Privathaushalt wenig sparen.“
Natürlich kann kürzeres Duschen (ein Habeck-Spartipp) etwas bewirken, allerdings nur in einem sehr überschaubaren Rahmen. Der maßgebliche Faktor ist die Heizung, die wurde in diesem Jahr nicht nur in München schon früh abgestellt, und dabei dürfte es bis mindestens Mitte September bleiben. Was dann passiert, ist offen.
Marktmechanismen funktionieren nicht
Bieberbach hat jedenfalls bei seinen Kunden Bemerkenswertes beobachtet: „Es ist interessant zu sehen, dass schon seit Herbst 2021 die Lage bei der Gasversorgung extrem angespannt ist, dass aber zumindest in München kein Einspareffekt sichtbar ist.“ Es daheim schön warm zu haben ist offenbar vielen Verbrauchern enorm wichtig. „Die Zahlungsbereitschaft für Strom und Gas ist nach wie vor extrem hoch und bei den meisten Menschen sogar höher als die stark gestiegenen Preise“, erläutert der SWM-Chef im Gespräch mit dem RND. Marktmechanismen funktionierten vielerorts offenbar nicht. „Die Nachfrage ist äußerst unelastisch: Wenn Preise steigen, passiert erst mal nicht viel auf der Nachfrageseite. Daher kommen die unglaublich hohen Preise im Gasgroßhandel, die eigentlich eine vollkommene Übertreibung sind“, so Bieberbach.
An der Börse kostete am Dienstagnachmittag die Megawattstunde für die Lieferung im August knapp 200 Euro. Das ist fast das Zehnfache im Vergleich zum Vorjahr.
Wie steht es angesichts solcher Preise ums Gewerbe? Da sieht Bieberbach zwar Einsparmöglichkeiten. Aber vor allem große Unternehmen seien ohnehin schon sehr effizient aufgestellt. „Da wird nichts verschwendet. Die Firmen sagen eher: Wir produzieren, solange wir Gas haben. Und wenn das Gas abgestellt wird, dann müssen wir die Produktion halt stoppen.“
Hierbei spielt auch eine Rolle, was Manager nur hinter vorgehaltener Hand einräumen. Insbesondere Firmen, die auf große Mengen Erdgas angewiesen sind, haben sich langfristig mit Lieferverträgen bei Versorgern mit mehr oder weniger fixen Konditionen abgesichert, und zwar mit Laufzeiten bis zu drei Jahren. Diese Unternehmen spüren die exorbitanten Aufschläge im Gasgroßhandel kaum, die Kosten bleiben so unter Kontrolle, und der Sparanreiz ist denkbar gering.
Laue Konjunktur drückt die Nachfrage
Offen ist aber, wie lange so ein Effekt im größeren Stil noch anhält, und uneingeschränkt dürfte das ohnehin nicht für alle Händler, Dienstleister und Industriebetriebe gelten. So machte Kerstin Andreae, Chefin des Energiedachverbandes BDEW, schon anlässlich der Daten für die ersten fünf Monate darauf aufmerksam, dass der gesunkene Erdgasverbrauch neben der günstigen Witterung auch „auf die wirtschaftliche Eintrübung, Appelle zum Energiesparen oder persönlich motivierte Einspareffekte“ zurückzuführen sei.
Womöglich schlägt vor allem der konjunkturelle Faktor inzwischen noch einmal deutlicher durch. So deuten die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Finanzdienstleisters S&P Global unter europäischen Einkaufsmanagern darauf hin, dass viele Industrieunternehmen starke Verluste an Neuaufträgen, Einbrüche beim Absatz und einen „beispiellosen Anstieg von unverkauften Lagerbeständen“ hinnehmen müssen. Ein derartiger Einbruch würde sich besonders bei exportlastigen deutschen Firmen bemerkbar machen, was sich dann auch in der Gasnachfrage abbilden würde. Im Juni jedenfalls ist der hiesige Gasverbrauch laut Datenportal Statista bereits auf 25 Terawattstunden nach rund 46 Terawattstunden im Vorjahr gesunken: Es wird aber nicht gespart, sondern schlicht weniger produziert.
Habeck zu Gassparplan: „Europa lässt sich nicht spalten“
Kurz vor dem Sondertreffen der EU-Energieminister an diesem Dienstag kündigt Russland eine weitere Drosselung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 an.
© Quelle: dpa
Und trotz einer unwillkommenen industriellen Nachfragereduktion beim Gas könnte es im Winter eng werden, erst recht, wenn Putin den Gashahn ganz zudrehen sollte – von Mittwoch an fließt nur noch 20 Prozent der möglichen Menge durch die Nord-Stream-Pipeline. Habeck will deshalb unverdrossen weiter auf die Spartaste drücken. So soll bei der Stromproduktion weitgehend auf Gas verzichtet werden und verstärkt Kohle zum Einsatz kommen. Doch beim Reaktivieren der eingemotteten Kraftwerke tun sich zunehmend technische und logistische Probleme auf. „Wir haben in München das Problem, dass wir die Kohlemengen, die wir verfeuern könnten, gar nicht bekommen. Das liegt auch in anderen Städten an logistischen Problemen beim Transport der Kohle per Schiff und per Eisenbahn“, erläutert Bieberbach. Auch wenn all diese Fährnisse beseitigt sind, muss noch mehr passieren.
Einige einfache Regeln bringen große Wirkung
Immerhin will die Bundesregierung Anfang Oktober umsetzen, was viele Experten schon im Frühjahr gefordert hatten. Unternehmen sollen mit Beginn der Heizsaison Geld bekommen, wenn sie ihren Gasverbrauch unter das eigentlich geplante Niveau drücken. Solche Sparprämien hatten renommierte Ökonomen auch für private Haushalte vorgeschlagen. Habeck aber hat das in einem Interview mit einer knappen Formulierung abgebügelt: „Die kriegst du nicht, Alter.“
Was bleibt den Sparwilligen? Bieberbachs Antwort: „Bei Privathaushalten ist die erste spannende Frage, wann die Heizungen wieder eingeschaltet werden. Schon bei der ersten Kältewelle oder erst etwas später?“ Dann stelle sich die Frage, mit welchen Temperaturen eine Heizung laufe. Wirklich wichtig sei auch, wie man lüfte. Effizient sei, ein- oder zweimal am Tag für fünf Minuten kurz durchzulüften. Isolierklebebänder für Fenster könnten eine große Wirkung haben. Ebenfalls das Schließen von Türen zwischen beheizten und nicht beheizten Räumen und der Einsatz von Sparduschköpfen. Die richtig eingestellte Heizung müsse dazukommen. Worauf Habeck ständig hinweist. Gleichwohl, Einsparpotenziale seien bei einem Neubau relativ gering. „Wer aber in einem ungedämmten Altbau wohnt, der kann mit einer klugen Kombination von mehreren Maßnahmen durchaus 30 Prozent einsparen“, so Bieberbach.
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