Zwei Staaten rüsten auf: Wie viel riskiert Erdogan im Konflikt mit Griechenland?
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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, spricht nach einer Kabinettssitzung in Ankara.
© Quelle: Uncredited/Turkish Presidency/AP
Kein anderes Nato-Land steckt derzeit so viel Geld in sein Militär wie Griechenland. Auch die benachbarte Türkei rüstet kräftig auf. Auf den ersten Blick stärkt das die Südostflanke der Allianz. Das Wettrüsten schürt aber zugleich das Konfliktpotenzial.
Der Brief ist seit Mittwoch unterschrieben, er muss jetzt nur noch bei der US-Botschaft in Athen abgegeben werden: Mit einem sogenannten Letter of Request teilt die griechische Regierung den USA ihren Wunsch nach Lieferung von 20 Kampfflugzeugen des Typs F‑35 mit. Für weitere 20 Exemplare des Tarnkappenjets will Griechenland Optionen aufnehmen.
Ebenfalls am Mittwoch hatte das Pentagon in Washington Unterstützung für den Wunsch der Türkei nach 40 Kampfjets vom Typ F‑16 signalisiert. 80 ältere Flugzeuge dieses Typs will Ankara modernisieren. Ein Zusammenhang zwischen beiden Ankündigungen liegt auf der Hand.
Früher oder später könnte es zu einem Abschuss kommen
Die Rüstungsspirale im östlichen Mittelmeer dreht sich immer schneller. Die historisch verfeindeten Nato-Partner Griechenland und Türkei rüsten jetzt massiver auf als je zuvor – gegeneinander. Schon im Sommer 2020 gerieten beide Länder im Streit um die Bodenschätze im östlichen Mittelmeer an den Rand eines Krieges.
Im Luftraum über der Ägäis liefern sich türkische und griechische Kampfpiloten mit scharfer Raketenbewaffnung fast täglich riskante Abfangjagden. Militärexperten befürchten, dass es bei diesen Manövern früher oder später zu einem Abschuss kommen könnte.
Nimmt Erdogan für seine Wiederwahl einen Krieg in Kauf?
Zur Angst vor einem Unfall kommt die Ungewissheit über die Absichten des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Er muss sich im kommenden Frühjahr Wahlen stellen, die über sein politisches Schicksal entscheiden. In Griechenland gibt es die Befürchtung, Erdogan könnte für seine Wiederwahl alles riskieren – sogar einen Krieg.
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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, äußert sich bei einer Pressekonferenz zum Abschluss des Nato-Gipfels in Madrid.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
Vor allem zur See rüstet die Türkei derzeit massiv auf. Sie baut gegenwärtig mit deutschen Lizenzen sechs U‑Boote. Sie sollen vor allem im östlichen Mittelmeer eingesetzt werden. Mit spanischer Unterstützung hat die Türkei ihren ersten Flugzeugträger fertiggestellt, die „TCG Anadolu“. Ein zweiter, größerer Träger ist geplant.
Athen versucht nachzuziehen. Für seine Marine hat Griechenland drei französische Fregatten des Typs Belharra bestellt, über die Lieferung mehrerer Korvetten wird verhandelt. Mit 24 in Frankreich bestellten Rafale-Jets und den geplanten F‑35 wollen die Griechen die Luftüberlegenheit über der Ägäis gewinnen, nachdem die Türkei auf bereits bestellte F‑35 wegen der Beschaffung russischer Luftabwehrraketen verzichten muss.
Ein Grund für griechische Staatsschuldenkrise
Griechenland, das 1952 der Nato beitrat, hat schon in früheren Jahrzehnten viel Geld für die Landesverteidigung ausgegeben. Geschuldet war das der exponierten geografischen Lage als Brückenkopf im Kalten Krieg. Zwischen 1974 und 1985 erreichten die Verteidigungsausgaben zwischen 5 und 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In den 1990er- und 2000er-Jahren waren es immer noch zwischen 2,5 und 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Die hohen Militärausgaben waren einer der Gründe für die Staatsschuldenkrise, die in Griechenland 2009 ausbrach. Als Bedingung für Hilfskredite der Euro-Partner und des Internationalen Währungsfonds (IWF) musste die Regierung in Athen die Militärausgaben drastisch herunterfahren.
Von 2010 bis 2014 fielen die Verteidigungsausgaben von rund 7 auf 5 Milliarden Euro. Die Ausgaben für Beschaffungen wurden von 2,2 Milliarden auf 500 Millionen Euro heruntergefahren. Auf diesem Niveau blieben die Rüstungsprogramme fast ein Jahrzehnt.
Seit drei Jahren steigen Militärausgaben wieder
Der Kurswechsel in der Verteidigungspolitik kam vor drei Jahren mit der Amtsübernahme des konservativen Premiers Kyriakos Mitsotakis. 2021 verfünffachte die neue Regierung die Ausgaben für Beschaffungsprogramme von 500 Millionen auf 2,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr sind sogar 3,37 Milliarden Euro eingeplant. Der gesamte Verteidigungshaushalt steigt auf 6,43 Milliarden Euro – gegenüber 3,6 Milliarden im Jahr 2019.
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Hintergrund ist das zunehmend aggressive Auftreten der benachbarten Türkei. Sie beansprucht nicht nur im östlichen Mittelmeer Seegebiete, die nach der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen (UNCLOS) den EU-Staaten Griechenland und Zypern als ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ) zustehen. Jetzt meldet die türkische Regierung auch Gebietsansprüche auf 22 Ägäisinseln an. Griechenland habe auf diesen Inseln Militär stationiert und verstoße damit gegen die Verträge von Lausanne (1923) und Paris (1945).
Deshalb verliere Griechenland die Souveränität über Inseln wie Rhodos, Kos, Lesbos und Samos, argumentiert die Türkei. Athen begründet die Militärpräsenz mit dem Recht auf Selbstverteidigung, das in der UN-Charta festgeschrieben ist, und verweist auf die Bedrohung durch die an der türkischen Ägäisküste stationierte 4. Armee. Sie wurde 1975 nach der türkischen Zypern-Invasion aufgebaut und umfasst die größte Zahl von Landungsschiffen im Mittelmeer. Als einzige der vier türkischen Heeresarmeen ist sie nicht der Nato unterstellt.
Weil unser Nachbar die Türkei ist und nicht Dänemark.
Kyriakos Mitsotakis,
griechischer Premier, auf die Frage, warum Athen so viel Geld für das Militär ausgebe
Erdogans Außenminister Mevlüt Cavusoglu erneuerte vergangene Woche die türkischen Gebietsansprüche auf griechische Ägäisinseln. Die Türkei dürfe „nicht in ihren Grenzen gefangen“ sein, sagte Cavusoglu. Das bestärkte viele Griechinnen und Griechen in ihren Ängsten.
Der Musterschüler der Nato
Zwischen 2022 und 2028 will Griechenland weitere 11,5 Milliarden Euro für die Beschaffung von Rüstungsgütern ausgeben. Noch im vergangenen Jahr gab es in der EU Kritik an den kostspieligen Rüstungsprogrammen. Auf die Frage, warum sein hoch verschuldetes Land so viel für das Militär ausgebe, sagte Premier Mitsotakis: „Weil unser Nachbar die Türkei ist und nicht Dänemark.“
Die Kritik ist im Licht des russischen Angriffs auf die Ukraine inzwischen weitgehend verstummt, denn die Aufrüstung stärkt auch die Kampfkraft der Nato. Griechenland gilt in der Allianz als Musterschüler. Mit 3,82 Prozent des BIP gab es im vergangenen Jahr sogar einen höheren Anteil für sein Militär aus als die USA mit 3,52 Prozent des BIP.
Wie lange und um welchen Preis sich die Griechinnen und Griechen einem Angriff der zahlenmäßig überlegenen Türkei widersetzen könnten, ist trotzdem ungewiss. Es wäre vermutlich ein Krieg, bei dem es nur Verlierer geben würde.
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