Zehn Nachrichten aus einer neuen nuklearen Welt
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Warum nur einen neuen Reaktorblock bauen, wenn es auch sechs gleichzeitig sein können? Wie die Nuklearanlage San’ao in China aussehen soll, zeigt diese Computergrafik des Energiekonzerns China General Nuclear. Der Bau hat bereits begonnen.
© Quelle: China General Nuclear
Aus Berlin kam an diesem Wochenende ein Krisenzeichen ganz eigener Art: Die Bundesregierung rät den Unternehmen in Deutschland inzwischen zur Anschaffung von Notstromaggregaten.
Empfehlenswert seien Systeme mit einer Überbrückungszeit von 72 Stunden, schrieb Patrick Graichen (Grüne), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, in der Antwort auf eine Anfrage des CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger.
Es ist die jüngste Bankrotterklärung einer rundum auf Grund gelaufenen deutschen Energiepolitik.
Zuvor schon hatte Minister Robert Habeck das Publikum im In- und Ausland zum Kopfschütteln veranlasst mit seiner Ankündigung, mehr Kohle zu verstromen. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage notwendig, um den Gasverbrauch zu senken“, erklärte ein zerknirschter Robert Habeck bei einem Auftritt vor Journalistinnen und Journalisten in Berlin.
Dieselaggregate sollen angeworfen werden, die Kohle soll eine neue Blüte erleben – nur bei der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke soll es unbedingt bleiben? Dies alles löst nur noch Verwunderung aus, quer durch die politischen Lager.
- Klimaschützerinnen und ‑schützer sind entsetzt. Mehr Strom aus der Verbrennung von Kohle zu gewinnen ist genau das Gegenteil der CO₂-Wende, für die die Fridays-for-Future-Bewegung seit Jahren kämpft.
- Zugleich aber fassen sich jene 61 Prozent der Bundesbürgerinnen und ‑bürger an den Kopf, die laut ARD-Deutschlandtrend dafür plädieren, zumindest die drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke wegen der aktuellen Krisen länger am Netz zu lassen.
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Klare Mehrheit fürs Laufenlassen: Umfrage von Infratest Dimap für den ARD-Deutschlandtrend.
© Quelle: ARD (screenshot) / Infratest dimap
Deutschland hat verschlafen
Im Mai bei einer Expertenanhörung in München mahnte der Leiter des AKW Isar 2, Carsten Müller, die Politik müsse sich noch im gleichen Monat entscheiden. Noch könne nahtlos genug Uran beschafft und nötiges Personal geholt werden. „Wenn diesen Monat keine Entscheidung kommt, sind aus unserer Sicht Fakten geschaffen, die irreversibel sind“, sagte Müller laut „Süddeutscher Zeitung“.
Die Regierung in Berlin aber verschleppte das Thema – und beruft sich nun darauf, es sei bereits zu spät.
Ergebnis: Just in der Mitte des kommenden Winters sollen die letzten drei Reaktoren Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 vom Netz gehen. Je mehr windstille Nächte es dann gibt, umso mehr wird Deutschland dann die gute alte Kohle verfeuern – als hätte es so etwas wie Klimaziele nie gegeben. Wenn dann noch viele Menschen mangels Gas auf elektrische Heizlüfter ausweichen, drohen Stromausfälle.
In einem solchen Szenario könnte sich Deutschlands weihevoll durchgehaltenes Nein zur Nukleartechnik als verhängnisvoller Irrweg entpuppen.
Tatsächlich wäre es Zeit, dass die Deutschen spätestens jetzt, angesichts der Energiekrise, endlich die Augen öffnen. Deutschland selbst ist müde geworden. Die Welt um Deutschland herum aber schläft nicht, schon gar nicht, wenn es um Energiepolitik geht.
Zehn Nachrichten fügen sich zum Bild einer sich im Augenblick gerade neu formierenden Welt der Nuklearenergie – in der Deutschland ziemlich allein dasteht.
1. Finnland zeigt, wie es geht
Ende dieses Jahres, genau parallel zum Atomausstieg der Deutschen, geht in Finnland Europas modernster Reaktor in Betrieb.
Olkiluoto 3 wird von Betreibern und Herstellern (Framatome und Siemens) als „inhärent sicher“ beschrieben. Ein sogenannter „core catcher“ soll einem Durchbrennen des Reaktorkerns wie in Fukushima vorbeugen.
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Der Reaktor ganz links ist der neueste: Olkiluoto 3 soll im Laufe dieses Jahres getestet und hochgefahren werden.
© Quelle: Hannu Huovila / TVO (Wikipedia)
Der Einwand, Atomenergie sei unverantwortbar, solange es kein Endlager gebe, sticht hier nicht: Finnland kann als erster Staat auf ein Endlager verweisen – und auf den dazu nötigen politischen Konsens.
Mit dem neuen Kernkraftwerk verfolgt Finnlands sozialdemokratische Ministerpräsidentin Sanna Marin drei Ziele. Olkiluoto 3 soll helfen, die Strompreise zu dämpfen, den Kohlendioxidausstoß zu senken und nicht zuletzt die Abhängigkeit von Russland zu verringern.
Die Grünen tragen Olkiluoto 3 mit. Veli Liikanen (42), Generalsekretär der finnischen Grünen, erläuterte bereits in diesem Frühjahr im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland die Hintergründe. Zum Konsens habe beigetragen, dass Finnland auch die leidige Endlagerfrage beantwortet habe durch bereits im Bau befindliche Strukturen in einer Granitformation. Inzwischen, sagte Liikann, sähen bei den Grünen insbesondere die Jüngeren in der Klimakrise das gravierendere Problem.
2. Belgien verschiebt den Atomausstieg
In Europa bleiben Frankreich und Großbritannien wie immer auf Pro-Atom-Kurs. Neu ist aber, dass kleinere Staaten, die eigentlich aus der Atomkraft hatten aussteigen wollen, mittlerweile umdenken.
Belgien etwa will zwar prinzipiell an einem Atomausstieg festhalten. Andererseits hält die Regierung es nicht für verantwortbar, in diesen kritischen Zeiten auf Strom aus Atomreaktoren zu verzichten. Der belgische Kompromiss lautet nun: Der fürs Jahr 2025 geplante Atomausstieg wird um zehn Jahre verschoben auf 2035.
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Er will „Gewissheit in unsicheren Zeiten“: Alexander De Croo, Premierminister von Belgien.
© Quelle: Olivier Matthys/AP/dpa
„Jeder weiß, dass es einen Krieg in Europa gibt“, argumentiert der belgische Premierminister Alexander De Croo, ein Liberaler. „Wir brauchen jetzt Gewissheit in unsicheren Zeiten.“ Deshalb bleiben die Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 über 2025 hinaus am Netz.
De Croo betonte in den vergangenen Wochen, dass in Belgien gleichzeitig der Umstieg auf erneuerbare Energien beschleunigt werde. Dieser Aspekt hilft offenbar auch den belgischen Grünen, diesen neuen belgischen Politikmix mitzutragen.
3. Niederlande planen zwei neue AKW
Schon vor Kriegsbeginn hat die niederländische Regierung einen Energiemix beschlossen, der verstärkt auf Kernkraft setzt. Das AKW Borssele soll nun länger laufen als geplant, und zwei neue Kernkraftwerke sollen gebaut werden. Um den Neubau in der ersten Phase anzuschieben, hat die Regierung 5 Milliarden Euro bereitgestellt.
Eine Standortentscheidung gibt es noch nicht. Gelegentlich wurde Eemshaven in der Region Groningen genannt, wo derzeit ein großes Kohlekraftwerk läuft. Als wahrscheinlicher gilt aber mittlerweile, dass die neuen niederländischen Reaktoren in Borssele in der Region Zeeland konzentriert werden.
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Plant einen Energiemix mit nuklearen Anteilen: Mark Rutte, Premierminister der Niederlande.
© Quelle: IMAGO/Agencia EFE
Fest steht jedenfalls die Einschätzung der Regierung von Premier Mark Rutte, dass eine Wiederbelegung der Kernenergie unumgänglich sei. „Kernenergie kann Solar-, Wind- und Erdwärme im Energiemix ergänzen und zur Wasserstofferzeugung verwendet werden“, heißt es im Koalitionsvertrag, den die vier in Den Haag regierenden Parteien schon im Dezember 2021 unterschrieben. „Sie macht uns auch unabhängiger von Importen von Gas.“
4. Erster türkischer Meiler am Mittelmeer
Die Türkei will bereits im Mai 2023 ihren ersten Atomreaktor in Betrieb nehmen. Die Anlage mit dem Namen Akkuyu in Mersin am Mittelmeer wird vom russischen Staatsunternehmen Rosatom errichtet. Gebaut werden vier Blöcke mit einer Kapazität von jeweils 1200 Megawatt.
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Die Türkei setzt auf Atomtechnik aus Russland: AKW Akkuyu bei Mersin am Mittelmeer.
© Quelle: Rosatom
Russland dominiert das nukleartechnische Geschehen in der Türkei technologisch ebenso wie finanziell. In Nato-Kreisen betrachtet man Akkuyu daher seit Langem mit Argwohn: Russland, heißt es, schaffe hier nach seinen Geschäften mit Öl und Gas ein weiteres strategisch wichtiges Feld, auf dem es andere Staaten von Moskau abhängig mache.
Das Akkuyu-Projekt machte nach Angaben von Rosatom in den vergangenen Wochen rasche Fortschritte. Zuletzt habe man Teile des inneren Sicherheitsbehälters auf dem Seeweg von St. Petersburg zur Baustelle am Mittelmeer geliefert und zusammengebaut. Das AKW soll Erdbeben bis zu einer Stärke von 9 standhalten, ebenso Tsunamis, Hurrikans „sowie jeder Kombination dieser Einwirkungen“.
5. Kernkraft statt Kohle in Polen
Polen plant derzeit den Bau von sechs Atomkraftwerken. Das immer noch stark auf die heimische Kohle ausgerichtete Land sieht keinen anderen Weg, die internationalen Klimaziele zu erreichen.
Das erste polnische AKW soll an der Ostsee nordwestlich von Danzig gebaut werden und voraussichtlich im Jahr 2033 ans Netz gehen. Das Kühlwasser soll aus dem Meer entnommen werden. Gebaut werden soll eine Anlage mit insgesamt drei Reaktoren in einer bislang nur von Dünen und Wäldern geprägten Region.
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Als AKW-Standort im Gespräch: Ostseestrand in der Region Choczewo.
© Quelle: Pomorskie travel
„Wir wollen, dass beim Bau dieser Anlagen so wenig Wald wie möglich abgeholzt wird“, betonte der Bürgermeister der 5400-Einwohner-Gemeinde Choczewo diese Woche in einem Interview.
Um die Aufträge zum AKW-Bau in Polen rangeln sich derzeit Anbieter aus den USA (Westinghouse und Bechtel), Frankreich (EDF) sowie Japan (Hitachi) und Südkorea (Korea Hydro & Nuclear Power).
Südkoreas Minister für Handel, Industrie und Energie bot den Polen am 30. Juni bei einem Besuch in Warschau eine umfassende Technologiepartnerschaft an, für den Bau der Kernkraftwerke ebenso wie „für die nachfolgenden sechs Jahrzehnte Betrieb und Wartung“. Korea sei zuversichtlich, ein sehr gutes Angebot machen zu können, sagte der Minister – und verwies auf die jüngste nukleartechnische Zusammenarbeit Seouls mit den Vereinigten Arabischen Emiraten.
6. Atom statt Öl in den Emiraten
Sogar in der ölreichen Golfregion geht der Trend jetzt zum Bau von mehr Atomkraftwerken. Anfang Juni gaben die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate grünes Licht für den Einbau von Brennstäben im dritten Block des AKW Barakah in Abu Dhabi.
Das neue Atomkraftwerk, erbaut von Korea Hydro & Nuclear Power, soll dem Emirat ab 2023 Strom liefern und 60 Jahre lang funktionieren. Die zwei anderen Reaktorblöcke laufen bereits seit dem Jahr 2020. Die Milliardeninvestition in Abu Dhabi gilt unter Fachleuten als bemerkenswert, da in der Region fossile Energieträger reichlich zur Verfügung stehen.
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„Lehrvorführung zur Senkung des Kohlendioxidausstoßes“: Reaktoren in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
© Quelle: Emirates Nuclear Energy Corporation
Die Emirate sprechen stolz von einer Art Lehrvorführung zur Senkung des Kohlendioxidausstoßes. Und die Südkoreaner nutzen ihre modernen AKW in Abu Dhabi mittlerweile als technologische Demonstrationsobjekte fürs internationale Publikum.
7. Kanada setzt auf kleine Reaktoren
In Kanada geht es um eine Politik, die wegführen soll von der Kohle. Die Provinzen Alberta, Saskatchewan, Ontario and New Brunswick haben eine strategische Allianz gebildet, um Wege zu erkunden, wie man Kohlekraftwerke durch SMR ersetzen kann, kleine modulare Reaktoren.
Der erste Auftrag für das Pilotprojekt ging bereits raus. Die Wahl fiel auf GE Hitachi Nuclear Energy, ein amerikanisch-japanisches Unternehmen.
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Ein neuer Standard? Kleinreaktoren vom Typ BWRX-300 (im grün dargestellten Wasserbecken) sollen durch Serienfertigung preiswert angeboten werden.
© Quelle: GE Hitachi
Die Firma bietet einen kleinen Reaktor an, der zum neuen Standard werden könnte. Der BWRX-300 ist preiswert, verbraucht nur 10 Prozent des Platzes eines bisherigen Atomkraftwerks und kann in kurzer Zeit aufgebaut werden. Im Fall von Fehlfunktionen schaltet das System sich ab und kühlt sich allein durch Wasser, weder von außen zugeführte Energie noch technische Eingriffe sind nötig, um Sicherheit herzustellen.
Ähnliche Lösungen sind als Ersatz für Kohlekraftwerke in Rumänien im Gespräch, wo die US-Fima Nuscale aus dem Bundesstaat Oregon ebenfalls mit kleinen Reaktoren punkten will. Am 26. Juni erklärte sich die Regierung von Joe Biden in einer offiziellen Mitteilung bereit, eine Machbarkeitsstudie zum Ersatz von Kohle durch SMR in Rumänien mit zweistelligen Millionenbeträgen zu unterstützen.
8. Klimaaktivisten retten AKW in Kalifornien
In Kalifornien setzen sich Klimaschützerinnen und Klimaschützer dafür ein, dass das alte AKW Diablo Canyon nicht wie geplant 2025 stillgelegt wird. Sie befürchten einen steilen Anstieg des Kohlendioxidausstoßes im bevölkerungsreichsten Bundesstaat der USA.
Gouverneur Gavin Newsom will jetzt die Schließung tatsächlich verhindern und sich um Gelder aus entsprechenden Bundesprogrammen bemühen. Newsom befürchtet Stromausfälle, wenn der Staat zu früh auf erneuerbare Energien umsteigt und die Energienetze dann plötzlich überfordert werden, etwa durch extreme Hitze.
Nach einer aufsehenerregenden Studie der Universität Stanford hätte eine Verschiebung der Stilllegung von Diablo Canyon auf 2035 viele Vorteile: Reduzierung von CO₂-Emissionen, Reduzierung von Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher, weniger Flächenverbrauch durch Solarkraftwerke. Empfohlen wird in dem Gutachten auch die Nutzung von Diablo Canyon als Energiequelle für Meerwasserentsalzung sowie zur CO₂-freien Produktion von Wasserstoff.
9. Atomkraft wird zum strategischen Thema
Weltweit sind im Augenblick bereits 53 Atomreaktoren neu in Bau in 17 Staaten. Bei internationalen Debatten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Energiefachleuten ist mittlerweile von einem „Gezeitenwechsel“ zugunsten der Atomkraft die Rede.
In einem Leitartikel im Magazin „Nature“ wurde im Juni für ein Ende ideologischer Sperren gegenüber der Kernkraft geworben: „Kleine Reaktoren könnten neben Ökostrom arbeiten und Kapazitätslücken füllen.“ Gleichzeitig wird die strategische Dimension des Themas für Europa betont: „Ohne einen klaren politischen Willen riskiert die EU, in eine Welt zu schlafwandeln, in der Russland die Nukleartechnologien technologisch im Griff hat und die physische Kontrolle über einen Großteil der fossilen Brennstoffe Europas hat.“ Auch das Magazin „Foreign Affairs“ warnte im Juni vor einer nuklearen Hegemonie Russlands.
Der deutsche Atomausstieg erscheint in diesen internationalen Debatten als nicht nur energiepolitisch falsch, sondern auch als technologiepolitisch und strategisch schädlich. Nur zwei Staaten schreiten derzeit in der Nukleartechnik entschieden voran: Russland und China. Von den 31 seit 2017 begonnenen AKW-Neubauten folgen, wie die Internationale Energieagentur (IEA) am 30. Juni mitteilte, 27 einem entweder russischen oder chinesischen Modell.
Die USA wollen jetzt aufholen. In Amerikas Energiebranche kursieren sogar Pläne für bis zu 300 neue, vor allem wohl kleine Atomkraftwerke. „Wir haben die Innovation, wir haben die Fähigkeiten, wir haben den amerikanischen Einfallsreichtum – es gibt keinen Grund, warum wir diese Produkte nicht auf den Markt bringen sollten“, sagte Maria Korsnick, Chefin des amerikanischen Kernenergieverbandes, Anfang Juni bei dessen Jahresversammlung. „Wenn wir jetzt nicht die nächste Generation der nuklearen Energie in Gang bringen, wird unser Zögern uns alles kosten: unser Stromnetz, unsere Wirtschaft, unsere Umwelt.“
Auch beim Gipfel der 20 wirtschaftlich wichtigsten Nationen der Erde im November wird die Atomkraft ein Topthema sein. Gastgeber Indonesien stimmt die Teilnehmenden schon darauf ein. An einer G20-Videokonferenz von Fachleuten über „Potenziale der Atomenergie bei der Energiewende“ beteiligte sich auch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA).
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Tenor der Fachleute: Atomenergie wird künftig mehr denn je auch von Entwicklungs- und Schwellenländern genutzt. Anders werde der wachsende Strombedarf etwa in Afrika nicht – oder jedenfalls nicht klimaneutral – gedeckt werden können.
Immer häufiger begrüßt die IAEA derzeit sogenannte „newcomer countries“ in ihren Reihen, Staaten, die jetzt zum ersten Mal Atomkraft nutzen.
Am 29. Juni etwa gab in Ägypten die Strahlenschutzbehörde die seit Langem erwartete Genehmigung für den Bau des Atomkraftwerks El Dabaa. Bereits im Mai wurden in Uganda die Weichen gestellt für den Bau des ersten Reaktors. Weitere nukleare Vorhaben laufen in Nigeria und Kenia. Für die Philippinen verkündete der neue Präsident Ferdinand Marcos junior dieser Tage, er setze auf kleine modulare Reaktoren.
10. China ist bald voller nuklearer Energie
Während in Deutschland Atomkraft als eine Sache der Vergangenheit abgetan wird, plant China, wie schon im letzten Jahr gemeldet wurde, bis zum Jahr 2035 sage und schreibe 150 neue Reaktoren.
54 chinesische AKW laufen schon, darunter einige mit mehr Leistungskraft als in der westlichen Welt. 15 weitere Atomreaktoren sind in China im Augenblick gerade in Bau.
China nutzt zwar auch Sonne und Wind stärker denn je, sieht aber strategische Vorteile in der Nutzung der Atomkraft. Chinesische Wissenschaftler haben von ihrer Regierung den Auftrag erhalten, die Schwächen der bisherigen Nukleartechnik so gut es geht zu überwinden: Knappheit der Kernbrennstoffe, Abfallprobleme und Gefahren beim Betrieb. China investiert daher Milliarden nicht nur in den Kraftwerksbau, sondern auch in die Forschung.
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Hier half noch Technik aus Frankreich, inzwischen strebt China nach kompletter nuklearer Autonomie: Reaktoren bei Taishan in der Provinz Guangdong.
© Quelle: EDF
Neben Russland betreibt China inzwischen die weltweit einzigen Kernkraftwerke der sogenannten vierten Generation – mit höherer Sicherheit und höherer Effizienz denn je.
Anfang dieses Jahres berichtete Chinas Institut für moderne Physik zudem über den Bau eines eigens für die Nuklearenergie entwickelten supraleitenden Linearbeschleunigers. Mit der Teilchenkanone will China nukleare Abfälle behandeln, um sie in Zukunft teils unschädlich zu machen, teils auch erneut als Energiequelle zu recyceln.
Dem Staat, der hier den Durchbruch schafft, winken dauerhafte Energieunabhängigkeit und globale technologische Dominanz. China wäre dann endgültig Weltmacht Nummer eins: das Land, das schlicht und einfach mehr Energie hat als alle anderen.
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