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75 Jahre Israel

Wie die Juden ihren eigenen Staat gründeten

Der Israeli Ghiora Mehler schwenkt eine israelische Fahne während einer Demonstration gegen die Pläne der Regierung von Premierminister Netanjahu zur Überarbeitung des Justizsystems.

Der Israeli Ghiora Mehler schwenkt eine israelische Fahne während einer Demonstration gegen die Pläne der Regierung von Premierminister Netanjahu zur Überarbeitung des Justizsystems.

Berlin. Mit der Geburt Israels beginnt der Krieg an der südöstlichen Küste des Mittelmeers. Als der spätere und erste Ministerpräsident David Ben Gurion am 14. Mai 1948 um 16 Uhr die Unabhängigkeitserklärung Israels vor 250 geladenen Gästen verliest, dauert es nur wenige Stunden, bis Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, der Libanon, der Irak und Syrien dem jungen Staat den Krieg erklären – kurz nach Mitternacht.

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Noch am 15. Mai 1948 erkennen die USA als erstes Land Israel an, am 18. Mai folgt die Sowjetunion, die als erstes Land auch diplomatische Beziehungen zum jüdischen Staat aufnimmt. Das Wettrennen um wirtschaftlichen und politischen Einfluss im Nahen Osten ist um einen Akteur reicher.

Wenn die Israelis am 26. April, der dieses Jahr nach jüdischem Kalender den Unabhängigkeitstag zum 75. Mal verzeichnet, ihre Unabhängigkeit feiern, sind die meisten Probleme, die die Teilung Palästinas nach dem letzten Weltkrieg aufwarf, weiterhin ungelöst.

Israel von Beginn an von Feinden umzingelt

Israel ist seit Gründung von Feinden umzingelt. Das Land verteidigt eigene sowie besetzte Territorien mit derselben unnachgiebigen Härte wie seine Feinde den Juden den Tod wünschen. Die Araber misstrauen dem Judenstaat zutiefst – Extremisten in Organisationen wie Fatah, Hamas und Hisbollah bekriegen sich bis heute mit israelischem Militär und Geheimdiensteinheiten blutig.

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Inzwischen haben es mit Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir sogar rechtsextreme Kräfte neben religiösen Nationalisten, Ultraorthodoxen und radikalen Siedlern ins sechste Kabinett von Benjamin Netanjahu geschafft, was nicht nur im Ausland Sorge bereitet. Seit Jahresbeginn gingen Hunderttausende auf die Straßen des Landes, um gegen eine Aushöhlung der Demokratie in Israel zu demonstrieren. Das hat es in diesem Ausmaß seit der Staatsgründung kaum gegeben.

Angesichts der aktuellen Lage lohnt ein Blick auf die Ausgangslage Israels. Wie kam es zur Teilung Palästinas und Gründung des jüdischen Staats? Gab es auch andere Optionen? Und warum wurde die Geburt Israels als weltweit erstem Judenstaat bei palästinensischen Arabern zur „Nakba“, zur Katastrophe?

Das gelobte Land

Palästina ist historisch, religiös und geografisch schwer zu greifen. Es gibt viele Ansprüche und viele Legenden. Wer heute über das auch als „Das gelobte Land“ oder „Kanaan“ bezeichnete Palästina spricht, meint in der Regel Teile der Gebiete der heutigen Staaten Israel und Jordanien, einschließlich des Gazastreifens und des Westjordanlands. Bei den Arabern gilt Palästina als Teil der „Levante“ mit Damaskus als Zentrum.

Hier herrschten im Laufe der Jahrhunderte Philister, Griechen, Römer, Muslime, Kreuzfahrer, von 1516 bis 1918 – also mehr als 400 Jahre – ist Palästina Teil des Osmanischen Reiches gewesen. Nach dessen Zusammenbruch Ende des Ersten Weltkriegs beauftragte der Völkerbund als Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen (UN) 1920 Großbritannien mit der Verwaltung des Gebiets zwischen Jordan und Mittelmeer.

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Der Auftrag des Mandats war klar umrissen: Das Vereinigte Königreich sollte dabei Hilfestellung zur „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ leisten. Es hieß außerdem, „dass nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina“ beeinträchtigen könnte.

Wachsender Antisemitismus

Die Briten hatten Juden und Arabern bereits während des Ersten Weltkriegs Teile des Nahen Ostens in Aussicht gestellt – den Arabern für ihre Unterstützung gegen die an der Palästinafront operierenden osmanischen, deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen. Es blieben für beide Seiten – Araber und Juden – fromme Wünsche. Deren nationale Bewegungen rangelten seit 1920 um Land und politischen Einfluss, was schließlich zum Bürgerkrieg führte.

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Anna Strishkowa hat Jahrzehnte vergeblich versucht, ihre Herkunft herauszufinden. Fehler in einer sowjetischen Dokumentation und Erinnerungslücken führten die Kiewerin auf die falsche Fährte. Nun halfen ihr ein deutscher Filmemacher, das Stuttgarter Landeskriminalamt und ein ukrainischer Holocaustforscher.

Doch der Entstehung Israels als jüdischer Staat gehen weiter zurückliegende Ereignisse voraus. Der wachsende Antisemitismus in Europa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und nicht zuletzt die damit zusammenhängende Dreyfus-Affäre in Frankreich 1894 lassen einen österreichisch-ungarischen Publizisten nicht länger ruhen: Theodor Herzl.

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Israels erster Ministerpräsident Ben-Gurion nennt Herzl in der Verlesung der Unabhängigkeitserklärung 1948 den „Seher des jüdischen Staates“. Der Grund: Herzl veröffentlichte 1896 das Buch „Der Judenstaat“. Darin argumentiert er, dass Juden aufgrund von Jahrhunderte andauerndem Antisemitismus und staatlicher Diskriminierung einen eigenen, einen jüdischen Staat gründen müssten. Juden seien mehr als Anhänger einer Religion, sie seien eine Nation, so Herzl.

Herzl: Palästina ist historische Heimat

Der einstmalige deutschnationale Burschenschafter Herzl – der 1904 an einem Herzleiden starb – gilt seitdem als Vordenker Israels und Gründer des politischen Zionismus. Seine nationalistische Bewegung wächst trotz Widerstands unter streng religiösen Juden schnell und wird sehr einflussreich.

Der erste israelische Premierminister David Ben-Gurion (stehend) verkündet am 14. Mai 1948 in Tel Aviv vor Mitgliedern der jüdischen Ratsversammlung die Gründung des Staates Israel; oben ein Porträt von Theodor Herzl, Begründer des politischen Zionismus.

Der erste israelische Premierminister David Ben-Gurion (stehend) verkündet am 14. Mai 1948 in Tel Aviv vor Mitgliedern der jüdischen Ratsversammlung die Gründung des Staates Israel; oben ein Porträt von Theodor Herzl, Begründer des politischen Zionismus.

Spätestens nach dem ersten Zionistenkongress 1897 in Basel arbeiten die Aktivisten an einer internationale Unterstützung für einen jüdischen Nationalstaat in Palästina. Warum hier? „Palästina“, so Herzl, „ist unsere unvergessliche historische Heimat.“ Die Bedürfnisse der arabischen Bevölkerung Palästinas spielen in den Überlegungen der Zionisten kaum eine Rolle.

Anfang des 20. Jahrhunderts sehen vor allem arme, jüdische Einwanderer aus Osteuropa in Palästina das gelobte Land. Ihre Zahl wächst schnell. Sie bauen landwirtschaftliche Kollektive – Kibbuzim – auf. 1909 wird Tel Aviv gegründet. 1925 gibt es bereits 600 jüdische Siedlungen in Palästina. Sie schaffen ein Netzwerk, den Jischuw, das ein Ziel hat: die Gemeinschaft zu einem Staatswesen auszubauen.

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Mehrere Einwanderungswellen

Zu dieser Zeit ist das Mandatsgebiet der Briten multiethnisch, Arabisch die Hauptsprache und der Islam Hauptreligion. Doch in mehreren Einwanderungswellen – die Juden nennen sie nach biblischem Vorbild Alija (Rückkehr ins Land Israel) – verschieben sich die Bevölkerungsanteile allmählich. 1948 ist in Palästina schon ein Drittel der Bevölkerung jüdisch.

Nahostkonflikt
 
Was ist der Staat Palästina?

Der Staat Palästina wurde am 15. November 1988 von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) als Staat der Palästinenser ausgerufen. Er beansprucht das von Israel seit 1967 besetzte Westjordanland und den Gazastreifen, mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Bis heute haben 138 Staaten den Staat Palästina anerkannt. Die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Österreich und die Schweiz erkennen Palästina nicht als Staat an, pflegen jedoch diplomatische Beziehungen zu den Vertretern der Palästinensischen Autonomiegebiete. Die PLO strebt unter ihrem gegenwärtigen Führer Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde ist, die Anerkennung eines Staates Palästina als Vollmitglied bei den Vereinten Nationen sowie die volle Souveränität über die beanspruchten Gebiete an. Allerdings sind seit dem palästinensischen Bürgerkrieg von 2007 die Gebiete in den Herrschaftsbereich der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen und die von der Fatah der PLO kontrollierten Autonomiegebiete im Westjordanland geteilt. Ungeklärt ist bis heute das Schicksal der Millionen bei Staatsgründung Israels aus Palästina geflohenen oder vertriebenen palästinensischen Araber und ihrer Nachkommen. Sie leben mitunter bis heute in arabischen Flüchtlingslagern als Staatenlose, die kaum Rechte besitzen. Das Königreich Jordanien bot ihnen als einziger arabischer Staat die volle Staatsbürgerschaft an. Israel machte die verbliebenen Araber zu Bürgern mit allen juristischen und politischen Rechten.

Vor allem die Immigration von 100.000 jüdischen Menschen in den 1920er-Jahren, darunter allein 35.000 aus Russland, verändert das Zusammenleben in Palästina zusehends. Jüdische Agenturen kaufen zumeist von Arabern gepachtetes und bearbeitetes Land, verpachten es fortan jedoch nur noch an Juden.

Neben den wirtschaftlichen steigen auch kulturelle und politische Spannungen. Zionisten und arabische Nationalisten, die sich als Unabhängigkeitsbewegungen verstehen, stehen sich feindselig gegenüber. Es kommt zu Massakern mit vielen Toten und Verletzten – zunächst vor allem auf Seiten der Juden.

Arabische Zuwanderung wächst

Auch die arabische Zuwanderung wächst über die von den Briten festgelegten Einwanderungsgrenzen hinaus, mit denen die Mandatsträger die Immigration zu steuern und die zunehmenden Unruhen zu befrieden versuchten. Auseinandersetzungen Ende der 1920er-Jahre sind schließlich die Vorboten des arabischen Aufstands 1936 bis 1939, der sich unter Führung des Muftis von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, gegen die Briten und gegen die Juden wendet.

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Im Dezember 1941 empfing Adolf Hitler den Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini.

Im Dezember 1941 empfing Adolf Hitler den Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini.

Der 1895 in Jerusalem geborene, von den Briten in Ämter und Würden gekleidete Araber gilt als erster Palästinenserführer und spielt im Laufe der Geschichte eine teuflische Rolle. Al-Husseini, Verwandter und Förderer des späteren Chefs der Palästinenserorgansiation PLO, Jassir Arafat, arbeitete intensiv mit dem seit 1933 in Deutschland etablierten NS-Regime zusammen.

Der Antisemit, Antizionist, Nationalist und Islamist gilt den Nazis als geeigneter Partner, um den Einfluss der Juden zurückzudrängen. Al-Husseini und viele Araber nennen Adolf Hitler ehrenvoll „Abu Ali“. Der lehnt trotzdem al-Husseinis Bitte ab, das NS-Regime solle eine öffentliche Garantie für einen unabhängigen arabischen Staat in Palästina abgeben.

Muslimische SS-Division

1941 flieht al-Husseini vor den Briten nach Europa, trifft Mussolini und Hitler persönlich. Er erklärt dem NS-Diktator, die Araber seien „die natürlichen Freunde Deutschlands“, da sie die gleichen Feinde hätten: Engländer, Juden und Kommunisten.

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Als die SS 1943 beschließt, eine muslimische SS-Division aufzubauen, zog al-Husseini fortan als Rekrutierer vornehmlich über den Balkan. Bis zum Kriegsende erhält er laut Zeugenaussagen im Nürnberger Prozess monatlich 90.000 Mark aus den Kassen des Auswärtigen Amtes.

Doch zurück nach Palästina und dem Bürgerkrieg in den 1930er-Jahren. Die jüdische Bevölkerung hatte 1920 mit der Hagana eine paramilitärische Gruppe gegründet, die ab 1929 erheblich ausgebaut wurde. Sie gilt als Basis der späteren israelischen Streitkräfte.

Jüdische Terrorgruppen

Als Antwort auf den arabischen Aufstand organisieren sich im Irgun und der Lechi jüdische Terrorgruppen, die Briten und Araber angreifen. Letzter Irgun-Kommandeur vor Auflösung 1948 war seit 1943 der spätere israelische Premier Menachem Begin.

Die jüdischen Einheiten gehen nicht allein deshalb gegen die Briten vor, weil diese den Arabern nahezu alles versprechen, was diese fordern. Bitterer ist für die Juden in Palästina, dass die britische Mandatsmacht 1939 – quasi parallel zum wachsenden Druck auf die Juden in Europa – die jüdische Einwanderung dramatisch einschränkt. In den nächsten fünf Jahren sollen maximal 75.000 Juden nach Palästina einreisen dürfen.

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Das Land ist somit – wie viele andere in der Welt auch – den vorm Massenmord fliehenden europäischen Juden fortan verwehrt.

Palästina teilen

Zuvor hatte eine vom konservativen britischen Politiker William Peel geleitete Kommission 1937 zur Befriedung der Konflikte im Mandatsgebiet erstmals die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorgeschlagen. Das für die Araber vorgesehene Gebiet war mit 85 Prozent wesentlich größer und aus einem Stück. Dort lebten damals lediglich 1250 Juden.

Der jüdische Teil war von einem Gebiet unterbrochen, das die Briten kontrollieren wollten. Auf dem als jüdisches Territorium vorgesehenen Gebiet lebten hingegen rund 225.000 Araber. Diskutiert wurde ein gegenseitiger „Bevölkerungstransfer“. Doch dazu kommt es nicht. Der Plan zerfällt zu Staub – nicht umsetzbar. Der Bürgerkrieg in Palästina tobt weiter.

Angesichts dieser Erfahrungen verlieren die Briten zusehends Lust an ihrer Aufgabe, Juden und Araber in Palästina in Schach zu halten. Zudem ist es inzwischen äußerst kostspielig, dafür 100.000 Soldaten und Polizisten vorzuhalten.

92 Tote im King David Hotel

Millionen von Pfund können nicht verhindern, dass sich die Situation kurz nach Weltkriegsende immer weiter zuspitzt. Allein vom 1. November 1945 bis zum 1. Juni 1946 zählt die britische Verwaltung 47 terroristische Akte mit Toten und Verletzten. Trauriger Höhepunkt ist ein Bombenanschlag der unter Begins Kommando stehenden jüdischen Irgun im King David Hotel in Jerusalem am 22. Juli 1946. Dabei starben 92 Menschen.

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Im September 1947 bringt Großbritannien, geschüttelt von Krisen in anderen Kolonialgebieten und auf der heimatlichen Insel, die Palästinafrage in die Vollversammlung der Vereinten Nationen – und legt sein Mandat nieder. Am 29. November 1947 verabschiedet die UN-Generalversammlung einen Teilungsplan für Palästina. Die Araber lehnen ihn ab, die Juden sind einverstanden. Die Briten kündigen ihren vollständigen Abzug für den 14. Mai 1948 an.

So geschah es. Um Mitternacht ist Israel unabhängig und zieht in seinen ersten Krieg.


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