Olivia Jones verurteilt Kritik an Drag-Lesungen an Schulen: „Damit wird gezielt gehetzt“
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Dragqueen Olivia Jones sitzt in ihrem Club "The Bunny Burlesque St. Pauli".
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
Eine für den 13. Juni geplante Lesung für Kinder hat in München für heftige Diskussionen gesorgt. Der Grund: Es sollten Drag Queen Vicky Voyage und Drag King Eric BigClit vor den Schülerinnen und Schülern auftreten. Kritiker befürchteten deswegen eine Frühsexualisierung der Kinder. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sah darin gar „Kindswohlgefährdung und einen Fall fürs Jugendamt“, wie die „Bild“ berichtete.
Nun hat sich Deutschlands wohl bekannteste Dragqueen Olivia Jones (53) erneut dazu zu Wort gemeldet und die Kritik an Lesungen von Drag-Queens an Schulen verurteilt. „Kinder können nichts dafür, wenn bornierte graue Herren beim Thema Liebe nur an Sex denken können und Vielfalt und Toleranz als Bedrohung sehen“, sagte sie gegenüber dem Nachrichtenportal „watson“. Sie halte die Sorgen wegen „angeblicher Frühsexualisierung“ für vorgeschoben. „Damit wird gezielt gehetzt und Politik gemacht. Leider mit immer mehr Erfolg.“
Olivia Jones kritisiert weltweiten Rechtsruck
Generell habe sich in Deutschland seit ihren ersten Drag-Auftritten vor 30 Jahren zwar vieles zum Positiven verändert, führte die Dragqueen demnach weiter aus. „Aber: Der weltweite Rechtsruck und dass auch bei uns eine Partei wie die AfD im Bundestag sitzt, sollte uns alle aufwachen lassen.“ In dem Zusammenhang bezeichnete sie auch den aktuellen Pride Month als wichtig. „Es geht um Sichtbarkeit. Und darum, auf Themen aufmerksam zu machen. Toleranz ist etwas, das immer wieder neu definiert und erkämpft werden muss“, sagte die Drag-Queen, die selbst oft vor Kindern auftritt.
Angekündigt wurde die Lesung „Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt“ in München mit den Worten: „Drag Queen Vicky Voyage mit Drag King Eric BigClit und die trans* Jungautorin Julana Gleisenberg nehmen euch mit in farbenfrohe Welten, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für euch bereithält und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten!“. Den kritischen Stimmen wie etwa der von Aiwanger entgegneten die Vereine LesCommunity und Münchner Aidshilfe: „Die Gefährdung von jungen Menschen geht nicht von einer harmlosen Drag-Lesung aus, sondern von der Hetze und den Abwertungen, die von den Gegnern der Community verbreitet werden.“ Die in der Lesung verwendeten Kinderbücher böten eine altersgerechte Möglichkeit, sich dem Thema der Geschlechterrollen zu nähern.
Sexualpädagoge: Viele Bildungsangebote zeigen nur traditionelle Geschlechterrollen
Der Sexualpädagoge Michael Kröger von der Landesarbeitsstelle Aktion Jugendschutz hält das Angebot ebenfalls für gut. Viele Bildungsangebote und Medien zeigten nur traditionelle Geschlechterrollen und Familienmodelle. Drag sei eine Kunstform, die mit Geschlechterrollen spiele und oft das Gegengeschlecht der agierenden Person in überzeichneter Weise darstelle. „Kinder nehmen die bunten Kostümierungen eher als lustig und interessant wahr – vielleicht sind sie auch zunächst irritiert, weil der Anblick sehr ungewohnt ist. Wahrscheinlich haben viele Kinder auch viele Fragen dazu“, sagt er.
Diese Erfahrung hat auch die Drag Queen Veuve Noir gemacht, die für das Projekt „Olivia macht Schule“ von Olivia Jones auch in Schulen und Kindertagesstätten unterwegs ist. „Die Kinder sind vor allem neugierig und auch vorurteilsfrei“, und „mit viel Vorfreude auf den „Schrägen Vogel““. Sie wolle für Toleranz und Vielfalt werben und sich gegen Ausgrenzung starkmachen. „Schwul ist oft immer noch auf Schulhöfen ein Schimpfwort, Mobbing mancherorts immer noch salonfähig. Das wollen wir ändern und zeigen, dass Vielfalt ganz natürlich ist – und Homosexualität nicht ansteckend oder gar eine Krankheit“, erklärt Veuve Noir.
Es geht nicht um Sexualität, sondern um Identität und Diversität.
Dragqueen Vicky Voyage
Vicky Voyage kann die Aufregung um ihren Auftritt am 13. Juni ebenfalls nicht verstehen – und findet die Vorwürfe haltlos. „In einem Kino laufen nachmittags Filme für die ganze Familie und abends teilweise für Publikum 18+. Ist es dadurch ein Erotik- oder gewaltverherrlichendes Kino, das man mit Kindern meiden sollte? Nein. Sondern das Programm wird individuell an das jeweilige Publikum angepasst“, erklärt sie. „Wem das Programm nicht gefällt, kann den Raum jederzeit verlassen.“ Sie wolle Kinder für Bücher begeistern und ihnen verschiedene Lebensweisen und Blickwinkel nahebringen. „Es geht nicht um Sexualität, sondern um Identität und Diversität.“
Münchens Bürgermeister entschuldigt sich nach Kritik
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte die Lesung anfangs hingegen kritisiert, entschuldigte sich später aber dafür. „Mir war nicht bewusst, dass meine Äußerung eine solche Auswirkung in die Community hinein haben würde und dass ich damit auch Menschen verletzt habe. Das war nie meine Absicht und tut mir leid“, stellte Reiter klar. „Völlig absurd ist, dass mein Statement von rechten Kreisen als Legitimation für queer-feindliches Auftreten genutzt wird.“ Er stehe „auch weiterhin stabil an der Seite der gesamten queeren Szene“.
Die CSU-Fraktion in München stört sich vor allem am Namen „BigClit“, zu deutsch so viel wie Große Klitoris. Dieser Name sei sexualisiert, urteilte die Fraktion. Eine Reaktion, die den Sexualpädagogen Krüger nicht überrascht. Für die Außendarstellung sei der Künstlername problematisch, er provoziere und könne falsche Assoziationen hervorrufen. „Festzustellen ist aber auch, dass Kinder eine englischsprachige Abkürzung dieser Art in der Regel nicht verstehen, und selbst wenn, auch die Benennung eines Körperteils an sich keine Kindeswohlgefährdung darstellt“, findet Kröger.
RND/hsc/mit dpa