Der erste Amerikaner im Amt

Zehn Jahre Papst Franziskus: der lange Machtkampf im Vatikan

Verteilt seinen Segen: Papst Franziskus am Fenster seines Zimmers am Petersplatz.

Verteilt seinen Segen: Papst Franziskus am Fenster seines Zimmers am Petersplatz.

Rom. Ich erinnere mich gut an diesen ungewöhnlich kalten März im Jahr 2013. Papst Benedikt XVI. war zurückgetreten und die Nerven im Vatikan lagen blank. Denn eine solche Papstwahl, wie die jetzt bevorstehende, um den 265. Nachfolger des heiligen Petrus zu bestimmen, hatte es in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche noch nie gegeben.

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Das Besondere bestand schlicht und einfach darin, dass Benedikt XVI. noch lebte. Das änderte alles. Normalerweise galt für eine Papstwahl die Regel: Sie war frei, denn der Papst war tot. Damit standen den Kardinälen alle drei Möglichkeiten offen.

Möglichkeit Nummer eins trat in Kraft, wenn ein Papst erfolgreich gewesen war. Dann mussten die Kardinäle seine Mannschaft an der Spitze der Kirche nicht austauschen und konnten einen Nachfolger wählen, der ein möglichst enger Freund des verstorbenen Papstes war. Dieser Fall hatte die Wahl von Benedikt XVI. möglich gemacht.

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Möglichkeit Nummer zwei trat in Kraft, wenn nicht eindeutig klar war, ob ein Papst erfolgreich gewesen war oder nicht. Dann tauschten die Kardinäle einen Teil der Mannschaft aus und wählten einen Nachfolger, der ein Kompromisskandidat war. So hatte es der erste slawische Papst Johannes Paul II. ins Amt geschafft.

Möglichkeit Nummer drei trat in Kraft, wenn ein Papst versagt hat. Dann wählten die Kardinäle einen Nachfolger, der ein erklärter Gegner des verstorbenen Papstes war, und feuerten die komplette Führungsmannschaft des alten Papstes.

Doch diese dritte Möglichkeit erwies sich jetzt als ein Riesenproblem. Alle Kardinäle hatten Joseph Ratzinger, also Papst Benedikt XVI., gekannt, viele waren mit ihm befreundet gewesen. Würden die Kardinäle den Mut aufbringen, einen klaren Ratzinger-Feind zu wählen und Ratzingers Freunde, die er an der Spitze der Kirche installiert hatte, in die Wüste zu schicken? Das schien extrem unwahrscheinlich, denn wie sollten sie Ratzinger dann je wieder unter die Augen treten? Und das würden sie müssen, da Benedikt XVI. im Vatikan bleiben wollte.

Offene Kritik ist dort schwierig

Während die Kardinäle sich in der Audienzhalle Papst Paul VI. auf die Wahl vorbereiteten und Stillschweigen bewahrten, berieten sich ihre Sekretäre während diskreter Treffen mit Journalisten darüber, ob ihr Chef eine Chance hatte, der nächste Papst zu werden. Denn das würde auch ihr Leben vollkommen verändern. Eines schien bei diesen Treffen klar: Nur Möglichkeit Nummer eins – die Wahl eines Freundes von Joseph Ratzinger – oder Möglichkeit Nummer zwei – ein Kompromisskandidat – kamen infrage. Dass die Kardinäle einen echten Ratzinger-Gegner wählen würden, schien völlig ausgeschlossen.

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Der Vatikan ist die letzte absolutistische Wahlmonarchie der Welt, und das bedeutet auch, dass die meisten Kardinäle die Arbeit ihres Chefs loben, egal was sie wirklich davon halten. Offene Kritik ist in einer absolutistischen Monarchie schwierig. Deswegen schien es auch unmöglich, dass die Kardinäle so viel Mut aufbringen könnten, dem zurückgetretenen Papst einen Ratzinger-Feind als Nachfolger zuzumuten. Die Amtszeit eines verstorbenen Papstes als Fehlschlag zu brandmarken war eine Sache. Aber einem noch lebenden Papst unter die Nase zu reiben, dass er für die Kardinäle ein schlechter Nachfolger des heilige Petrus gewesen war, ein Loser, noch eine ganz andere.

Als Jean-Louis Tauran am Abend des 13. März 2013 dann den Namen des soeben zum Papst gewählten Jorge Mario Bergoglio von der Benediktionsloggia verkündetet, versetzte das den Vatikan in eine Schockstarre.

Der Graben war unüberbrückbar: Papst Franziskus (links) besucht seinen Vorgänger Benedikt XVI. in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo.

Der Graben war unüberbrückbar: Papst Franziskus (links) besucht seinen Vorgänger Benedikt XVI. in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo.

Das Undenkbare war eingetreten. Die ansonsten so vorsichtigen Kardinäle hatten Mut bewiesen und einen erklärten Ratzinger-Gegner zum Papst gewählt: Bergoglio, den Rebellen aus Buenos Aires. Joseph Ratzinger hatte viele Schlachten in seinem Leben geschlagen, aber keine mit so unerbittlicher Härte wie gegen die lateinamerikanischen Bischöfe, die von einer gerechteren Welt auf ihrem Kontinent träumten und dafür die Theologie der Befreiung entwickelt hatten.

Ich hatte im Mai des Jahres 2007 im Gefolge von Papst Benedikt XVI. die Chance gehabt, an der Lateinamerikakonferenz in Aparecida in Brasilien teilzunehmen. Damals war die Stimmung gegen den deutschen Papst deutlich spürbar. Die einflussreichsten Männer der lateinamerikanischen Konferenz, wie der argentinische Erzbischof Bergoglio, hatten eindeutig die Nase voll von einer europäischen Kirche, die sie bevormundete. Sie empfanden diese Kirche als arrogant und weit weg von den tatsächlichen Gläubigen, als eine Kirche, die einen radikalen Kurswechsel brauchte. Die Gefechte, die Ratzinger gegen die angeblich vom Kommunismus unterwanderte lateinamerikanische Kirche über Jahre führte, hatten tiefe Wunden geschlagen. So hatte sich Papst Benedikt XVI. geweigert, den wichtigsten Helden der Kirche Lateinamerikas – Bischof Oscar Romero – selig zu sprechen. Der Bischof war am 24. März 1980 vor einem Altar von rechtsgerichteten Militärs in El Salvador erschossen worden, weil er versucht hatte, die Ärmsten in seinem Land gegen die Ausbeutung durch eine winzige reiche Oberschicht zu unterstützen.

Franziskus brauchte keine Atempause

Was die lateinamerikanischen Bischöfe vor allem empörte, war, dass Romero offensichtlich auch nach seinem gewaltsamen Tod keinerlei Ehre von seiner Kirche zuteilwerden sollte. Dagegen war der am 19. Oktober 1984 in Polen auf Befehl der kommunistischen Machthaber erschossene Priester Jerzy Popieluszko im Eiltempo selig gesprochen worden. Offenbar gab es in der von Johannes Paul II. und seinem Nachfolger Joseph Ratzinger dominierten Kirche keine Gerechtigkeit. Da es jetzt ausgerechnet ein Rebell aus Lateinamerika auf den Thron Petri geschafft hatte, der offensichtlich alles ändern wollte, drohte der Ratzinger-Mannschaft im Vatikan der Untergang.

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An diesem Abend des 13. März stellte sich nur noch die Frage, wie lange Bergoglio brauchen würde, um sich von dem Schock zu erholen, in das Amt des Stellvertreters Gottes auf Erde gewählt worden zu sein. Wie lange würde er aus Respekt vor seinem Vorgänger einfach alles weiterlaufen lassen, wie das nahezu alle Päpste vor ihm getan hatten? Was Papst Franziskus aber dann an diesem Abend vor der ganzen Welt in die Tat umsetzte, sorgte im Vatikan für blankes Entsetzen. Dieser 76-Jährige brauchte offensichtlich nicht einmal eine winzige Atempause nach der Wahl, er wollte blitzschnell zuschlagen, um den Vatikan umzukrempeln. Statt wie üblich von der Benediktionsloggia nach der Wahl zum Papst die Menschen zu segnen, verlangte er, dass die Menschen ihn segneten. Er weigerte sich, in den Apostolischen Palast einzuziehen, und erklärte, nur ein Zimmer im Gästehaus haben zu wollen. Jetzt war klar, dass dieser erste Papst vom amerikanischen Kontinent ein ganz anderes Bild von seinem Amt hatte als alle seine Vorgänger. Eine Revolution stand bevor, ein Kampf zwischen dem zurückgetretenen Papst und seinem Nachfolger zeichnete sich ab. Diesen Kampf zwischen den beiden Päpsten wollte Franziskus nicht vom Schreibtisch aus führen, sondern an ganz bestimmten Orten, nämlich von überall dort, wo die Welt wegschaute.

Gespräch in der Papstmaschine: Autor Andreas Englisch (links) und Franziskus – der oft an Orte fährt, die die westliche Welt am liebsten nicht sehen möchte.

Gespräch in der Papstmaschine: Autor Andreas Englisch (links) und Franziskus – der oft an Orte fährt, die die westliche Welt am liebsten nicht sehen möchte.

Wenn mich jemand fragte, was für mich ganz persönlich von den zehn Jahre an der Seite des Papstes geblieben ist, dann würde ich sagen: Scham und Bilder, die ich einfach nicht vergessen kann.

Der Job als Vatikan-Korrespondent, der seit 1987 mein Leben bestimmt, hatte auch viele angenehme Seiten gehabt. Im Gefolge von Papst Johannes Paul II. hatte ich in Polen frenetischen Jubel erlebt und war wie ein Staatsgast behandelt worden. In den Jahren, in denen ich über Joseph Ratzinger berichtete, hatte ich New York besucht und auf der Fifth Avenue eingekauft und war in Paris über die Champs-Élysées spaziert.

Im Gefolge von Franziskus hingegen konnte ich das Elend der Aids-Kranken in Mosambik ebenso wenig ertragen wie die blanke Verzweiflung in dem Auffanglager der über das Mittelmeer geflüchteten Menschen im griechischen Lesbos. Geblieben aus diesen Jahren ist, dass ich das Gefühl nicht mehr loswerden kann, einfach viel zu wenig getan zu haben, viel zu bequem und zu feige zu sein. Da war ein Mädchen in Madagaskar, es war mit seinen Geschwistern von seinen Eltern auf der Straße ausgesetzt worden. Es war etwa 14 Jahre, seine Geschwister ungefähr sieben und vier. Sie gehörten zu einer Gruppe von mehr als 50 unterernährten Kindern, die unter blutigem Ausschlag litten und den Eingang eines Supermarktes umlagerten, der neben dem Hotel meiner Vatikan-Delegation lag. Die Armee schützte die reichen Einkäufer vor den Kindern, die Lebensmittel erbetteln wollten, um nicht zu verhungern. Diese Kinder brauchten einen Arzt, etwas zu essen, eine Dusche, Kleider, eine Schule. Ich habe an dem Abend in dem Supermarkt eingekauft, den Kindern meine spärlichen Einkäufe und ein wenig Geld geschenkt, bis es zu einem Tumult kam und die Armee mich wegschickte. Ich hätte für diese Kinder viel mehr tun können.

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Ich hätte weit mehr helfen können

Im Irak habe ich aus der Stadt Mosul vor der Armee des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) geflohene Christen besucht, die von den Abfällen auf dem Markt lebten. Die Männer dieser Familien waren durch die Feuergefechte beim Kampf um Mosul von Kalaschnikow-Kugeln so schwer verletzt worden, dass sie nicht einmal mehr von der dreckigen Matratze in einem winzigen Zimmer aufstehen konnten, in dem sie mit ihren Familien hausten. Die Kinder besaßen die wenigen Dollar nicht, um in die Schule, die etwas kostete, gehen zu können. Aus Angst vor Anschlägen verließen sie das Zimmer nicht und starrten im einzigen Raum der Familie gegen die Decke. In Myanmar habe ich die Folgen des von den UN als Völkermord gebrandmarkten Kriegs gegen die Rohingya gesehen. Ich erinnere mich an einen Mann, der seine von Kugeln der Soldaten in den Rücken getroffene tote Tochter im Arm trug, weil er das Mädchen, das nur zwei Jahre alt wurde, einfach noch nicht loslassen konnte. All diesen Menschen hätte ich weit mehr helfen können.

Ich habe den Papst weinen sehen angesichts dieses Elends. Und auf dem Hinflug so mancher Reisen hat er uns im Gefolge gewarnt und gesagt, dass wir schlimme Dinge sehen werden.

Als ich im Jahr 2016 nach einer dieser Reisen nach Rom zurückkam, gab es frontale Angriffe von Papstgegnern im Vatikan gegen Franziskus. Die wichtigsten Vertrauten Joseph Ratzingers – seine engen Freunde Kardinal Joachim Meisner, Kardinal Walter Brandmüller und die ultrakonservativen Kardinäle Raymond Burke aus den USA und Carlo Caffarra aus Italien – hatten eine regelrechte Palastrevolte gegen den Papst angezettelt. Worum ging es? Papst Franziskus hatte beschlossen, Gnade gewähren zu lassen, und er hatte Menschen, die sich hatten scheiden lassen und danach wieder heirateten, zu den Sakramenten zugelassen.

Es gab offene Auseinandersetzungen

Konkret bedeutete dies, dass geschiedenen Katholikinnen und Katholiken, die eine neue Ehe eingegangen waren, erlaubt wurde, zur Kommunion zu gehen. Das wollten die Gegner von Papst Franziskus verhindern. Ich dachte damals: Die konservativen Kardinäle regen sich in ihren Prachtpalästen darüber auf, dass Menschen zur Kommunion gehen wollen? Angesichts dessen, was ich im Gefolge von Papst Franziskus gesehen hatte, war das ein unglaublich lächerlicher Streit. Glaubten diese Männer tatsächlich, dass die Kirche sich vor allem um dieses Problem kümmern musste, trotz der Tatsache, dass die Kirchen in weiten Teilen der Welt gähnend leer sind? Die Konservativen verhielten sich so, als sei das wichtigste Problem der katholischen Kirche, dass Millionen Menschen Schlange stünden, die ungerechtfertigt die Kommunion verlangten. So, als müsse sich die Kirche mit aller Macht gegen diese Massen stemmen.

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Schwierige Mission: In Kanada bittet Papst Franziskus die Ureinwohner um Vergebung für die einst von Kirchenvertretern begangenen Vergehen an indigenen Kindern.

Schwierige Mission: In Kanada bittet Papst Franziskus die Ureinwohner um Vergebung für die einst von Kirchenvertretern begangenen Vergehen an indigenen Kindern.

In diesem Jahr wurde mir klar, dass der Graben zwischen den beiden Päpsten unüberbrückbar war. Die offene Auseinandersetzung würde sich nicht mehr verhindern lassen. Denn für Papst Franziskus waren die Zeiten, in denen ein Papst seine wichtigste Aufgabe darin sah, die Seelen der gläubigen Katholiken vor dem Fegefeuer und der Hölle zu retten, vorbei. Es ging ihm jetzt nicht mehr nur um das Himmelreich, es ging ihm um Krieg, Armut, Verfolgung, um all das, was die Menschen, die in Wohlstand und Sicherheit leben, wie ich auch, am liebsten nicht sehen möchten.

Ich hatte in diesen zehn Jahren immer einen engen Kontakt zur katholischen Basis in Deutschland, weil meine Schwester als Pfarrreferentin arbeitet. Ich wusste, wie wichtig für viele Katholiken in Deutschland die Entwicklungen des synodalen Weges war. Ihre Vorschläge und Forderungen, dass Frauen zum Priesteramt zugelassen und die Diskriminierung Homosexueller beendet werden sollten, dass eine stärkere Beteiligung der Laien endlich ernst genommen werden sollte – all das halte ich für einen sehr wichtigen Reformprozess in der katholischen Kirche. Ich erinnere mich an ein kurzes Gespräch in der Papstmaschine mit Franziskus über das, was ohne Aufschub und dringend in der katholischen Kirche getan werden musste. Er war zu dem Zeitpunkt erschüttert über die Aufdeckung der Ereignisse in Kanada: Es gab keine Zweifel mehr, dass in katholischen Internaten mehr als 6000 indigene Kinder durch Seuchen, Hunger und Gewalt und als Folge von Vergewaltigungen durch Priester und Ordensleute zu Tode gekommen und einfach in den Gärten verscharrt worden waren. Ein Verbrechen, das mehr als 100 Jahre währte. Der Papst sah, wie notwendig Wiedergutmachung und Heilung waren – und was für eine gewaltige Aufgabe das war. Er sprach mit mir auch über die Zustände in den Gefängnissen in Libyen. Dort wurden Tausende, die durch die Sahara gekommen waren, gefoltert – so schwer, dass eine unbekannte Zahl von ihnen zu Tode kam. Auf verschlungenen Wegen versuchte die Kirche, diesen modernen Sklaven zu helfen.

Natürlich wusste er über den synodalen Weg in Deutschland Bescheid, aber angesichts der Auswirkungen von regelrechtem Völkermord, modernem Menschenhandel und als Waffe eingesetztem Hunger war das Problem, ob in Deutschland in absehbarer Zeit Frauen zum Priester geweiht werden könnten, nicht wahnsinnig drängend. Viele deutsche Freunde beklagten sich bei mir, dass der Papst nichts tue, aber das stimmte nicht.

Er feuerte die Ratzinger-Mannschaft

Der Vatikan schauderte vor Entsetzen angesichts der päpstlichen Reformen. Franziskus feuerte die Ratzinger-Mannschaft. Der Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, flog ebenso raus wie der enge Ratzinger-Freund und Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone. Stattdessen holte er einen Mann an die Kirchenspitze und machte ihn zum Kardinal, der ein besserer Messdiener gewesen war, Konrad Krajewski. Der hatte während der Amtszeit des Joseph Ratzinger von seinem schmalen Gehalt die Obdachlosen rund um den Petersplatz mit Frühstück und Abendessen versorgt.

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Der Chefetage im Vatikan passte es natürlich nicht, dass Papst Franziskus seine Geburtstage mit den Obdachlosenfreunden von Kardinal Krajewski feierte, aber den kostspieligen und für ihn organisierten Konzerten im Vatikan einfach fernblieb. Der Papst führte einen leisen, aber heftigen Kampf gegen die Führungsriege im Vatikan, die sich an die seit Jahrhunderten gewährten Privilegien gewöhnt hatte. Dieser Kampf erwies sich als so wirkungsvoll, weil der Papst mit eigenem Beispiel voranging und damit die im Luxus schwelgenden Männer ins Unrecht setzte. Franziskus verzichtete auf den luxuriösen Sommersitz in Castel Gandolfo, der Palast wurde ein Museum und Biopark, er verzichtete auf die Staatskarossen des Vatikans und ließ sich überall auf der Welt im Fiat 500 fahren, er schaffte die prunkvolle Kleidung für Päpste an Feiertagen ab und kam gekleidet als einfacher Gemeindepfarrer. Der Kampf ging so weit, dass er die Luxusfischtheke im vatikanischen Supermarkt abschaffte.

Gläubige nehmen Abschied von Papst Benedikt XVI., der am 31. Dezember 2022 gestorben ist.

Gläubige nehmen Abschied von Papst Benedikt XVI., der am 31. Dezember 2022 gestorben ist.

Die Ratzinger-Mannschaft warf dem Papst vor, sich auf all diese Äußerlichkeiten zu konzentrieren, weil er eine theologische Null sei. Die Franziskus-Gegner sagten im Vatikan gern den gleichen Satz: „Ich habe alles, was Jorge Mario Bergoglio geschrieben hat, gelesen und ich habe nicht lange dafür gebraucht.“ Gemessen an ihrem Idol Professor Ratzinger schien Franziskus ein theologischer Analphabet. In dem Augenblick, in dem der Rebellenpapst nicht nur an die Seite der Armen trat, sondern eine uralte Tradition anrühren wollte, das Gebot der Ehelosigkeit, den Zölibat für Priester, kam es zu einer Schlammschlacht.

Im Oktober 2019 bereitete Papst Franziskus eine Entscheidung vor, die auf den ersten Blick und für den Durchschnittsgläubigen unspektakulär erschien. In den entlegenen Gebieten der Welt, wie im Amazonasbecken, in denen Katholiken wegen des Priestermangels kein Gottesdienst angeboten werden kann, sollte Priestern erlaubt werden, zu heiraten. Der Papst wollte eine Ausnahmeregelung beschließen. Solche Ausnahmen gab es bereits reichlich. So können Priester der anglikanischen Kirche, die zur katholischen Kirche übertreten, ihre Familien behalten. Theologisch war das Ganze auch kein Problem. Paulus schreibt im ersten Korintherbrief im Kapitel 7, Vers 25: „Was die Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn.“

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Die Konservativen sahen in diesem Plan einen klaren Angriff auf die Tradition der Kirche und setzten ihre schärfste Waffe ein: Sie brachten den einen Papst gegen den anderen in Stellung. Unter Vermittlung seines Sekretärs, Erzbischof Georg Gänswein, verfasste Joseph Ratzinger ein Vorwort des Buches von Kardinal Robert Sarah, in dem es um die Unverzichtbarkeit des Zölibates ging. Um den Zwei-Päpste-Streit nicht eskalieren zu lassen, musste Franziskus seinen Plan der teilweisen Abschaffung des Zölibats zurückziehen.

Im Kampf der Päpste hatte Joseph Ratzinger gewonnen. Mit dem Tod von Benedikt XVI. am 31. Dezember 2022 endete eine der unglaublichsten Epochen in der Geschichte der katholischen Kirche. Zehn Jahre lang hatte es im Vatikan zum ersten Mal in seiner Geschichte den Kampf eines amtierenden Papstes gegen seinen Vorgänger und dessen Seilschaften gegeben. Es waren harte Jahre für Papst Franziskus, und dieser Streit wird sein Vermächtnis sein. Ich glaube, dass man noch in Jahrhunderten über diese zehn Jahre sprechen wird. Es werden Päpste kommen, die zurücktreten. Aber das werden sie dann tun, wenn sie nicht mehr handlungsfähig sind. Vielleicht wird es für sehr lange Zeit keine Epoche mehr geben, in der ein kampfeslustiger und vollkommen handlungsfähiger Papst ein ganzes Jahrzehnt die Arbeit seines Nachfolgers bekämpfen wird.

Mir bleiben diese Bilder des Pontifikates, und ich muss damit leben, dass mir ein Papst vor Augen führte, wie wenig ich in der Lage bin, das vielleicht wichtigste Gebot des Jesus von Nazareth zu befolgen: dass ebendie selig sind, die barmherzig sind. Ich war es sicher nicht genug.

In diesen Tagen erscheint Andreas Englischs neues Papstbuch.

In diesen Tagen erscheint Andreas Englischs neues Papstbuch.

In diesen Tagen erscheint Andreas Englischs neues Buch: „Das Vermächtnis von Papst Franziskus. Wie der Kämpfer im Vatikan die katholische Kirche verändert hat“ (Verlag C. Bertelsmann, 368 Seiten, 24 Euro).

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