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Roger Federer: Lichtgestalt ohne Allüren

Lichtgestalt: Roger Federer.

Lichtgestalt: Roger Federer.

Nicht viele Menschen schaffen es auf eine Briefmarke – schon gar nicht zu Lebzeiten. Aber es gibt auch nicht viele Menschen, über die eine Liste mit den zehn prominentesten Fans existiert, zu denen unter anderem Bill Gates, Toni Kroos und Bradley Cooper gehören. Und es gibt wohl kaum einen berühmten Sportler auf der ganzen Welt, der praktisch überall beliebt ist, der während seiner gesamten Karriere für keinerlei Skandale gesorgt hat. Über den es nicht mal böse Gerüchte gibt oder Konkurrenten, die sich mit ihm angelegt haben, weil er so furchtbar erfolgreich war und immer noch ist. Außer Roger Federer.

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Es scheiden sich die Geister, ob Albert Einstein, der bekannteste Wissenschaftler der Neuzeit, oder der Tennisgott aus Basel der berühmteste Vertreter seines Landes ist. Niemand wird diese Frage jemals wahrheitsgemäß beantworten können. Fakt ist, dass Einsteins Konterfei erst nach seinem Tod auf eine Briefmarke gedruckt wurde – Federer hingegen war der erste (und bis heute einzige) lebende Schweizer, dem diese Ehre zuteilwurde. Nach seinem fünften Wimbledon-Sieg 2007 (heute hat er acht) schaffte er es, auf unzählige Postsendungen geklebt zu werden, und sagte als damals 25-Jähriger: “Das ist ein Riesenerlebnis für mich. Ich bin sehr stolz, ein solches Symbol für die Schweiz sein zu dürfen wie die Taschenmesser oder die Berge.”

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Es klingt fast so, als sei die Beziehung zwischen dem fünfmaligen Weltsportler des Jahres und seinem Heimatland eine kitschige Liebesgeschichte, doch dies ist ein Märchen. Allein die Tatsache, dass er in den fünf Jahren dieser höchsten Sportlerauszeichnung auf dem Planeten dreimal nicht zum Schweizer Sportler des Jahres gekürt wurde, sagt einiges aus. 2005 wurde es Motorradfahrer Tom Lüthi, 2008 Radsportler Fabian Cancellara, 2018 Mountainbiker Nino Schurter.

Sein erster großer Erfolg: Roger Federer, damals noch mit langen Haaren, sinkt nach dem Matchball beim Wimbledon-Finale 2003 auf die Knie. Er gewinnt sein erstes Grand-Slam-Turnier.

Sein erster großer Erfolg: Roger Federer, damals noch mit langen Haaren, sinkt nach dem Matchball beim Wimbledon-Finale 2003 auf die Knie. Er gewinnt sein erstes Grand-Slam-Turnier.

Und es gibt noch eine weitere Anekdote, die diese Theorie belegt: Als der Weltstar 2005 zu einem Showmatch auf der Anlage seines Heimatklubs TC Old Boys Basel gegen Marco Chiudinelli – ebenfalls ein ATP-Spieler – antrat, war die extra errichtete Stahlrohrtribüne für knapp 4000 Zuschauer nicht mal ausverkauft.

Federer selbst hat sich über die mitunter fehlende Wertschätzung in der Heimat nie beklagt, im Gegenteil. Vielleicht ist diese sogar mit ein Grund dafür, warum er sich mit seiner Familie häufig in der Schweiz aufhält, wenn es die Zeit zulässt. In kaum einer anderen Nation können sich er und seine Jugendliebe Mirka, früher eine semierfolgreiche Tennisspielerin, so ungestört bewegen, an kaum einem anderen Ort lässt man ihn und seine Familie weitestgehend in Ruhe. Das wiederum weiß Federer zu schätzen.

Die Liste seiner persönlichen Auszeichnungen ist ebenso lang wie die seiner sportlichen Erfolge. Die Liste der Experten, der Gegner, der Legenden des Sports, die ihn als den Besten aller Zeiten bezeichnen, sogar noch länger.

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Mehr als nur Rekorde

Deshalb seien an dieser Stelle nur einige ganz wenige Meilensteine erwähnt, die zeigen, warum Federer als einziger männlicher Tennisspieler in die Liste der zehn größten Sportler aller Zeiten gehört – trotz Rafael Nadal und Novak Djokovic, mit denen er seit mehr als einem Jahrzehnt auf allerhöchstem Niveau um Platz eins in der Weltrangliste ringt. Trotz Björn Borg, Pete Sampras oder Boris Becker.

Federer hält die Rekorde für die meisten gewonnenen Grand-Slam-Turniere (20) sowie für die meisten erreichten Grand-Slam-Finals (31), -Halbfinals (46) und -Viertelfinals (57). Nie zuvor stand ein Tennisspieler so lange auf Platz eins der Weltrangliste: bisher insgesamt 310 Wochen.

Der Kreis schließt sich – oder folgt noch eine Fortsetzung? Roger Federer küsst den Wimbledon-Pokal 2017 nach seinem bis dato letzten Sieg beim wichtigsten Turnier des Jahres. Insgesamt gewann der Schweizer bisher 20 Grand-Slam-Turniere.

Der Kreis schließt sich – oder folgt noch eine Fortsetzung? Roger Federer küsst den Wimbledon-Pokal 2017 nach seinem bis dato letzten Sieg beim wichtigsten Turnier des Jahres. Insgesamt gewann der Schweizer bisher 20 Grand-Slam-Turniere.

Federer ist der erste Spieler, der drei verschiedene Grand-Slam-Turniere mindestens fünfmal gewann (Australian Open sechsmal, US Open fünfmal und Wimbledon achtmal). Zudem ist der Schweizer der einzige Spieler, der zwei unterschiedliche Grand-Slam-Turniere jeweils fünfmal in Serie gewann (Wimbledon 2003 bis 2007, US Open 2004 bis 2008).

Federer hält den Rekord für die meisten Jahre (sechs) mit mindestens zwei Grand-Slam-Siegen im Saisonverlauf (2004 bis 2007, 2009, 2017). Dabei ist er der Einzige, dem das nicht weniger als vier Jahre in Folge gelang.

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Doch es sind nicht nur diese Triumphe und Trophäen, die die Marke RF so einzigartig machen und ihm schon über 110 Millionen Euro alleine an Preisgeld einbrachten – sein privates Vermögen wird übrigens auf über 400 Millionen Euro geschätzt. Sondern zum einen seine unnachahmliche Art, diesen kräftezehrenden Sport auszuüben, sodass er eigentlich nie schwerer verletzt war: elegant, leicht, zauberhaft – eben wie ein Maestro. Zum anderen, weil Federer sich immer wieder neu erfunden, seinen Spielstil angepasst hat. An seinen Schwächen gearbeitet und seine unfassbaren Stärken noch weiter verbessert hat. Dazu ist der Sohn eines Schweizers und einer Südafrikanerin immer Sportsmann geblieben, er hat seine Kontrahenten immer respektiert – selbst zu Zeiten der schwersten Niederlagen.

Bei ihm sieht immer alles so leicht aus: Roger Federer bei einem Volley während der Australian Open 2020.

Bei ihm sieht immer alles so leicht aus: Roger Federer bei einem Volley während der Australian Open 2020.

Und der Vater zweier Zwillingspärchen ist auch außerhalb des Platzes nicht weniger als der perfekte Botschafter des Tennis. Ein Gentleman, wie man sich ihn in anderen Sportarten wünschen würde. Sympathisch, bescheiden, zurückhaltend, fast schüchtern – authentisch, intelligent, bodenständig. Jemand, der stets auch an diejenigen denkt, die nicht mit solchem Talent gesegnet waren wie er, der mit drei Jahren erstmals einen Schläger in der Hand hielt und der vor 17 Jahren auf dem heiligen Rasen von Wimbledon sein erstes Grand-Slam-Turnier gewann. Von den inzwischen über 30 Millionen Euro, die seine Stiftung seit der Gründung 2003 für karitative Zwecke ausgegeben hat, kamen über 20 Millionen Euro aus seiner eigenen Tasche. Großes Aufsehen machte er deswegen noch nie.

Er wollte nicht, dass ich mein Talent vergeude. Ich denke, es war eine Art Weckruf für mich, als er starb. Erst danach begann ich, wirklich hart zu trainieren.

Roger Federer

über seinen ehemaligen Trainer Peter Carter

Seine große Liebe zum Fußballklub FC Basel lebte und lebt er dagegen stets voll aus. Wann immer es geht, verfolgt er die Partien von überall auf der Welt oder ist selbst im Stadion. Wie im November 2010. Da wollte Federer seiner Mannschaft nach der bitteren 2:3-Niederlage gegen AS Rom in der Champions League persönlich Trost spenden – was auch gelang. Als der Maestro die Kabine betrat, war die Stimmung plötzlich wie bei einem Rockkonzert. Die Fußballer staunten wie Groupies, holten sich Autogramme und machten Selfies. Der Argentinier David Abraham, ein echtes Raubein und heute in Diensten von Eintracht Frankfurt, legte wie beim Date sogar Parfüm auf, bevor er Federer um ein Foto bat – er hatte zuvor noch nicht mal geduscht.

Was viele nicht wissen: In seiner frühen Jugend war Federer selbst ein mindestens ebenso talentierter Kicker wie Tennisspieler. Bei Concordia Basel gab es einige, die ihm eine Profikarriere im Fußball zutrauten. Und bei seinem Tennisklub einige, die zumindest das Ausmaß seiner Gabe längst nicht sofort erkannten. So hält sich beim TC Old Boys bis heute die Geschichte, wie gleich mehrere Experten und Trainer aus dem Vereinsheim zusahen, als der junge Roger sein Racket schwang, und darüber fachsimpelten, wie gut er denn nun wirklich sei. Als einer der Herren die These aufstellte, dass dieser Junge es eines Tages in die Top 20 der Welt schaffen könnte, wurde er von den anderen Anwesenden ausgelacht.

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Familienmensch: Ehefrau Mirka und die Kinder auf der Tribüne.

Familienmensch: Ehefrau Mirka und die Kinder auf der Tribüne.

Sein größter Förderer dagegen glaubte immer an “Rogi”. Der Australier Peter Carter trainierte Federer im Alter von zehn bis 14 und von 16 bis 20 Jahren. Er machte aus ihm, was er heute ist. “Peter lehrte mich, vor jeder Person Respekt zu haben – egal, ob diese berühmt ist oder nicht. Er und meine Eltern haben mir Werte vermittelt”, sagte Federer kürzlich. Erst in Basel, später im Leistungszentrum von Swiss Tennis in Ecublens VD. “Peter Carter war es, der mich am meisten geprägt hat. Mit ihm feilte ich an Aufschlag, Vorhand, Rückhand und am Netzspiel.”

Doch mit dem Namen Carter ist auch die wohl schwärzeste Stunde im Leben des Roger Federer verbunden. Am 1. August 2002 kam sein Coach auf seiner Hochzeitsreise in Südafrika bei einem Autounfall ums Leben. Federer hatte ihm diesen Trip empfohlen.

Gesten der Dankbarkeit

Was es Carter wohl bedeuten würde, wenn er von diesem epischen Erfolg wüsste, wurde Federer nach seinem 20. – und bislang letzten – Grand-Slam-Titel bei den Australian Open 2018 gefragt. “Ich hoffe, er wäre stolz auf mich”, antwortete Federer. “Er wollte nicht, dass ich mein Talent vergeude. Ich denke, es war eine Art Weckruf für mich, als er starb. Erst danach begann ich, wirklich hart zu trainieren. Peter war eine der wichtigsten Personen in meinem Leben.” Danach brach er in Tränen aus.

Bis heute lädt er Bob und Diana, die Eltern von Carter, zu den Australian Open ein. Mit einem All-inclusive-Package, das Erste-Klasse-Tickets beinhaltet, mit denen Federer das Ehepaar aus dessen Wohnort Adelaide einfliegen lässt, sowie ein Zimmer bei sich im Luxushotel. Federer lässt die Carters an seinem Familienleben teilhaben, führt sie zum Essen in die erlesensten Restaurants aus. So ist ein Teil seines Entdeckers immer an seiner Seite.

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Was Federer Dankbarkeit bedeutet, weiß auch Bernhard Heusler. Der langjährige Präsident des FC Basel, bei dessen Spielen Federer seit eh und je mitfiebert, bekommt heute noch Gänsehaut, wenn er daran zurückdenkt, dass Federer 2017 extra zu Heuslers Verabschiedung einflog und vor über 30.000 Zuschauern im St.-Jakob-Park die Laudatio hielt. “Danke, dass du mich zu einem noch größeren Fan gemacht hast”, sagte Federer über den Mann, in dessen Ära die erfolgreichste Epoche des FCB fiel und der damals im Mittelpunkt des Tages stehen sollte. “Lieber Berni, dieser Moment gehört dir.”

Wer ist für Sie der größte Sportler aller Zeiten? Sagen Sie es uns in unserer Umfrage.

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