Daniel Brühl im Interview: „Erschreckend zu sehen, dass sich Geschichte immer wiederholt“
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Daniel Brühl bei der Premiere von „Im Westen nichts Neues“ beim Züricher Film Festival.
© Quelle: Getty Images for ZFF
Hannover. Ein deutsch-spanischer Schauspieler, vom Erfolg verwöhnt. Die Kinder wachsen bilingual auf, er wird in Hollywood für einen Superheldenfilm gehandelt: Diese Beschreibung passt sowohl zu der Vita von Daniel Brühl als auch zu seinem Film „Nebenan“ (2021). In seinem Debüt als Filmregisseur parodierte er sich selbst. Tatsächlich spielte er in dem Marvelfilm „Civil War – The First Avenger“ (2016) den ambivalenten Bösewicht Zemo. Längst ist Brühl weit über Deutschland hinaus bekannt. An der Seite von Matt Damon war er in „Das Bourne Ultimatum“ (2007) zu sehen, Quentin Tarantino besetzte ihn für „Inglourious Basterds“ (2009), und er spielte die Hauptrolle in der Netflixserie „The Alienist“. Den Durchbruch erlebte Brühl 2003 mit der sympathischen Komödie „Good Bye, Lenin!“ über den Mauerfall. Der aktuelle Film „Im Westen nichts Neues“ ist ein Beispiel für Brühls Engagement jenseits der Schauspielerei.
Wenn in dieser Zeit ein Film über die grausame Sinnlosigkeit des Krieges gezeigt wird, kommt man nicht umhin, an die Ukraine zu denken.
Der Krieg zeigt leider Gottes, dass dieser Stoff relevanter ist, als einem lieb wäre. Es ist erschreckend zu sehen, dass sich Geschichte immer wiederholt. Deshalb ist es wichtig, diese Antikriegsgeschichte von Erich Maria Remarque wieder zu erzählen und dieses Mal aus einer deutschen Perspektive und zum ersten Mal auch in deutscher Sprache.
Inwiefern wird der Stoff durch diese deutsche Perspektive knapp 100 Jahre nach dem Erscheinen des Romans „Im Westen nichts Neues“ noch einmal neu interpretiert?
Zunächst einmal gehen wir Deutsche mit einer anderen grundsätzlichen Haltung an einen Stoff heran. Aufgrund unserer Geschichte können wir keine Siegerposition einnehmen. Ich möchte das nicht verurteilen, aber es gab in der Vergangenheit durchaus Filme, die grandios erzählt worden sind, aber in denen ein heroisches Gefühl vorherrscht und eine gewisse Form von Patriotismus. Aus der deutschen Perspektive heraus verbietet sich das.
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Daniel Brühl (Mitte) versucht in „Im Westen nichts Neues“ den Frieden auszuhandeln.
© Quelle: Netflix
Sie spielen die Rolle des Matthias Erzberger. Es handelt sich um eine historische Figur, die nicht im Originalroman auftaucht. Erzberger unterschreibt für Deutschland in einem Zug von Compiègne den Vertrag über die Beendigungen der Kampfhandlungen. Was gibt diese neue Ebene dem Stoff?
Dieser Ausflug in die Weltpolitik der Zeit ist dramaturgisch spannend, weil man sich von der Front entfernt. Das verschafft eine Erleichterung, man kann kurz das Gräuel in den Schützengräben verlassen. Auf der anderen Seite ist es umso schockierender zu sehen, wie diese Männer in ihren polierten Uniformen und Schuhen über das Schicksal der jungen Männer an der Front entscheiden und dabei noch ihre Croissants essen. Das hat etwas Schreckliches. Wenn man es schafft, dem Stoff treu zu bleiben und sich trotz zweier großer Vorlagen – neben dem Roman auch die amerikanische Verfilmung von 1930 – traut, neue Wege zu gehen, dann ist das eine würdevolle Verfilmung dieses Klassikers.
Erzberger ist eine tragische Figur, er wurde 1921 von Faschisten ermordet. War es jetzt einmal an der Zeit, diese Figur auf die große Bühne zu bringen?
Ja, es ist eine wahnsinnig interessante historische Figur: ein moralischer Politiker, der sich dafür einsetzte, den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs zu stoppen. Er ist schon davor immer wieder angeeckt, weil er die deutsche Kolonialpolitik angeprangert hat. Auf ihn geht auch die Dolchstoßlegende letztlich zurück. Erzberger wurde von den Nazis instrumentalisiert. Inmitten dieser irren Kriegstreiber so jemanden zu spielen, der eine menschliche Stimme hereinbringt, das hat mich gereizt. Und was für ein Wahnsinn, dass sich Hitler später diesen Zug von Compiègne hat kommen lassen, um die Franzosen noch mehr zu demütigen, als sie im Zweiten Weltkrieg ihre Kapitulation unterschrieben. Das ist ein großer Moment der Geschichte, den wir hier eingefangen haben und eingebettet in einer Phase des Films, wo es den Druck erhöht und man als Zuschauer mitfiebert und denkt: „Jetzt macht endlich Schluss. Jetzt macht endlich Schluss mit diesem Morden.“
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„In diesem Krieg gibt es keine Gewinner“: Szenenfoto aus dem Spielfilm „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger (Amusement Park Film) zeigt den Schauspieler Felix Kammerer in der Rolle des Paul Bäumer.
© Quelle: Reiner Bajo/Netflix/German Films
Sie sind nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Produzent am Film beteiligt. Was war Ihre Rolle in dieser Funktion genau?
Ich habe das Projekt nach draußen getragen und vor allem eine repräsentative Funktion. Das Kreative lag bei Malte Grunert – er hat den Stoff gefunden. Ich hatte schon lange den Wunsch, mich über die Schauspielerei hinweg einzubringen. Und so kam ich dann zur Produktionsfirma Amusement Park Film von Malte. Es war wie eine Offenbarung, als er mich anrief und sagte: „Ich habe da dieses Drehbuch gelesen, auf Englisch. Aber sag mal, das wurde noch nie auf Deutsch gemacht.“ Es war uns beiden dann schnell klar, dass das eine Chance ist, da noch einmal anders heranzugehen. Wir haben die Ambition, spannende, intelligente, relevante Stoffe zu erzählen und aus Deutschland heraus etwas zu schaffen, das die Strahlkraft hat, international zu funktionieren.
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Apropos: „Im Westen nichts Neues“ geht für Deutschland ins Oscarrennen. Man hat manchmal den Eindruck, dass im Ausland vor allem deutsche Stoffe ankommen, in denen es um Krieg, Nazis oder die DDR geht. Stört Sie das manchmal?
Nein, wenn die Filme gut sind, dann sind sie gut. Wobei es da auch Ausnahmen gab wie „Toni Erdmann“. „Im Westen nichts Neues“ ist aber ein Antikriegsfilm, der sich von den Kriegsfilmen der letzten Jahre abhebt. Remarque nannte es einen „Nachkriegsroman“, er dachte vor allem an diejenigen, die zwar lebendig aus einem Krieg zurückkommen, deren Leben aber dennoch zerstört ist. Insofern halte ich das für Deutschland für einen wichtigen Beitrag. Bei den Amerikanern ist die Aufmerksamkeit sehr groß, weil der erste Film ja damals den Oscar gewonnen hat. Das ist also nicht so, dass die denken: „Ach, die Deutschen haben wieder einen Kriegsfilm gemacht.“ Auch als Schauspieler habe ich nicht das Gefühl, dass ich als Deutscher im Ausland immer eine Uniform anziehen muss.
Der Film läuft sowohl im Kino, was auch die Voraussetzung für eine Oscarnominierung ist, als auch bei Netflix. Ist es als Schauspieler inzwischen wertiger, bei einer großen Streamingplattform vertreten zu sein?
Nein, das ist mir gleich. Man muss den Partner finden, der den Film so umsetzen kann, wie er sein muss. Und das war ein großes, ambitioniertes Projekt. Das ist eine epische Geschichte, die muss auch auf eine bestimmte Weise erzählt werden. Es war eine schwierige Zeit, in der sich manche dieses Budget nicht vorstellen konnten. Und da war Netflix ein toller Partner.
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Szene aus „Nebenan“ mit Peter Kurth und Daniel Brühl (rechts). Es handelt sich um Brühls Regiedebüt.
© Quelle: Agentur
Der Titel „Im Westen nichts Neues“ verweist auf die Beiläufigkeit des Todes. Der Protagonist stirbt an einem Tag, an dem von der Front nichts Nennenswertes zu berichten ist. Lässt sich das heute auch als Metapher für die Abstumpfung der Menschen verstehen, für die die täglichen Schreckensnachrichten aus der Ukraine grausamerweise „Im Westen nichts Neues“ sind?
Ja klar, der Mensch gewöhnt sich an alles. Aber mir ist der Schrecken doch immer wieder gewahr. Man muss nur kurz über diese Schicksale nachdenken und verzweifelt daran. Es gibt keine Gewinner, wie in unserem Film. Ich denke an beide Seiten, auch an die ganzen jungen russischen Männer. Auf der ganzen Welt breitet sich der Horror aus Nationalismus und Populismus aus, von den USA über China bis nach Europa, das plötzlich ganz fragil geworden ist. Ein anderer Klassiker, der mir die Augen geöffnet hat, ist Tolstois „Krieg und Frieden“. Da sagt er, dass es nicht diese eine Geschichte gibt, sondern mehrere Geschichtserzählungen. Damals haben die französischen Kinder in der Schule etwas anderes über Napoleon gelernt als die russischen. In was für einem glücklichen Zeitfenster ich selbst das Glück hatte, groß zu werden, als die Mauer im eigenen Land fiel und Konflikte ad acta gelegt wurden! Diese aktuelle Division überall ist das Gegenteil von diesem Gefühl des Zusammenwachsens, des Aufeinanderzugehens, mit dem ich aufgewachsen bin, das beunruhigt mich zutiefst. Vor allem, wenn man eigene Kinder hat und sich fragt, in welcher Welt die wohl einmal leben werden. Man würde ja denken, damals in der Zeit des Ersten Weltkriegs war es einfacher, Propaganda zu betreiben. Die Menschen waren noch nicht so gut vernetzt, viele waren noch nie aus ihrem Land herausgekommen, da war es leichter, die Jugendlichen zu beeindrucken mit alten Klischees. Und dann ist es umso erschreckender zu sehen, dass in unserer globalisierten Welt trotzdem wieder so harte Fronten aufgezogen werden können und wir nichts dazugelernt haben und sich Geschichte wiederholt. Das ist eine sehr deprimierende, todtraurige Erkenntnis.