Verein Terran: „Für Reisen ohne Flugzeug fehlen unkomplizierte Angebote“

Zug statt Flug: Eine Reisende schiebt ihren Koffer am Hauptbahnhof Stuttgart. (Symbolfoto)

Zug statt Flug: Eine Reisende schiebt ihren Koffer am Hauptbahnhof Stuttgart. (Symbolfoto)

Es gibt viele gute Gründe gegen das Fliegen und noch bessere für eine Reise ohne Flugzeug, findet Jana Strecker. Die 31-Jährige aus Freiburg im Breisgau arbeitet am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme – und versucht in ihrer Freizeit, Menschen zum Flugverzicht zu animieren. Deshalb gründete sie im November 2019 zusammen mit anderen den Verein Terran. Was genau hinter der Bewegung steckt, erzählt Jana Strecker im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

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Jana Strecker möchte mit dem Verein "terran" Menschen vom Flugverzicht bewegen. Nicht mit Verboten oder einem schlechten Gewissen – sondern mit positiven Alternativen.

Jana Strecker möchte mit dem Verein Terran Menschen vom Flugverzicht bewegen. Nicht mit Verboten oder einem schlechten Gewissen – sondern mit positiven Alternativen.

Frau Strecker, vor unserem Gespräch haben Sie mir verraten, dass auch bei Ihnen bald der Sommerurlaub ansteht. Wohin fliegen Sie denn?

Ich fliege nicht, ich fahre. In meinem großen Sommerurlaub geht es mit meiner Partnerin nach Kroatien. Wir haben nach dem Nachtzug gesucht, der uns am schnellsten ans Meer bringt – und dann einen entdeckt, der von München bis Rijeka (Kroatien) fährt.

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Und wie lange werden Sie dann unterwegs sein?

Wir steigen um 23.20 Uhr in München ein und kommen um morgens um 9.27 Uhr in Rijeka an.

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Ab München gibt es auch Direktflüge nach Rijeka. Sie sind nur eine Stunde in der Luft und zahlen für das Ticket keine 100 Euro. Wollen Sie nicht doch einfach fliegen?

Auf gar keinen Fall! Für uns stand es aber auch nie zur Debatte zu fliegen. Wir haben unser Urlaubsziel danach ausgesucht, dass wir mit dem Nachtzug dort hinkommen. Wir reisen bewusst terran.

Terran e. V. – so heißt auch der Verein, den Sie im November 2019 gemeinsam mit anderen gegründet haben. Was verbirgt sich hinter dem Begriff?

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Er leitet sich ab von terra (Latein: die Erde) und soll eigentlich vermitteln, dass man auf dem Boden bleibt, sich erdgebunden bewegt. Für uns ist alles terran, was sich nicht in der Luft fortbewegt. Der Begriff lehnt sich an das Adjektiv vegan an, weil er ebenfalls beschreibt, wie ein Mensch konsumiert, beziehungsweise sich verhält. Wir wollten einen Begriff finden, der ohne Umwege erklärt, wie sich ein Mensch fortbewegt. Im Alltag sind schon viele Menschen terran, aber wir beziehen und vor allen Dingen auf den Reisekontext.

Und deshalb sagen Sie auch, Sie reisen in diesem Sommer terran nach Kroatien?

Genau. Es wäre super, wenn das Wort irgendwann mal im Duden steht. So, dass die Leute zum Beispiel sagen: „Ich bin jetzt auch schon seit zwei Jahren terran.“ Oder: „Ich mache meinen Sommerurlaub terran.“ Der Begriff soll Zugehörigkeit schaffen, etwas Positives in die Welt setzen. Wir glauben, dass man so die Menschen besser erreicht und zum Nichtfliegen bewegt.

Sie verstehen den Begriff auch als etwas Positives, anders als bei der „Flugscham“, die ja eher negativ konnotiert ist.

Genau. Der Begriff Flugscham entstand etwa 2017 in Schweden. Ich habe dazu mal eine Studie gelesen, die tatsächlich besagt hat, dass dadurch auch weniger geflogen wird. Keine Ahnung, ob das wirklich stimmt. Aber uns ist es wichtig, dass die Menschen nicht durch ein schlechtes Gewissen handeln. Ich glaube, viele Menschen wissen, dass Fliegen nicht so gut ist für das Klima – aber haben keine Vorstellung, wie schlecht es wirklich ist.

Gerade in unserer Blase sagen viele, dass sie sich ja schon vegan oder vegetarisch ernähren – da sei es ja wohl mal ok, für ein Yoga-Retreat nach Indien zu fliegen. Aber das ist es eben nicht. Für den persönlichen CO₂-Fußabdruck ist Fliegen das Krasseste, was jede und jeder Einzelne machen kann.

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Was bedeutet es denn konkret für meine persönliche CO₂-Bilanz, wenn ich mit dem Flugzeug verreise?

Wir haben eine Beispielrechnung aufgestellt: Ein Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Los Angeles verursacht 5100 kg CO₂eq – andersherum sparen Sie es ein, wenn Sie darauf verzichten. Zum Vergleich: Wer ein Jahr lang vegan lebt, spart 850 Kilogramm CO₂eq. Für den persönlichen CO₂eq-Abdruck ist das Nichtfliegen der größte Hebel, den man in Bewegung setzen kann. Und deshalb kann es auch schon sinnvoll sein, einfach zu sagen, man fliegt weniger. Genauso, wie man sich bewusst dazu entscheiden kann, weniger Fleisch zu essen – ohne komplett darauf zu verzichten.

Also verurteilen Sie niemanden, der in seinem Urlaub einfach nur für ein bis zwei Wochen in Richtung Sonne düsen will und dafür in ein Flugzeug steigt?

Auf keinen Fall! Wir möchten aber, dass die Menschen sich bewusst dafür entscheiden, wenn sie sich mit dem Flugzeug fortbewegen. Ein Mitglied unseres Vereins ist in der Entwicklungszusammenarbeit tätig – und kann nicht einfach mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Afrika kommen. Aber man sollte es eben hinterfragen, warum man fliegt. Und wenn jemand dann sagt, für ihn sei das Fliegen sinnvoll oder sie gönne sich diese Flugreise, dann sind das keine schlechten Menschen.

Trotzdem wollen wir als Verein darauf aufmerksam machen, dass es Alternativen gibt, die sich lohnen. Wir wollen nicht, dass die Menschen auf Reisen verzichten. Zu reisen ist einfach megacool und terrane Reisen sind vielleicht sogar noch cooler. Nur weil wir nicht in ein Flugzeug steigen, hat terranes Reisen nicht automatisch mit Verzicht zu tun. Es ist nur eine andere Art des Reisens.

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Was wäre denn zum Beispiel ein schöner terraner Urlaub?

Eine superschöne Reise hat ein Vereinsmitglied von uns gemacht: von Freiburg nach Finale Ligure in Italien mit der Bahn und dem Fahrrad im Gepäck. Er hat es schon öfter gemacht, dass er für eine Woche zum Mountainbiken dorthin gereist ist.

Welche Herausforderungen bringt das terrane Reisen mit sich?

Es ist kein Pauschalurlaub, kein Malle mit Hotel und Anreise zum Flughafen inklusive. Stattdessen müssen terran Reisende selbst aktiv werden: Wie gelange ich von A nach B? Welches Ticket brauche ich? Gerade wenn man den europaübergreifenden Bahnverkehr ansieht, ist auch vieles noch nicht abgestimmt. Es gibt zwar schon ein paar Plattformen, aber insgesamt fehlen einfach die niederschwelligen Angebote.

Es ist vermutlich nicht so komfortabel wie das Fliegen. Damit wird ja auch geworben: „Setz dich hin, du bist unser Gast, wir sind für dich da – hier ist dein Tomatensaft.“ Wenn man mit dem Rucksack von zu Hause aus einfach losläuft, verdient kaum jemand etwas daran. Wir hatten als Verein schon Gespräche mit Reisebüros, die gerne terrane Reisen anbieten würden. Wir könnten uns aber zum Beispiel ein Label für terrane Reisen gut vorstellen, mit denen Veranstalter dann auch werben können.

Anstatt auf eine Flugreise zu verzichten, gibt es ja auch noch die Möglichkeit der CO₂-Kompensation …

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… und das ist totaler Nonsens. Eine Scheinlösung, ein Gewissenfreikaufen – mehr nicht. Denn das CO₂ wird ja trotzdem emittiert. Das Grundproblem ist dadurch nicht gelöst, dass zum Ausgleich Geld in Aufforstungsprojekte gesteckt wird. Wenn wir bis 2045 klimaneutral werden wollen, dann müssen wir vor allen Dingen vermeiden, CO₂ auszustoßen. Klar, es gibt noch viele andere Sektoren, die CO₂ emittieren, der Gebäudesektor zum Beispiel. Aber für mich als Einzelperson ist es am einfachsten, auf das Fliegen zu verzichten. Denn bis alle Häuser gedämmt und mit klimaneutralen Heizungen ausgestattet sind, dauert es einfach noch.

Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Menschen seit März 2020 deutlich weniger geflogen sind. Glauben Sie, dass diese Erfahrung das Reiseverhalten auch langfristig beeinflusst und auch in Zukunft weniger geflogen wird?

Das ist eine spannende Frage, die uns auch beschäftigt. Es lässt sich, soweit ich weiß, (noch) nicht wissenschaftlich belegen, aber wir hoffen, dass es einen Einfluss auf das Verhalten nimmt. Denn in dieser Zeit haben viele Menschen festgestellt, dass es vor ihrer Haustür auch wunderschön ist – und sie gar nicht zu irgendeinem Wasserfall nach Südamerika reisen müssen, denn es gibt die ja genauso im Schwarzwald. Also einerseits: Ja, da ist ein Bewusstsein entstanden. Andererseits habe ich auch Bedenken, dass viele Leute jetzt meinen, sie müssten etwas nachholen, das sie verpasst haben.

Interessant ist aber trotzdem, dass die Corona-Pandemie gezeigt hat: Terranes Reisen ist möglich und viele Menschen waren in dieser Zeit auch dazu bereit. Klar, ihnen blieb ja auch nichts anderes übrig. Aber: Wie brenzlig muss es noch mit dem Klimawandel werden, dass die Leute begreifen, dass auch da ein Handeln notwendig wird?

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