Boykott kann wirken – als Afrika die Fifa zum Einknicken brachte
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Marokko war 1970 (in Mexiko) erst die zweite Mannschaft aus Afrika, die an einer Fußball-Weltmeisterschaft teilnahm.
© Quelle: picture alliance / dpa
Der Fußball-Weltverband Fifa (Fédération Internationale de Football Association) steht nicht erst seit wenigen Jahren in der Kritik. Skandale um WM-Vergaben, Korruption und Kommerzialisierung zieren die jüngere Geschichte des Sportverbands. So umstritten wie die Weltmeisterschaft in Katar war wohl noch kein Fußballgroßereignis. Die Menschenrechtslage im Gastgeberland wurde vorab international thematisiert und kritisiert. Aktionen und Proteste gegen die Fifa, die als Verband die Weltmeisterschaft in Katar erst ermöglicht hat, blieben allerdings weitestgehend aus.
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Im Gegenteil: Die Fifa brachte einige große nationale Verbände zuletzt zum Einknicken. Am Montag (21. November), einen Tag nach dem Eröffnungsspiel zwischen Katar und Ecuador, untersagte die Fifa das Tragen der „One Love“-Binden während des Turniers. Der Weltverband drohte mit sportlichen Sanktionen. Die nationalen Verbände aus Deutschland, England, Wales, Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz entschieden sich, ihre Kapitäne erst gar nicht mit der „One Love“-Binde auflaufen zu lassen.
Zwar wäre die Binde kein direkter Protest gegen die Fifa, sondern an der Menschenrechtslage in Katar gewesen, dennoch zeigt das Verbot die Machtposition des Weltverbands.
Es gab aber auch schon einen besonderen Fall, in dem sich nationale Verbände gegen die Fifa auflehnten – und zwar erfolgreich.
Ein ganzer Kontinent gegen die Fifa
Einem Protest, der zwar schon über 50 Jahre zurückliegt, dafür aber bis heute nachwirkt, schloss sich gleich ein ganzer Kontinent an: Afrika.
Bis 1970 hatte nur Ägypten als einziges Land aus Afrika an einer WM-Endrunde teilgenommen. Mangels Bewerbern musste das Nationalteam damals nur ein Spiel gewinnen, um bei der WM 1934 dabei sein zu können. Es folgten einige Weltmeisterschaften, damals noch mit 16 Teams, ohne afrikanische Beteiligung. Denn vor den Nationen lagen gleich zwei Hürden. Erstens musste sich Asien und Afrika um einen WM-Startplatz streiten – und zweitens, diesen dann auch noch in einem Spiel gegen ein Team aus Europa verteidigen. So nahm Ägypten zur WM 1958 als Afrika/Asien-Qualisieger die erste Hürde, verlor dann aber gegen Italien.
Die WM-WG: Die verpasste Chance beim Verbot der „One Love“-Binde
In Folge zwei von „Die WM-WG“ geben die RND-Reporter Heiko Ostendorp und Roman Gerth einen Einblick in ihre Berichterstattung zum Verbot der „One Love“-Binde.
© Quelle: Roman Gerth
Koloniale Denkweisen behindern afrikanischen Fußball
Das Land der Pharaonen war in Afrika lange die einzige Nation mit nationaler Fußballstruktur. Das lag zum einen an der Kolonialisierung und Bürgerkriegen auf dem Kontinent, zum anderen an den Spielregeln der Fifa. Das änderte sich, nachdem nach und nach mehr afrikanische Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten. So meldeten sich zur WM-Qualifikation 1962 neben Ägypten auch Tunesien, Marokko, der Sudan, Ghana und Nigeria an. Für Afrika gab es aber erneut keinen festen Platz. Marokko verlor im Qualifikationsfinale gegen die Fußballnation Spanien nur knapp mit 0:1 und 2:3.
Der afrikanische Fußball wurde von der Fifa bis dahin kaum bis gar nicht beachtet. Expertinnen und Experten zufolge geht das vor allem auf alte, koloniale Denkweisen zurück. Die Fifa, damals schon längere Zeit unter britischer Führung (Arthur Drewry von 1956 bis 1961 und Sir Stanley Rous von 1961 bis 1974), sah zur damaligen Zeit immer mehr Commonwealth-Staaten, viele aus Afrika, die ihre Unabhängigkeit erklärten.
Mitte 1964 wurden 23 nationale afrikanische Verbände in die Fifa aufgenommen. Zur WM 1966, ausgerechnet in England, änderte sich an dem Vergabeverfahren der Startplätze für die Endrunde aber nichts. Zu dem Zeitpunkt gab es insgesamt bereits 35 nationale Teams in Afrika und damit sogar zwei mehr als in Europa. 15 afrikanische Länder hatten sich zur Qualifikation für die Endrunde angemeldet: Algerien, Ägypten, Äthiopien, Gabun, Ghana, Guinea, Kamerun, Liberia, Libyen, Mali, Marokko, Nigeria, Senegal, Sudan und Tunesien.
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Sicherheit – oder Überwachung? In diesen Räumen hat Katar während der WM alles im Blick
Im Command and Control Center werden die Abläufe in den WM-Stadien verwaltet. Es zeigt, wie sehr der Gastgeber darum bemüht ist, dass während der Spiele nichts aus dem Ruder läuft. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland gibt einen Einblick aus Katar.
Zunächst kaum Beachtung für Boykott aus Afrika
Der afrikanische Kontinentalverband Caf (Conféderation Africaine de Football) beschloss anschließend, die Weltmeisterschaft 1966 zu boykottieren, es sei denn, Afrika erhielte einen eigenen Platz. Ende des Jahres 1964 bestätigte die Fifa allerdings, dass sie den Caf-Forderungen nicht nachkommen werde – und die afrikanischen Länder machten ihre Drohung wahr: alle 15 teilnahmeberechtigen Teams zogen ihre Meldung zurück.
In Europa fand das zunächst wenig Beachtung. Der „Sportinformationsdienst“ (sid) schrieb damals zwar, dass die Afrikaner geschlossen auftreten, die Aktion „allerdings sportlich nicht die geringste Bedeutung“ hätte.
Afrikaner wird Torschützenkönig in England
Durch den Abwesenheit der afrikanischen Teams blieben von den Bewerbern außerhalb Europas und Amerikas nur noch Nordkorea und Australien übrig. Nordkorea fuhr ohne reelle Chance nach England und überraschte, indem es Italien aus dem Turnier warf.
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Der portugiesische Fußballer Eusebio (rechts) wurde mit neun Treffern Torschützenkönig der WM 1966 in England.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Die WM 1966 in England, die vor allem wegen des berühmten Wembley-Tores in die Geschichtsbücher einging, sollte ein positives Ende für Afrika haben. Torschützenkönig des Turniers wurde mit neun Treffern der Portugiese Eusebio, geboren in Portugiesisch-Ostafrika, dem heutigen Mosambik. Auch Kapitän Mario Coluna und zwei weitere Stammspieler stammten gebürtig aus der portugiesischen Kolonie. Mit ihrer Mannschaft belegten sie den dritten Platz, den bisher größten WM-Erfolg Portugals.
Boykott zeigt Wirkung
Der Boykott der afrikanischen Nationen gepaart mit den guten Leistungen der in Afrika geborenen Portugiesen brachten die Fifa schließlich zum Umdenken. 1968 stimmte der Verband einstimmig dafür, Afrika einen eigenen WM-Platz zu geben – Asien bekam auch einen eigenen. 1970 war Marokko erst der zweite WM-Teilnehmer aus Afrika – bei der neunten Weltmeisterschaft.
Heute hat Afrika fünf WM-Startplätze
In der Folge wurden mit der Aufstockung der Teams über die Jahre auch die festen Startplätze für afrikanische Mannschaften erhöht. Heute hat Afrika fünf Plätze bei der Weltmeisterschaft mit 32 Mannschaften und kurzzeitig, als Südafrika 2010 als erstes afrikanisches Land Gastgeber wurde, einmal sechs. Neben Ägypten, Marokko und Südafrika nahmen bislang die DR Kongo, Tunesien, Algerien, Kamerun, Nigeria, Senegal, Angola, Ghana und Togo an Fußball-Weltmeisterschaften teil.
Die afrikanischen Vertreter bei der WM in Katar sind Marokko, Kamerun, Tunesien, Senegal und Ghana.