Sportmanager Dieter Meinhold: Kritik kurz vor WM war „reichlich spät“
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Fans vor dem Al-Thumama-Stadion in Doha (Archivbild).
© Quelle: Ebrahim Noroozi/AP/dpa
Mit dem Thema „Erfolgreiches Managen in Krisenzeiten“ referierte Dieter Meinhold vor ein paar Tagen vor Führungskräften eines Pharmaunternehmens. Die Präsentation hätte er auch vor der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) halten können. Denn über die fegt nach dem WM-Debakel ein Tornado hinweg. Mit Meinhold wäre der Vortrag zudem aus berufenem Munde gekommen. Der 68-Jährige ist seit mehr als 35 Jahren im Sportbusiness unterwegs.
Er hat den Karlsruher SC gemanagt, als der Club noch erstklassig war. Als Vorstand hat er die Marke VfL Bochum mit weiterentwickelt. Bei Opel leitete er die Abteilungen Sponsoring-Kommunikation und Produkt-Promotion mit den Olympischen Spielen 1996, der Fußball-WM und -EM sowie Bayern München als wertvolle Erfahrungsfelder. Meinhold: „Ich hatte das Glück, den Sport von verschiedenen Seiten kennenzulernen. Verein, Verband, national und international.“ Noch interessanter: Vor 14 Jahren hat Meinhold, der jetzt in Heidelberg lebt und immer noch als Berater gefragt ist, als Direktor Sport dem Profifußball in Katar das Laufen beigebracht.
„Katarer geben die Schlüssel nie aus der Hand“
Frühjahr 2007. Meinhold fliegt in Doha ein. Sein Auftrag: Er soll die Qatar Stars League (QSL) mit einem internationalen Expertenteam aufbauen. Doch als er an einem heißen Maimorgen in sein Büro kommt, „steht da nur ein runder Bürotisch, auf dem die ‚Qatar Tribune‘ lag. Kein Computer, kein Fax, kein Telefon, nichts.“ Ein Arbeitsvertrag – Fehlanzeige. Und als er nachfragt, hört er täglich das Mantra: „Inschallah tomorrow“.
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Als sein Team größer wird, fehlt es an Fläche. „Ich mietete in meiner Not für mein Team im Silver-Café von Doha einen Büroraum. Dort arbeiteten dann meine zehn Mitarbeiter an fünf Schülerschreibtischen an ihren privaten Laptops.“ Die schwerfällige Bürokratie, dass Kommunikation via E-Mail unerwünscht ist, das Misstrauen der Vereinsvertreter – all das erschwert das Arbeiten. „Die Katarer geben die Schlüssel nie aus der Hand.“ Jeder Expat, also Ausländer, hat so stets einen Local, einen Einheimischen, an seiner Seite. Meinholds Job in Katar – es war Pionierarbeit im Grenzbereich.
Gehaltszahlungen werden ohne Begründung eingestellt
Geld spielt in Katar keine Rolle, „es geht immer ums Image“. Meinhold erlebt Bizarres. Die jede Nacht hell erleuchteten Stadien, „obwohl keine Menschenseele drin war“ oder das Stadion des Topklubs All Sadd, „eine Miniausgabe von Old Trafford mit offenem Dach, aber Klimaanlage an jedem Sitz“. Die Kehrseite sieht so aus: Gehaltszahlungen werden ohne Begründung eingestellt. Um zugesagte Vertragsinhalte wie Dienstwagen, Telefon oder Unterkunft muss man monatelang kämpfen. „Einer meiner Mitarbeiter, zum Beispiel, hatte noch keinen Arbeitsvertrag, musste alle vier Wochen auf eigene Rechnung mit seiner ganzen Familie ausfliegen, um dann mit der nächsten Maschine mit neuem Touristenvisum wieder einzureisen. In meinem Team war die Verzweiflung oft sehr groß.“
Dass Katar 2010 die WM erhält, für Meinhold ist es keine Überraschung. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Image-Offensive. „Sport ist für die Katarer eine Art weiche Diplomatie, um als kleines Land Aufmerksamkeit zu erzeugen.“ Für Meinhold hat die erste Fußball-WM in einem arabischen Land zwar einen „gewissen Charme“, ist auch eine Chance, „sich mit der Region und der Kultur zu beschäftigen“. Aber die WM hätte niemals nach Katar vergeben werden dürfen.
Thema Ökologie: „Die vollklimatisierten Stadien sind an Dekadenz kaum noch zu überbieten. Hinzu kommen aufgrund fehlender Hotelkapazitäten die unzähligen Fanflüge von Dubai, Bahrain und Oman zu einzelnen Spielen.“ Thema Menschenrechte: „Wenn die Fifa in ihrem Kodex Menschenrechte als nicht diskutierbare Grundlage für eine Bewerbung vorgibt, hätte Katar bereits im Vorfeld ausscheiden müssen.“ Meinhold ist sich sicher: „Nach der zweifelhaften Vergabe 2010 war noch eine Chance, auf dieses Votum einzuwirken. Aber in Europa man hat sich nur um klimatisierte Stadien und den internationalen Terminkalender Sorgen gemacht.“
Die aktuelle Empörung unmittelbar vor WM-Beginn kommt für Meinhold deshalb „reichlich spät und lässt dem Gefühl einer gewissen Doppelmoral großen Raum. Wenn um Gaslieferungen geht, ist man weniger kritisch.“
DFB-Auftritt: „Desaströs – wie vor vier Jahren in Russland“
Ins Bild passt für ihn der DFB-Auftritt. „Desaströs – wie vor vier Jahren in Russland.“ Für ihn ganz klar: „Bei dieser WM hat Mentalität Qualität geschlagen.“ Sorgen um die deutsche Fußballzukunft macht er sich aber nicht: „Hansi Flick wird bis zur EM ein schlagkräftiges Team aufbauen, da bin ich mir sicher. Wir haben die Talente!“
Bundestrainer Hansi Flick bleibt trotz WM-Debakel in Katar im Amt
Als nächster großer Termin steht die Europameisterschaft in Deutschland 2024 an.
© Quelle: Reuters
Peinlich war für Meinhold das Auftreten neben dem Platz. In der Diskussion um die „One Love“-Binde habe der Verband seine Hausaufgaben nicht gemacht, wurde von Fifa-Chef Infantino vorgeführt. „Unser Team mit ‚Hand vor dem Mund‘-Foto kurzfristig noch vor den Medienkarren zu spannen, schien mir etwas hilflos.“ Präsident Bernd Neuendorf habe jetzt die Chance, die „Grundreinigung beim DFB“ einzuleiten. „Für Führungspositionen in den vakanten Feldern reicht es allerdings nicht aus, auf einige Länderspiele zu verweisen.“
Und wie geht es in Katar weiter? Meinhold: „Sie werden weiterhin die Rolle eines Global Players im Sport spielen. Olympia ist da sicher ein Thema.“ Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani erklärte bereits 2015 am Rande der Handball-WM in Katar: „Es ist keine Frage, ob Katar die Olympischen Spiele erhält, nur wann.“ Meinhold: „Diese Großsportveranstaltungen in der jetzigen gigantischen Form sind aber nur noch in autokratischen Strukturen umsetzbar und finanzierbar. Dort, wo Menschenrechte und Umweltschutz keine Rolle spielen. Deshalb bin ich nicht überrascht, wenn sich Saudi-Arabien mit Winterspielen beschäftigt.“