Corona-Verschwörungen: Warum drehen so viele Promis durch?
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Attila Hildmann protestiert vor dem Reichstag gegen die Corona-Maßnahmen.
© Quelle: imago images/Carsten Thesing
Hannover. Corona ist ein Plan dunkler Mächte, wird durch 5G-Strahlen übertragen und am Ende lässt Bill Gates uns alle chippen. So oder so ähnlich klingen die seit Wochen verbreiteten und vielfach widerlegten Verschwörungsmythen zur Corona-Pandemie. Und sie entwickeln sich aus der Nische heraus zu einem echten Massenphänomen.
Mehrere Tausend Menschen waren am Wochenende auf den Straßen, um gegen die Corona-Einschränkungen, gegen angebliche Impfpflichten und die vermeintlich dunklen Pläne der Regierung zu demonstrieren. In München hatten sich rund 3.000 Menschen auf dem Marienplatz versammelt, rund 2.000 kamen in Nürnberg. Schwerpunkt der Proteste war erneut Stuttgart: Hier standen mehr als 10.000 Menschen auf dem Cannstatter Wasen – Hauptredner war der bekannte Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen. Er propagiert in einem millionenfach geklickten Youtube-Video, dass die WHO nicht von den Staaten der Welt, sondern von Bill und Melinda Gates finanziert und kontrolliert werde.
Attila Hildmann spricht von “Stichtag”
Großen Zulauf dürften die Protestbewegungen auch deshalb haben, weil seit einigen Wochen immer mehr deutsche Prominente ins Verschwörungsgame einsteigen. Erst raunte nur Xavier Naidoo wilde Theorien in seine Telegram-Gruppe, wenig später raunten auch der Schauspieler Til Schweiger, die Youtuber Luna Darko und Ardy, Sängerin Senna Gammour oder die Influencerin Anne Wünsche mit.
Prominentester Vertreter der Corona-Skeptiker dürfte inzwischen der Vegankoch Attila Hildmann sein. Dieser belässt es allerdings schon lange nicht mehr beim Raunen. In seinen Postings propagiert Hildmann die antisemitische Ideologie einer angeblichen “neuen Weltordnung”, spricht von einem vermeintlichen “Stichtag”, gegen den man sich zur Wehr setzten müsse und posiert im selben Atemzug auf Fotos mit Waffen. Hildmann war auch derjenige, der vor einer Woche eine Demonstration in Berlin organisierte, auf der ein Kamerateam der ARD von einem Teilnehmer angegriffen wurde.
Verschwörungspromis gab es auch früher schon
Dass Prominente in Richtung Verschwörungsideologien abdriften ist grundsätzlich kein neues Phänomen. Schon früher gab es Einzelfälle – allerdings waren diese häufig an ein berufliches Schicksal geknüpft. Ein Beispiel ist die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman: Nachdem sie auf einer Pressekonferenz 2007 die NS-Familienpolitik glorifiziert hatte und ihr später von ihrem Arbeitgeber, dem NDR, gekündigt worden war, sah Hermann praktisch in allem die große Verschwörung. Sie heuerte beim rechten Kopp-Verlag an, las einige Jahre eine verschwörungsideologische Nachrichtensendung und sendet auch heute, rund 13 Jahre nach dem Ende ihrer TV-Karriere, noch immer auf ihrem Youtube-Kanal munter krude Theorien in die Welt.
Die Biografie von Ken Jebsen klingt ähnlich: Er flog nach einem Antisemitismusvorwurf beim RBB raus, verlor seine beliebte Radiosendung und eröffnete kurz darauf seinen eigenen Youtube-Kanal.
Ein etwas weniger prominentes Beispiel ist der Werdegang des Schlagersängers Christian Anders. Bekannt geworden in den Siebzigern mit Gassenhauern wie “Es fährt ein Zug nach Nirgendwo”, spielte seine Musik irgendwann schlichtweg keine Rolle mehr. Anders bog nach rechts ab und beglückte sein Publikum fortan auf seinem “Christian Anders Truth Channel” auf Youtube mit allerhand kruden Ideologien.
Promis setzen gezielt ihre Karriere aufs Spiel
Karriereknick, gekränktes Ego und ein Neustart als Verschwörungstheoretiker – das klingt wie eine logische Faustformel für den öffentlichen Meltdown einst gefragter Prominenter. Doch dann kam Corona und änderte alles.
Denn das, was Deutschlands Promis derzeit tun, hat tatsächlich eine neue Qualität. Plötzlich springen Persönlichkeiten auf den Verschwörungszug auf, denen man alles, aber eben keinen mangelnden Erfolg unterstellen kann. Xavier Naidoo hatte noch vor einigen Wochen einen gut bezahlten Platz in der DSDS-Jury von RTL und beendete mit fremdenfeindlichen Telegram-Videos seine Karriere einfach selbst.
Attila Hildmann ist zwar Restaurantbesitzer und damit direkt von den Corona-Einschränkungen betroffen, doch mit seinen Kochbüchern hat der Berliner sehr viel Geld verdient. Es wäre ein Leichtes gewesen, in der Corona-Zeit die Bekanntheit zu nutzen und einfach ein paar Kochtipps zu geben. Doch Hildmann fühlte sich zu Höherem berufen.
Auch Sonja Zietlow oder Til Schweiger oder die Youtuber Luna Darko und Ardy sind überaus erfolgreich, ließen es sich dennoch nicht nehmen, auf ihren Socialkanälen fragwürdige Theorien zu verbreiten. Auch sie nehmen offenbar ganz absichtlich in Kauf, mit viel Blödsinn ihre Karriere zu gefährden – oder gar zu beenden.
Doch wenn es nicht der mangelnde Erfolg ist – was ist es dann? Warum drehen plötzlich alle Promis durch?
<b>These 1: Corona macht die Promis verrückt</b>
In der aktuellen Debatte werden Verschwörungstheoretiker und auch Figuren wie Attila Hildmann häufig als “Verwirrte” oder “psychisch Kranke” bezeichnet. Corona würde diese Menschen schlichtweg “verrückt” machen, heißt es dann oft. Tatsächlich ist ein Herumhantieren mit diesem Begriff aber kritisch. Denn krankhafte Paranoia gibt es tatsächlich – viele Menschen leiden unter dieser oder anderen psychischen Erkrankungen, würden aber niemals mit Waffen auf Instagram zum “Widerstand” aufrufen oder Anhänger in den sozialen Netzwerken gegen Forscher oder Politiker aufhetzen. Auch Gewalt geht von psychisch kranken Menschen nur in seltenen Fällen aus, sagen Experten.
Dass Corona an unser aller Nerven zerrt, ist nicht von der Hand zu weisen. Das Verhalten von Attila Hildmann und Co. aber einfach als “krank” abzutun, greift zu kurz – und ist ganz nebenbei äußerst unfair gegenüber tatsächlich Betroffenen.
<b>These 2: Promis sind auch nur Menschen</b>
Schon eher trifft diese These zu. Denn der Glaube an Verschwörungstheorien hat rein gar nichts mit dem gesellschaftlichen Status zu tun. Die Corona-Pandemie ist eine Ausnahmesituation für Menschen aller Schichten. Die Wissenschaftlerin Pia Lamberty analysiert das in einem Interview mit dem “Tagesspiegel” so: “Wenn Menschen das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben, suchen sie Strategien, um damit umzugehen. Eine Strategie ist, auch da Muster zu sehen, wo keine sind.”
Eine weltweite Pandemie bedeutet auch für die Hildmanns, die Schweigers Kontrollverlust, unsichere Zeiten, möglicherweise Angst vor der Zukunft – egal, wie voll das Bankkonto ist. Dass sich der ein oder andere etwas zu sehr hineinsteigert, ist daher ein erwartbarer Nebeneffekt.
<b>These 3: Sie waren schon immer ein bisschen “extrem”</b>
Die Wissenschaft versucht bereits seit Jahren herauszufinden, welche Menschen ganz besonders anfällig für Verschwörungsideologien sind. Laut dem Forscher Michael Butter gibt es hier eine Tendenz: “Je mehr sich Leute extremen politischen Positionen zuwenden, desto mehr neigen sie dazu, Verschwörungstheorien zu glauben”, sagte er mal in einem Beitrag des SWR.
Gut möglich also, dass die Ansichten der genannten Promis gar nicht so neu sind – sie hielten sich nur bislang in der Öffentlichkeit bedeckt.
Xavier Naidoo ist da eine Ausnahme: Er saß schon vor knapp zehn Jahren im ARD-Morgenmagazin und verbreitete Reichsbürgerthesen, die damals allerdings noch nicht so bekannt waren. Attila Hildmann pöbelt bereits seit einigen Jahren immer wieder auf Facebook gegen diverse Menschen, die er als Gegner empfindet – von der Zeitungskolumnistin bis zur Berliner Polizei. Gleiches gilt für Schauspieler Til Schweiger.
Vielleicht hat Corona bei den bei den Promis nur das Fass zum Überlaufen gebracht.
<b>These 4: Ihnen fehlt die Aufmerksamkeit</b>
Laut Wissenschaftlern haben Verschwörungstheorien einen ähnlichen Effekt wie der Populismus: Sie ziehen Menschen an, die sich marginalisiert fühlen. Auch das erklärt der Forscher Michael Butter in einem Beitrag beim SWR.
Überträgt man das auf Deutschlands Promis, klingt die These zunächst etwas fragwürdig. Wo sollen denn Prominente in Deutschland marginalisiert werden? Doch mit Logik haben ja auch Verschwörungstheorien und Populismus nichts zu tun. Möglicherweise fühlen sich die genannten Akteure, als liefen sie nur noch unterm Radar. Plötzlich sind es die Drostens und Merkels und Spahns, an deren Lippen das Land hängt – und nicht mehr die eines nuschelnden Schauspielers. Vielleicht knickt da das Ego ein, egal wie erfolgreich man auch ist.
Und die sozialen Medien verschärfen den daraus folgenden Effekt: Hier bekommen die Akteure schnell wieder Applaus und Bestätigung für ihr Geschwurbel sowie jede Menge neue Anregungen aus der Verschwörungsbubble. Für Figuren wie Hildmann offenbar ein Grund, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.
<b>These 5: Sie fühlen sich zu Höherem berufen</b>
Die Autorin Sophie Passmann brachte in einem viel beachteten Instagram-Video einen weiteren Aspekt ins Spiel. In Verschwörungstheorien stecke ja immer auch der Gedanke “‘Ich hab als einziger die Wahrheit erkannt. Alle großen Tageszeitungen, alle öffentlich-rechtlichen Medienanstalten, alle Medienmacherinnen und Medienmacher in Deutschland haben nicht verstanden, was ich verstanden habe. Denn ich habe mal bei einer Casting-Singshow mitgemacht’”, so die Autorin ironisch.
Über Promis wie Attila Hildmann und Til Schweiger sagt Passmann: “Schuster, bleib bei deinen Leisten: Leute, die hauptberuflich nichts mit intellektueller Arbeit zu tun haben und sich auf einmal aufspielen als die großen Wahrheitsverbreiter in der Bundesrepublik Deutschland, also ein veganer Koch, ein Tanzcoach, ein Regisseur von schnulzigen Romcoms, die alle die Arroganz haben zu glauben, sie hätten eine Pandemie besser verstanden als Virologen und Politiker.”
Das Wort “Arroganz” klingt hier tatsächlich sehr treffend – ebenso die Einschätzung, dass sich viele Prominente zu Höherem berufen fühlen, als sie im Stande wären zu leisten. Wer Interviews vom Schauspieler Til Schweiger sieht, bemerkt das ziemlich schnell.
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<b>These 6: Verschwörungstheorien sind extrem lukrativ</b>
Manchmal steckt hinter Verschwörungstheorien gar nicht so viel Wahnsinn, wie man glaubt, dafür aber ein gutes Geschäftsmodell. Die Wirtschaftsauskunftei Bürgel schätzte den Jahresumsatz des verschwörungstheoretischen Kopp-Verlags im Jahr 2013 bereits auf bis zu 10 Millionen Euro, und das war sieben Jahre vor Corona.
Verschwörungstheoretiker Alex Jones hat mit seiner US-Webseite Infowars ein Millionenimperium aufgebaut. Seinen Followern erzählt Jones etwa, die Regierung mache sie gefügig, indem sie Chemikalien ins Wasser mische. Das passende Gegenmittel bietet Jones dafür in seinem Onlineshop an: ein Wasserfiltersystem für 1799,99 Dollar.
Gut möglich, dass auch ein Attila Hildmann schon an morgen denkt. Vegane Kochbücher sind lukrativ, klar. Aber ein Anti-Corona-Filtersystem? Da eröffnen sich einem völlig neue Möglichkeiten.
Aber das ist natürlich – wie könnte es anders sein – nur eine Theorie.