Absturz zwischen Leimen und London – warum der Fall Boris Becker so bitter ist
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Der Southwark Crown Court in London sprach Ex-Tennisstar Boris Becker in mehreren Punkten schuldig.
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, sagt der Volksmund. Der Spruch stimmt nicht immer, vor allem nicht im deutschen Strafrecht.
Aber auf Boris Becker trifft er zu. Der frühere deutsche Ausnahmesportler aus Leimen wurde an diesem Freitag von den Geschworenen am Londoner Gericht Southwark Crown Court in vier von insgesamt 24 Punkten schuldig gesprochen. Ihm drohen nun mehrere Jahre Haft.
Den Tag seiner größten persönlichen Niederlage erlebte Becker ausgerechnet in der Stadt, in der er seinen größten Triumph feiern durfte. Der Centre-Court von Wimbledon ist vom Richtertisch nur wenige Kilometer entfernt. Dort, auf dem heiligen Rasen der Tenniswelt, wurde er 1985 als 17-Jähriger als erster deutscher und zugleich jüngster Finalsieger so etwas wie der König der Welt.
Als Pokerspieler von Fans bemitleidet
Becker wurde im Laufe der Zeit mit Faust und Hechtrolle zum Bumm-Bumm-Boris, der dem deutschen Tennissport gemeinsam mit Steffi Graf und Michael Stich einen veritablen Aufschwung bescherte, sowie zum unbekümmert-weltmännischen Herrn Becker, der englisch parlierte und das Bild vom stocksteifen Deutschen im Ausland weichzeichnete.
Doch mit dem Rücktritt vom Profisport 1999 bekam auch sein Leben augenscheinlich einen Knick. Es begann mit der (ebenfalls in London spielenden) Besenkammeraffäre und dem teuren Scheitern von zwei Ehen sowie mehreren Beziehungen. Dazu kamen wirtschaftliche Misserfolge bei mehreren Beteiligungen durch Dummheit oder schlechte Beratung. Als Pokeramateur „Boris Becker“ wurde er schließlich von vielen früheren Fans nur noch bemitleidet.
Becker bereits 2002 verurteilt
Auch mit der Justiz hatte Becker spätestens seit 2002, als ihn ein Gericht in München wegen Steuerhinterziehung verurteilte, immer wieder Berührung. 2017 musste der Millionär schließlich Privatinsolvenz anmelden.
Beckers Absturz irgendwo zwischen Leimen und London taugt als Fallbeispiel, was Erfolg und Prominenz im Teenageralter – gepaart mit schlechter Beratung und einer sensationshungrigen Öffentlichkeit – im Verlauf eines Lebens anrichten können. Allerdings: Es gibt auch gegenteilige Beispiele. Der nur zwei Jahre jüngeren Steffi Graf, die bereits als 13-Jährige zum Tenniswunderkind erklärt worden war und zeitlich parallel zu Becker im Frauentennis aufstieg, gelang der Drahtseilakt zwischen öffentlichen und privaten Interessen weitaus besser.
Graf als Gegenentwurf zu Becker
Zumal auch Graf 1997 gemeinsam mit ihrem Vater Peter gegen Vorwürfe wegen Steuerhinterziehung zu kämpfen hatte. Die Ermittlungen wurden jedoch eingestellt, weil sie Geld zahlte und „aktiv an der Schadenswiedergutmachung mitarbeitete“, wie ihr die Staatsanwaltschaft attestierte. Peter Graf hingegen wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Graf hat als Gegenentwurf zu Becker aus ihren Lektionen offensichtlich gelernt. Geschäftlich suchte sie sich anderen Umgang. Außerdem mied sie das Rampenlicht so weit es als prominente Sportlerin eben ging. Bis heute ist das so.
Jetzt muss er als 54-jähriger Vater von vier Kindern um seine Freiheit bangen.
Becker zog mit seiner Großspurigkeit hingegen zu lange die falschen Leute an – das ist sein persönliches Defizit. Das kann er niemandem in die Schuhe schieben. Dass Erfahrungen klug machen sollen, trifft auf Boris Becker bedauerlicherweise nicht zu. Jetzt muss er als 54-jähriger Vater von vier Kindern um seine Freiheit bangen.
Das alles ist bitter. Für ihn, weil er nicht aus der Abwärtsspirale findet. Für uns, weil die Sportikone Boris Becker nun endgültig wieder auf Normalmaß geschrumpft ist. Denn seien wir mal ehrlich: Vorbilder, wie Becker eines war, hat doch jeder irgendwann nötig. Oder?