Zypern wird zum Fluchtpunkt für Migranten
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Ein junges Migrantenpaar aus Kamerun haust in einem blauen Zelt innerhalb der von den Vereinten Nationen kontrollierten Pufferzone in der Hauptstadt des geteilten Zyperns. Es sitzt wie viele andere auf der Insel fest.
© Quelle: Petros Karadjias/AP/dpa
Es war eine betriebsame Woche für die Seenotretter auf Zypern. Am Montagabend erreichte ein Funkspruch die Notrufzentrale in der zyprischen Hafenstadt Larnaca. Der Hilferuf kam von einem Holzboot, das nach einem Maschinenschaden 100 Seemeilen (203 Kilometer) westlich der Insel steuerlos in der stürmischen See trieb. An Bord des 18 Meter langen Schiffes waren mehr als 300 Migranten, darunter viele Frauen und Kinder. Ein Hubschrauber, drei Schiffe der Küstenwache und der Frachter „Paolo Topic“ eilten dem Havaristen zu Hilfe. Trotz des Sturms gelang es den Rettern, alle Menschen unversehrt auf die „Paolo Topic“ zu bringen. Der Kapitän des Frachters nahm die Schiffbrüchigen zu seinem Bestimmungsort Istanbul mit.
Nur wenige Stunden später erreichte die Retter auf Zypern ein weiterer Notruf. Er kam von einem Flüchtlingsboot, das 56 Kilometer vor Larnaca in Seenot geraten war. Alle 177 Passagiere, darunter 67 Frauen und Kinder, konnten gerettet und in ein zyprisches Aufnahmelager gebracht werden. Sie waren nach eigener Aussage im Libanon an Bord des Schiffes gegangen und wollten nach Italien.
Immer häufiger wählen Schleuser diese lange Route. Sie kassieren für die Reise von den Migranten bis zu 5000 Euro. Doch viele der altersschwachen und überfüllten Boote erreichen ihr Ziel nicht. Sie geraten in Seenot. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen schätzen, dass bereits Hunderte Menschen bei solchen Havarien ertrunken sind.
Die 177 Menschen, die am Dienstag nach Larnaca gebracht wurden, sollen schon in den nächsten Tagen in den Libanon zurückgebracht werden. Zypern unterhält mit dem Land ein Rückführungsabkommen. Doch das löst das Migrationsproblem auf der Insel nicht. 2021 hat sich die Zahl der Asylanträge fast verdoppelt. In diesem Jahr registrierten die Behörden von Januar bis Juli bereits über 13.000 Asylbewerber. In Relation zur eigenen Bevölkerung sind das mehr als in jedem anderen EU-Staat. Nach Angaben des zyprischen Innenministeriums machen Menschen ohne Aufenthaltsstatus mehr als 5 Prozent der Inselbevölkerung aus. Die meisten Migranten – in ihrer Mehrheit Afrikaner – kommen über die Türkei in den türkisch besetzten Inselnorden und überqueren dann die kaum bewachte Demarkationslinie. Damit haben sie die EU erreicht. Doch weil Zypern nicht zum Schengen-Raum gehört, sitzen die Menschen auf der Insel fest.
Manche versuchen, mit gefälschten Papieren in andere EU-Staaten zu fliegen. An den Flughäfen Larnaca und Paphos stellte die zyprische Grenzpolizei zwischen Januar und August 278 gefälschte Reisedokumente sicher. Die Inhaber der falschen Pässe waren überwiegend Nigerianer und Kongolesen. Sie wollten nach Deutschland, Frankreich, Belgien und Italien ausreisen.
Kontrollverlust droht
Die Aufnahmelager auf der Insel sind überfüllt. Im Februar wurden im Lager Pournara bei Tumulten 36 Menschen verletzt. Das Camp ist für 1000 Menschen ausgelegt, beherbergt aber über 2000 Bewohner. Anfang September steckten nigerianische Migranten im Lager Menogeia Zelte in Brand, um gegen die Missstände zu protestieren. Der Migrationsforscher Gerald Knaus warnte kürzlich in einem Interview im Deutschlandfunk, die Situation auf Zypern drohe „außer Kontrolle“ zu geraten. Die EU habe bisher „darauf keine Strategie“, kritisierte Knaus.
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Die zyprische Regierung hat die Europäische Union bereits mehrfach um Hilfe gebeten, bisher allerdings ohne großen Erfolg. Die EU-Kommission forderte zwar im Juni die Behörden im türkisch kontrollierten Nordzypern auf, die irreguläre Einreise in die Republik Zypern über die Demarkationslinie zu unterbinden. Greifbare Ergebnisse hatte diese Mahnung aber nicht. Die EU streitet seit Jahren über eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik. Daran scheitert bisher eine Verteilung der Migranten von den Erstaufnahmeländern wie Zypern auf andere Staaten.
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