Markenexperte über Boris Beckers Image: „Das ist ein Balanceakt“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/NAPWR7IR4VFL7PAS34CJDZCV2M.jpg)
Boris Becker während der Preisverleihung der Laureus World Sports Awards 2020 in Berlin.
© Quelle: Getty Images for Laureus
Boris Becker gilt als Sportheld, Phänomen und gescheiterte Persönlichkeit. So grandios er auf dem Platz war, so glücklos als Unternehmer und mit Geld. Affären und öffentlich ausgetragene Rosenkriege überschatteten das Image des einstigen Tennisstars. Dann kam die finanzielle Pleite – jetzt droht ihm nach der Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung sogar eine Gefängnisstrafe.
Der ehemalige Dominator vom Centre Court in Wimbledon, nun abgestempelt als Pleitepromi. Die großen Werbepartner von früher sind abgesprungen. Stattdessen zeigt sich Becker in einer Werbung des Vergleichsportals Check24 als ahnungsloser Nachhilfeschüler in Finanzfragen. Ist Selbstironie nun der einzige Weg zurück in die Öffentlichkeit? Und was würde eine Haftstrafe für die Marke Becker bedeuten? Der Markenexperte und Managementberater Colin Fernando spricht im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über diese und weitere Fragen.
Herr Fernando, Boris Becker hat vor Gericht ausgesagt, dass seine Zahlungsunfähigkeit der „Marke Becker“ geschadet habe. Gleichzeitig wurde diese Marke seit Jahrzehnten mitgeprägt durch Frauengeschichten, Scheidungsschlachten, gescheiterten Geschäftsideen und einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung. Hat der Prozess in London an der Marke Becker wirklich etwas verändert?
Ja und nein. Auf der einen Seite hat es ihm nicht geschadet, weil der Prozess die Vorurteilsstrukturen der Marke Becker nur verstärkt hat. Dementsprechend kann man nicht sagen, dass ein völlig neuer Schaden entstanden ist. Was aber auch zu beobachten war – und in der Hinsicht hat es schon geschadet –, ist, dass sich Boris Becker auf Basis dieser Vorurteilsstrukturen wieder rehabilitiert hatte, indem er sich recht erfolgreich als Experte zurückgemeldet hat.
Als Trainer von Weltranglistenspitzenreiter Novak Djokovic hat er sich verdient gemacht und als TV-Experte bei der britischen BBC und dem Sender Eurosport …
… was ihm enorm viel Profil gegeben hat, weil er das sehr gut gemacht hat. Auch bei der BBC. Gerade in England gilt er als sehr etablierter Sportsmann. Deshalb sei seine Reputation in England sogar besser als in Deutschland. Insofern hat dieser neuerliche Vorfall der Reputation geschadet.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/TUO6SZLJZVBABJ5NMXWLMCRYD4.jpg)
Der Markenexperte und Managementberater Colin Fernando.
© Quelle: Gisela Schenker
Beckers Image schien in England tatsächlich immer ein bisschen besser gewesen zu sein. Angeblich, weil man dort die Eskapaden und Skandale um seine Person nicht so mitbekommen hat. Das war wohl auch ein Grund dafür, dass er seinen Lebensmittelpunkt nach London verlegt hat. Genau da findet jetzt der Prozess statt und erfährt auch dort eine prominente Berichterstattung. Beginnt jetzt auch in England sein Image zu bröckeln?
Um das einschätzen zu können, müsste ich die britische Gesellschaft besser kennen. Skandale und Eskapaden haben die britischen Mediennutzer vermutlich mitbekommen. Aber das Scheitern im unternehmerischen Bereich, beispielsweise mit den Autohäusern, war in Großbritannien vermutlich kein Thema. Insofern hat der Prozess schon eine neue Qualität und es ist möglich, dass das britische Vorurteilsmuster von Boris Becker als deutscher Wimbledon-Dominator dadurch etwas aufgebrochen wird.
In Deutschland kann man bereits beobachten, dass er sein neues Image in gewisser Weise für sich nutzt. In Werbeclips des Vergleichsportals Check24 gibt er sich in Finanzfragen ahnungslos und lässt sich Kreditkonditionen erklären. Kann Selbstironie als neuer Markenkern funktionieren?
In der Kampagne für Check24 hat er zumindest versucht, selbstironisch mit seinen Schwächen umzugehen. Das ist ein interessanter Zug, der Sympathie einbringen kann. Der mögliche Vorteil dabei ist, dass die Marke Boris Becker sehr zugespitzt wird und er dadurch für Unternehmen wie Check24 interessant wird. Aber das ist ein Balanceakt.
Inwiefern?
Einerseits spitzt er seine Marke zu, andererseits kostet ihn das viele Seriositätspunkte. Für die größeren Werbeverträge der alten Art, bei denen er als klassisches Bekanntheitstestimonial eingesetzt wurde, disqualifiziert er sich damit. Er war ja schon immer ein gern gesehenes Opfer von ironischer Werbung. Dieses Thema zu überspannen birgt Gefahren. Das Zugeben von Schwächen wird nicht zwangsläufig von allen goutiert.
Sein Werbepotenzial hat sich also durchaus verschoben. Für welche Marken kann er denn jetzt nicht mehr werben und bei welchen würde es noch funktionieren?
Im Bereich Sport und Tennis kann er nach wie vor seinen Werbewert wirksam machen. Außerhalb des Sportbereichs wären es eher Marken, die seine Schwächen thematisieren, wie eben Check24, oder Marken, die seine Comebackqualitäten herausstellen. Er ist einer der wenigen Tennisspieler, die es geschafft haben, nach 0:2-Satzrückständen zurückzukommen. Das könnte für eine Marke interessant sein, die mit diesem Wert etwas anfangen kann. Aber das ist schon sehr spezifisch.
Könnte eine zu starke Fokussierung auf ihn als selbstironische Werbefigur auch seine Arbeit als seriösen TV-Experten konterkarieren?
Absolut. Das kann man nicht voneinander trennen. Wenn wir Boris Becker als Experten im Fernsehen sehen, denken wir unweigerlich an die Kontaktpunkte, die wir darüber hinaus mit ihm haben. Und das verstärkt dann wieder das alte Vorurteil. Dadurch kommt er in eine Lothar-Matthäus-ähnliche Position. Wenn man ihn reden hört, muss man automatisch an Verstrickungen denken, die nicht zwangsläufig etwas mit seinem sportlichen Erfolg zu tun haben.
Lothar Matthäus ist aktuell eine interessantere Werbefigur als Boris Becker.
Markenexperte Colin Fernando
Das kann man jetzt unterschiedlich bewerten, aber eine „Lothar-Matthäus-ähnliche Position“ hört sich aus Markensicht doch nicht schlecht an, oder? Kann eine solche Rolle für Boris Becker funktionieren?
Lothar Matthäus und Boris Becker vereint, dass sie es verstanden haben, ihre eigene Marke trotz offensichtlicher Herausforderungen weiterzuführen. Lothar Matthäus hat verstanden, dass er Experte ist – und nicht mehr. Er hat aufgehört, den Trainerjobs hinterherzurennen. Auch bei Boris Becker wäre es vielleicht sinnvoll, sich ausschließlich auf seinen Expertenstatus zu fokussieren. Bei Lothar Matthäus kommt hinzu, dass er sich – abgesehen von den Frauengeschichten – nicht viel zuschulden hat kommen lassen. Deshalb ist er eine interessantere Werbefigur als aktuell Boris Becker.
Boris Becker vor Urteilsverkündung: Gefängnis oder Bewährung?
Am Freitag fällt am Southwark Crown Court in London das Urteil im Prozess gegen Boris Becker. Ein Promianwalt gibt eine Einschätzung zur möglichen Strafe ab.
© Quelle: RND
Was passiert Ihrer Meinung nach im Falle einer Verurteilung? Hat Boris Becker eine Chance, sich davon zu rehabilitieren und in der Öffentlichkeit wieder stattzufinden?
Das würde ich nicht ausschließen. Die Eurosport-Position hat ihm unglaublich viel positives Profil gebracht – gerade bei den Tennisfans in Deutschland, weil er es wirklich gut gemacht hat. Er hat es verstanden, seine Erfahrung und seinen Blickwinkel als ehemaliger Weltklassespieler zu übertragen und den Menschen Facetten mitzugeben, die sie bisher nicht sehen konnten.
Welche Gagen kann Boris Becker überhaupt noch verlangen?
Das hängt ganz von ihm selbst ab – und von der Gesellschaft um ihn herum. Sollte er irgendwann ins Dschungelcamp gehen, wär‘s wahrscheinlich um ihn geschehen. Aus Markensicht würde ich ihm empfehlen, seinen Gagen und Möglichkeiten treu zu bleiben und zu unterstreichen, was seine Stärke ist.
Und die wäre …?
Seine Arbeit als Experte, wie bisher bei Eurosport und der BBC.
Aus Markensicht wäre das Dschungelcamp also nicht zu empfehlen. Aber halten Sie es für möglich, dass wir Boris Becker in ein paar Jahren dort sehen?
Das kann man nicht ausschließen. Man weiß nicht, welche Entwicklung die Marke Boris Becker einnehmen wird. Gescheiterte Sportlerinnen und Sportler waren fürs Dschungelcamp immer attraktive Teilnehmer. Aber ich würde es ihm unter keinen Umständen wünschen.
Colin Fernando (33) ist ein Experte für Markenanalysen, strategische Optimierungen von Markenportfolios und Implementierungen von Markenstrategien bei dem Unternehmen Brandtrust. Der Absolvent der Universität Bayreuth ist Mitbegründer und langjähriger Teamleiter des Bayreuther Ökonomiekongresses. Fernando ist überdies einer der drei Köpfe des Podcasts „BrandTrust Talks“. Weiterhin engagiert er sich für Jungunternehmer und unterstützt jedes Jahr mehrere Start-ups im Markenentwicklungsprozess. Außerdem ist er lizenzierter Fußballtrainer des DFB.