Robbie Williams und die Verschwörungstheorien: Haben wir den nächsten Promi verloren?

“Wenn ich in meinen Kopf gehe, muss ein Erwachsener mitkommen”: Robbie Williams im Mai bei einem gemeinsamen Videoevent mit seinen früheren Take-That-Kollegen.

“Wenn ich in meinen Kopf gehe, muss ein Erwachsener mitkommen”: Robbie Williams im Mai bei einem gemeinsamen Videoevent mit seinen früheren Take-That-Kollegen.

Der Mann, der “Angels” gesungen hat, blickt ernst in die Kamera. “Man kann und sollte nicht das Narrativ lesen und glauben, was einem aufgezwungen wird”, sagt er düster. Er spricht von “dämonischer Energie”, die “das ganze Mediensystem” durchdringe, von “Arschlöchern, über die ich zu viel weiß”, und von David Icke, jenem britischen Ex-Fußballprofi, der als rechtsesoterischer Wanderprediger, Ufologe und “Sohn Gottes” (Icke über Icke) mit antielitären und spirituellen Verschwörungsmythen erfolgreich die Schwurbelblasen des Netzes durchsuppt. Icke glaubt fest daran, die Illuminaten planten eine neue Weltordnung und Corona sei nur ein Vorwand zur Versklavung der Menschheit.

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“Ich habe David ziemlich oft getroffen”, sagt Robbie Williams. “Ich mag ihn wirklich. Ich mag seine Botschaft.”

Was für ein Jammer. Nun also auch noch Robbie Williams. Die Liste der Stars, die nach einem emotionalen Meltdown für die Wirklichkeit verloren scheinen, ist um einen prominenten Neuzugang reicher. Schon im Mai hatte der Superstar sich in einem Video mit dem weithin unbekannten Ex-Soldaten Chris Thrall als Anhänger der sogenannten “Pizzagate”-Theorie erwiesen. “Diese Sache, von der wir glauben, dass sie vor sich geht”, sagte er damals, “ist das Schlimmste, was man sich vielleicht jemals für die Erde vorstellen kann”.

“Je selbstsicherer ich wirke, desto mehr Schiss habe ich gerade”: Robbie Williams 2018 in London.

“Je selbstsicherer ich wirke, desto mehr Schiss habe ich gerade”: Robbie Williams 2018 in London.

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Pizzagate? Wir erinnern uns kurz: Hinter dem Schlagwort verbirgt sich ein ganzer Komplex von Schreckenslegenden, die im Kern den Glauben schüren, von einer Pizzeria in Washington aus agiere ein internationaler Kinderpornoring, in den auch Hillary Clinton, Barack Obama und Lady Gaga verwickelt seien. Der bizarre Kult erreichte seinen traurigen Höhepunkt, als am 4. Dezember 2016 ein bewaffneter Mann in die Pizzeria eindrang, um die angeblich dort festgehaltenen und missbrauchten Kinder im Keller zu befreien. Problem: Es gab weder Keller noch Kinder. Es ist dieselbe Theorie aus dem QAnon-Kosmos, der auch Xavier Naidoo anheimgefallen ist. Zu den deutschen Prominenten, die Verschwörungsmythen förderten, gehören neben Naidoo auch Vegankoch Attila Hildmann und eine Reihe bekannter Youtuber und Influencer.

“Fake News? Das stimmt nicht”

Es scheint, als habe sich auch Robbie Williams in jene Dunkelheit verabschiedet, die sich selbst für die Flamme der Aufklärung hält. In einem zweiten Interview sagte er der früheren BBC-Journalistin Anna Brees zur “Pizzagate”-Theorie: “Die gesamte Berichterstattung über diese Sache besagt, es handele sich um widerlegte Fake News. Aber das stimmt nicht. Es wurden nicht den richtigen Leuten an den richtigen Orten die richtigen Fragen gestellt.”

Man kann noch ganz gut damit leben, dass ein Vegankoch und ein Mannheimer Balladeur sich im schratigen Geschrei von der Weltverschwörung verloren haben. Es gibt gute Gründe, warum Verschwörungserzählungen in Phasen großer Unsicherheit blühen. Aber Robbie? Man hofft beinahe, es handele sich nur um einen ironischen PR-Stunt. Leider spricht nicht vieles dafür.

“Wenn ich in meinen Kopf gehe, muss ein Erwachsener mitkommen”

Wie Tom Cruise für Scientology wäre Robbie Williams für die Verschwörungsszene der mit Abstand bekannteste Botschafter des Abseitigen. Natürlich: Als irrlichternder Kreativer war er stets prototypisches Beispiel für die Tatsache, dass Genie und Wahnsinn nah beieinander liegen. Zwischen Einfall und Einfalt liegt eben nur ein Buchstabe. “Wenn ich in meinen Kopf gehe, muss ein Erwachsener mitkommen”, hat er mal gesagt. Spätestens, seit er Familienvater ist, ist er nun selbst die oberste Instanz in seinem Leben. Und es scheint fast, als tue das häusliche Glück weder seiner Karriere noch seinem Seelenheil durchgehend gut. Der Unglücksrobbie der Nullerjahre hatte wenigstens immer dieses Lukas-Podolski-Feixen im Gesicht, diese schelmische Chuzpe. Der aktuelle Robbie zeigt nur noch Trübtassigkeit.

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Wenn ich in meinen Kopf gehe, muss ein Erwachsener mitkommen.

Robbie Williams

Der Mann war ja einmal Europas größter Superstar. Rückblick: Es ist ein paar Jahre her, da saß Robbie Williams auf einem weißen Barhocker im Flughafen Tempelhof in Berlin, trank Apfelschorle und fand sich großartig. Die Wiedergeburt mit seinem Comebackhit “Angels”, die Tränen vor 375.000 Fans beim Knebworth-Festival, die Swing-Phase im Smoking, die Hits mit seinem hassgeliebten Songschreiber und Sozius Guy Chambers (“She’s the One”, “Kids”, “The Road to Mandalay”, “Feel”) – all das lag hinter ihm. Er war auf dem Höhepunkt der Robbiemania. 500 Journalisten saßen vor ihm, aus Mexiko, Thailand, Australien.

Robbie Williams – das war nicht mehr der putzige Take-That-Clown oder der Popstar in spe, gefangen im Körper eines dicken, traurigen Jungen. Damals im mächtigen Hangar 2, den er spielend mit seinem Ego füllte, hatte er seine Häutung längst hinter sich. “Wow, bin ich berühmt!”, sagte er. Augenzwinkern. Blitzlicht.

“Wow, bin ich berühmt!”

Eine Journalistin schoss Fragen ab: “Hast du eine Freundin? Wie heißt sie? Wie alt ist sie? Wie sieht sie aus?” – “Das geht euch nichts an”, schäkerte Robbie. “Aber ich würde dich später gerne im Hotel treffen.” Lachen. Wieder Blitzlicht.

“Die hohe Kunst, dich aus der Gegenwart an einen magischen Ort zu transportieren”: Robbie Williams 2018 bei einem Konzert in Chile.

“Die hohe Kunst, dich aus der Gegenwart an einen magischen Ort zu transportieren”: Robbie Williams 2018 bei einem Konzert in Chile.

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Er durfte das damals. Er durfte alles. Schließlich war er das Zerbrechlichste, Coolste, Unlangweiligste und Selbstverliebteste, was der europäische Mainstream-Popzirkus seit Jahren hervorgebracht hatte.

Robbie lieferte den Soundtrack zur Erwachsenwerdung

Robbie – das war auch der Soundtrack meiner eigenen Erwachsenwerdung, mit “Rock DJ”, “Love Supreme”, “Me and My Monkey”. Sein Kampf um Autonomie, seine Befreiung von Autoritäten und Dämonen im Seelenkeller, sein melancholisches Spiel mit Selbstironie und Lebensernst spiegelte mein eigenes kleines Ringen und das vieler Gleichaltriger. “Come on, hold my hand, I wanna contact the living”, sang er in “Feel”. (“Komm und halte meine Hand, ich will mit den Lebenden in Berührung kommen”), es war das heimliche Mantra manches Mittzwanzigers.

Die abgeklärten Kinder der Siebziger und Achtziger suchten ja kein Ideal, dem sie ohnehin nie entsprochen hätten, sondern sahen ihre eigenen Schwächen in einem von ihnen gespiegelt, der es trotzdem geschafft hatte. “Je selbstsicherer ich wirke, desto mehr Schiss habe ich gerade”, sagte Robbie. “Hinter all der Coolness steckt die pure Angst.” Im Dokumentarfilm “Nobody Someday” häutete er sich 2001 bis aufs Innerste (im Video zu “Rock DJ” tat er das sogar im Wortsinne). Das Unperfekte machte ihn glaubwürdig – und war gleichzeitig der Grund dafür, warum er in den USA einfach nicht funktionierte.

Zu Pragmatikern gereift: Die Take-That-Mitglieder (v. l.) Gary Barlow, Howard Donald und Mark Owen mit Robbie Williams bei einem gemeinsamen digitalen Gig am 29. Mai.

Zu Pragmatikern gereift: Die Take-That-Mitglieder (v. l.) Gary Barlow, Howard Donald und Mark Owen mit Robbie Williams bei einem gemeinsamen digitalen Gig am 29. Mai.

Drogeninteressiert und leicht diabolisch

Stellvertretend für manchen von uns hatte Robbie die Bande zur Kindheit zerschnitten, als er sich 1995 als 21-jähriges Bandküken mit seinen alten Kumpels Gary (24), Jason (25), Mark (23) und Howard (27) zerstritt – zum Entsetzen vieler kleiner Mädchen, die heute selber kleine Mädchen haben. Nach dem “Ausstieg” (Robbie) beziehungsweise “Rausschmiss” (Manager Nigel Martin-Smith) war der Zwist zwischen ihm und Gary Barlow zum Krieg der Egos hochgejazzt worden. Auf der einen Seite der glatte Blondschopf Barlow, brav bis zur Langweiligkeit, begabter Songschreiber und Frontmann, auf der anderen Seite der irrlichternde Williams, ein Clown mit Dämonen im Keller, drogeninteressiert, leicht diabolisch, aber eben doch auch süß und verloren und damit perfekt, um von den Frauen “gerettet” zu werden.

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“1995 verabschiedete er sich von mir und fuhr nach London zu einer Silvesterparty”, erzählte seine Mutter Janet später. “Das muss eine ziemlich wilde Party gewesen sein, denn ich habe ihn zwölf Monate nicht gesehen.”

Ein Mensch mit Schründen und Brüchen

Zu bärtigen Pragmatikern gereift, raufte sich Take That 2010 dann doch wieder zwischenzeitlich zusammen – als Mr. Barlow (39), Mr. Orange (40), Mr. Owen (38), Mr. Donald (42) und Mr. Williams (36). “Ich fühle mich, als würde ich nach Hause kommen”, sagte Williams damals. Im selben Jahr meldete die Presse beleidigt, Robbie Williams habe “heimlich” geheiratet. Gemein! Hat er natürlich nicht. Er hat 75 Freunden Bescheid gesagt und die Exklusivrechte für 1,2 Millionen Euro an das Klatschblatt “Hello” verkauft. Und seine Mutter wird’s wohl auch gewusst haben. Nur die komplette Weltpresse vorab in Kenntnis zu setzen – das hat der feine Herr Sänger bedauerlicherweise versäumt. Der damals 36-jährige Superstar und die damals 31-jährige türkisch-amerikanische Schauspielerin Ayda Field gaben sich in Williams’ Haus in Beverly Hills das Jawort.

Der Entertainer, der mit einem Augenzwinkern 60.000 Menschen im Griff hatte, kann ganz gut die Puschen hochlegen. Was aus dem Alltag des Paares nach draußen drang, klang bisher sehr gesund: “Sie nennt mich ‘besoffener Woohoo’ und ‘Nasebohrer’, ich nenne sie ‘Gehirn’ und ‘Busen’.” Und so schien es, als habe Williams, der in seinem ersten Solohit “Angels” einst davon sang, mangels irdischer Liebe dann eben Engel lieben zu wollen, doch noch sein Glück im Diesseits gefunden.

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Entertainment ist die hohe Kunst ist, einen aus der Gegenwart an einen magischen Ort zu transportieren, auf den man nicht vorbereitet war und den man erst wirklich kapiert, wenn man ihn wieder verlassen hat.

Robbie Williams

Robbie war kein keimfreier Reißbrettheld, sondern ein Mensch mit Schründen und Brüchen, ein Besessener, ein Unfertiger mit spöttischem Charme. “Von null auf hundert berühmt zu werden ist die irrste Bewusstseinsexplosion, die man sich vorstellen kann”, sagt er im Film “Nobody Someday”. Die Definition von Wahnsinn sei, etwas in der Hoffnung zu wiederholen, dass es sich schließlich doch verändern werde. “Das ist genau meine Situation.”

“Sie nennt mich ‘besoffener Woohoo’ und ‘Nasebohrer’”: Robbie Williams und Ayda Field sind seit 2010 verheiratet.

“Sie nennt mich ‘besoffener Woohoo’ und ‘Nasebohrer’”: Robbie Williams und Ayda Field sind seit 2010 verheiratet.

Enttäuschung und Spott im Netz

Inzwischen freilich trifft jener traurige Satz auf ihn zu, den Journalisten immer schreiben, wenn ein Star das Rampenlicht verlassen hat: Zuletzt war es ruhig um ihn geworden. Lange her, dass der “Idiot aus Stoke-on-Trent” (Williams über Williams) über sich und seinen Hang zum Wahnsinn öffentlich gelacht hat. Lange her, dass er kluge Dinge sagte: “Entertainment ist die hohe Kunst, einen aus der Gegenwart an einen magischen Ort zu transportieren, auf den man nicht vorbereitet war und den man erst wirklich kapiert, wenn man ihn wieder verlassen hat.”

Robbie ist Vergangenheit, und Mr. Williams scheint sich in ein Paralleluniversum zu verabschieden. Angesichts der Coronaverschwörungsvideos scheint es, als habe nach der putzigen und farbigen nun die toxische Seite des Wahnsinns die Kontrolle übernommen. Enttäuschung und Spott im Netz halten sich in etwa die Waage.

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Im Video mit Brees sagte Williams auch, dass er sich bedroht fühle: “Wenn diese sehr, sehr dunklen Dinge, über die die Menschen sprechen, passieren, werden sie sich erst mal nicht dich schnappen, sondern mich”, fürchtete er. “Wenn wir in diesen Schlund der Dunkelheit, die möglicherweise die Energie auf dem Planeten durchdringt und kontrolliert, geraten, werde ich einer der Ersten auf der Liste sein.”

Wer nimmt Robbie Williams sanft zur Seite?

Es ist der vorläufige Tiefpunkt einer Karriere, die vom Olymp bis zur Hölle so ziemlich jede Station passierte: Drogen, Zweifel, Abstürze, Triumphe, Niederlagen, Siege, Comebacks und Krisen, lange begleitet von bewusstseinserweiternden – aber hirnerweichenden – Substanzen aller Art. Das führte mitunter zu bizarren Szenen wie dieser:

Robbie Williams fand sich einmal auf einer Party von Bono in Dublin wieder. Er hatte ein paar exotische Pilze gegessen.

“Bono”, sagte Robbie. “Das ist ein unglaubliches Gemälde.”

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“Robbie”, sagte Bono sanft. “Das ist ein Fenster.”

Es wäre gut, wenn auch diesmal jemand Robbie sanft zur Seite nähme. Vielleicht kann Bono helfen.

RND

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