Flucht von Aktivistin Maria Aljochina

Pussy Riot: die russische Band, die keine Ruhe gibt

Die Aktionskünstlerin Maria Aljochina von der russischen Punkband Pussy Riot ist aus Russland geflohen.

Die Aktionskünstlerin Maria Aljochina von der russischen Punkband Pussy Riot ist aus Russland geflohen.

„Es klingt wie ein Spionageroman.“ Das sind die Worte, die Maria „Masha“ Aljochina (33) gegenüber der „New York Times“ wählt, wenn sie über ihre abenteuerliche Flucht aus Russland spricht. Die Pussy-Riot-Aktivistin hat ihr Heimatland verlassen – verkleidet als Lieferantin entkam das unter Hausarrest gestellte Bandmitglied polizeilichen Überwachern. Über Belarus, Litauen und Island gelangte Aljochina schlussendlich nach Deutschland. Zum Auftakt einer Antikriegstour, mit der sie auch Spenden für die Ukraine sammeln, will die Punkband an diesem Donnerstagabend im Funkhaus Berlin auftreten.

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Pussy Riot sind dem Kreml seit mehr als einem Jahrzehnt ein Dorn im Auge. Schon lange, bevor Putin den Krieg gegen die Ukraine begann.

Pussy Riot gründeten sich 2011

2011 gründete sich die Gruppe. Mit bunten Sturmhauben traten sie immer wieder spontan und illegal an öffentlichen Plätzen auf, äußerten Kritik an Russlands Regierung, an Putin und an der Kirche, setzten sich für Feminismus ein. 2012 folgte dann der folgenreiche Protest von Pussy Riot in einer Moskauer Kirche gegen Putin und Patriarch Kirill I.: Aljochina und ihre Bandkolleginnen Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch werden verhaftet und zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Samuzewitschs Haftstrafe wird 2012 in eine Bewährungsstrafe umgewandelt.

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Die bunten Sturmhauben gehören zu den Auftritten von Pussy Riot dazu – hier Maria Aljochina im Jahr 2019.

Die bunten Sturmhauben gehören zu den Auftritten von Pussy Riot dazu – hier Maria Aljochina im Jahr 2019.

So manchem oder mancher erschien der Protest damals in der Moskauer Kathedrale vielleicht wie übertriebener Politaktivismus. Heute scheint es eher, als hätten die Aktivistinnen vorausschauend gehandelt. Als hätten sie gewusst, dass es noch schlimmer kommt. Und sie gaben bis heute nicht auf, trotz all der Repressionen, die noch folgten.

Pussy-Riot-Mitglieder gründen Nachrichtenmedium

Ende 2013 wurde Aljochina vorzeitig aus dem Straflager entlassen. Mit Tolokonnikowa gründete sie unter anderem „Mediazona“, ein unabhängiges russisches Nachrichtenmedium, das sich auf Kriminalität, Justiz und Strafverfolgung in Russland konzentrierte. Auch die Aktionen mit Pussy Riot gingen weiter. So wurden etwa 2014 Aljochina und Tolokonnikowa zusammen mit einer anderen Aktivistin in Sotschi während der Olympischen Winterspiele festgenommen. Sie wollten dort ihren neuen Song „Putin lehrt dich, die Heimat zu lieben“ spielen. Und während des Fußball-WM-Finales 2018 in Moskau stürmten vier Pussy-Riot-Aktivistinnen in Polizeiuniformen auf das Spielfeld und stellten parallel dazu im Netz politische Forderungen auf. Sie wurden festgenommen und zu 15 Tagen Haft verurteilt. Immer wieder geriet vor allem Aljochina ins Visier der russischen Strafverfolgungsbehörden, etwa auch im Zusammenhang mit Demonstrationen für den eingesperrten Kremlgegner Alexej Nawalny.

Allein seit dem vergangenen Sommer wurde Aljochina sechs weitere Male verhaftet, berichtet die „New York Times“. Jedes Mal für jeweils 15 Tage, immer wegen erfundener Anschuldigungen, die darauf abzielten, ihren politischen Aktivismus zu unterdrücken.

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Zehn Jahre nach Protest sitzt Aljochina wieder im Gefängnis

Auch genau zehn Jahre nach dem Protest in der Moskauer Kirche saß das Bandmitglied wieder im Gefängnis, wie Pussy Riot unter anderem auf Instagram berichteten. Ebenfalls an dem Tag, am 21. Februar, hielt Putin eine wütende Rede, in der er die Ukraine als ein „von Russland geschaffenes Land“ bezeichnete und damit den Grundstein für seine Invasion legte. Aljochina hörte sie im Radio aus ihrer Gefängniszelle, erzählt sie der US-Zeitung. Die Invasion, sagte sie, habe alles verändert, nicht nur für sie, sondern für ihr Land. „Ich glaube nicht, dass Russland noch ein Existenzrecht hat.“

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Zuletzt war Aljochina unter Hausarrest gestellt worden, der Druck der Behörden auf sie ließ nicht nach. Dennoch wollte die Aktivistin zunächst in ihrer Heimat Russland bleiben. Das änderte sich im April: Die Polizei habe angekündigt, ihren Hausarrest in 21 Tage Straflager umzuwandeln, sagte sie der US-Zeitung. Daraufhin habe sie beschlossen, Russland zu verlassen. Die Antikriegstour, die schon im vergangenen Jahr geplant worden war, sei ein weiterer Grund für die Flucht gewesen, sagte Aljochina am Mittwoch dem deutschen Sender Flux FM.

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Spektakuläre Flucht aus Russland

Die Flucht war spektakulär. Um ihren Überwachern in Moskau zu entkommen, habe sie sich als Essenslieferantin verkleidet, erzählt sie. Sie sei von einem Bekannten mit einem Auto an die Grenze zu Belarus gebracht worden und habe nach etwa einer Woche Litauen erreicht. Zweimal sei sie von belarussischen Grenzschützern abgewiesen worden, beim dritten Mal habe es dann geklappt. Ein nicht genanntes europäisches Land habe ihr ein Reisedokument ausgestellt, das ihr einen ähnlichen Status wie eine EU-Bürgerin verliehen habe. Dieses Dokument sei nach Belarus geschmuggelt worden. In dem Land habe Aljochina Hotels und andere Orte gemieden, wo sie sich hätte ausweisen müssen. Unterdessen hätten russische Behörden bereits nach ihr gefahndet. Von Belarus ging es weiter nach Litauen.

Zur Ablenkung und um nicht geortet zu werden, habe sie zudem ihr Handy zurückgelassen, berichtete die 33-Jährige der „New York Times“. „Ich verstehe immer noch nicht ganz, was ich getan habe“, sagte sie der Zeitung. Sie sei aber froh, dass sie es geschafft habe. „Wenn dein Herz frei ist, spielt es keine Rolle, wo du bist.“ Vergangene Woche sei „viel Magie“ passiert.

Pussy-Riot probt in Berlin für Antikriegskonzert

Pussy-Riot-Frontfrau Aljochina sagte, sie habe zur Flucht eine Uniform eines Lebensmittellieferanten getragen, um an der russischen Polizei vorbeizukommen.

Auch weitere Pussy-Riot-Mitglieder geflohen

Jetzt gehört sie zu den Zehntausenden Russinnen und Russen, die seit dem Einmarsch in die Ukraine geflohen sind. Und mit ihr weitere Pussy-Riot-Mitglieder, die sich zum Teil schon vor Aljochina zur Flucht entschlossen. Dazu gehört auch Aljochinas Freundin Lucy Shtein, die bereits einen Monat zuvor – ebenfalls in einer Lieferdienstuniform – das Land verließ, wie die Aktivistin der „New York Times“ berichtet. Beide wurden zuvor etwa wegen Instagram-Posts verhaftet, in denen sie die Freilassung politischer Gefangener in Russland forderten oder Putins Verbündeten, den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko, kritisierten.

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Nun sind viele von ihnen in Deutschland, wo sie ihre Antikriegstour starten. Das Kollektiv besteht mittlerweile aus etwa einem Dutzend Mitgliedern. Sie machen weiter mit ihren Protesten gegen Putin, jetzt aus dem Ausland.

Doch irgendwann will Aljochina wieder zurück in ihre Heimat, sie gibt die Hoffnung auf Freiheit in Russland nicht auf. Sie habe die 90er-Jahre mit den Lockerungen erlebt und wisse, dass Russinnen und Russen die Freiheit lieben, das könne wunderbar sein, sagte Aljochina nach ihrer Flucht dem Sender RBB. Doch diese Freiheit sei zerbrechlich, und unter Präsident Wladimir Putin werde es sie nicht geben. Also protestiert die Band Pussy Riot weiter.

mit dpa

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