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“Wer Organspende widerspricht, muss länger auf Organ warten”

Professor Robert Nuscheler.

Professor Robert Nuscheler.

Berlin. Professor Robert Nuscheler ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie, die 2008 von 17 Hochschulprofessoren gegründet wurde. Der Wirtschaftswissenschaftler lehrt an der Universität Augsburg.

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Herr Professor Nuscheler, Gesundheitsökonomen schauen sicherlich nüchterner auf die sehr emotional geführte Debatte über die künftigen Regeln zur Organspende. Unterstützen Sie den Vorschlag einer Widerspruchslösung von Gesundheitsminister Spahn oder den Gegenentwurf?

Seit Jahrzehnten wird die Bevölkerung darüber informiert, wie wichtig die Organspende ist. Die Krankenversicherung klärt auf, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Stiftung Organtransplantation. Man kann sich diesem Thema doch gar nicht mehr entziehen. Und dennoch sind die Spenderzahlen auf bescheidenem Niveau geblieben. Die bisherige Zustimmungsregelung reicht einfach nicht aus, noch mehr Informationen machen sie nicht besser. Deshalb müssen wir mit der Widerspruchslösung eine neue Variante ausprobieren.

Wie bewerten Sie das Argument der Kritiker, das sei ein unzulässiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht?

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Das kann man nicht wegdiskutieren. Aber die Frage ist doch, wie schwer dieser Eingriff wiegt. Man geht davon aus, dass die Widerspruchslösung die Spenderzahlen erhöht. Dann jedoch steigen die Überlebenschancen derer, die auf ein Organ warten. Vor diesem Hintergrund relativiert sich der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht doch ganz erheblich. In einer Situation, in der in Deutschland jährlich gut 1000 Menschen auf der Warteliste sterben, darf man von den Bürgern verlangen, sich mit dem Thema Organspende zu beschäftigen. Dabei muss sich der Einzelne gar nicht mit dem eigenen Tod auseinandersetzen, wie das manche Kritiker ja behaupten. Er kann einfach widersprechen und dann hat sich die Sache erledigt.

Aber führt die Widerspruchslösung auch in der Praxis zu mehr Spenderorganen?

Das ist in der Tat nicht ganz so einfach zu sagen, aber es spricht doch sehr viel dafür. So haben Länder mit einer Widerspruchslösung in der Regel zum Teil deutlich höhere Spenderzahlen als Länder mit einer Zustimmungslösung.

Liegt das tatsächlich an der Widerspruchslösung?

Einfache Ländervergleiche sind nicht ganz unproblematisch, da sich die Länder nicht nur in den Regelungen zur Organspende unterscheiden. Spanien hat europaweit die höchsten Spenderzahlen und hat seit langem eine Widerspruchslösung sowie exzellente Strukturen zur Organgewinnung in den Krankenhäusern. Es spricht viel dafür, dass es die Kombination dieser beiden Dinge ist, die Spanien weit nach vorne bringt. Im Frühjahr wurden in Deutschland per Gesetz die Bedingungen für die Organgewinnung in den Krankenhäusern verbessert. Wenn nun noch die Widerspruchslösung kommt, bin ich hinsichtlich der Spenderzahlen optimistisch. Sollten die Spenderzahlen dann immer noch unzureichend sein, sollte man über Anreize zur Organspende nachdenken.

Was schlagen Sie vor?

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Wir plädieren für ein Malus-System. Wer einer Spende widerspricht, wird dann, wenn er selbst einmal ein Organ benötigt, weiter hinten auf die Warteliste gesetzt. Er muss also länger auf ein Organ warten. Wir nennen das Reziprozität. Eine Reihe von Experimenten von Verhaltensforschern hat ergeben, dass die Spendebereitschaft dadurch deutlich steigt. Israel, Singapur und Chile haben übrigens Reziprozitätsregelungen.

Das klingt aber brutal und unethisch, weil es in Deutschland grundsätzlich den gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen gibt, unabhängig vom eigenen Verhalten.

Die Knappheit an Organen ist brutal und unethisch. Wir sind moralisch dazu verpflichtet alles rechtlich Mögliche zu unternehmen, diese Knappheit zu beseitigen. Reziprozität kann Teil der Lösung sein. So erhöht man durch die Spendebereitschaft seine Überlebenschancen, sollte man selbst ein Organ benötigen. Außerdem wird die Organverteilung dadurch gerechter. Es ist nicht einzusehen, warum Menschen, die nicht zur Organspende bereit sind, dieselben Chancen auf ein Organ haben sollen wie potenzielle Spender. Schließlich sind die Verweigerer die Ursache für die Knappheit.

Ist es zum Beispiel in Israel gelungen, mit einer derartigen Regelung die Spenderzahlen zu erhöhen?

Dort gibt es eine Zustimmungslösung mit einem Bonussystem. Wer Organspender ist, rutscht in der Warteliste etwas weiter nach vorn. Damit ist es zwar gelungen, die Spendebereitschaft zu erhöhen. Der Anstieg ist aber nur klein. Vermutet wird, dass der Bonus nicht hoch genug ist. Außerdem gibt es Schlupflöcher: Wenn eine Person der Organspende zustimmt, bekommt sie den Bonus. Wenn diese Person aber gleichzeitig ihre Angehörigen beauftragt, im Falle des Todes einer Organspende doch zu widersprechen, dann wird das System ausgetrickst.

Mit dieser Methode lässt sich eine Bonus-Regelung doch immer aushebeln?

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Leider ja. Es sei denn, man schränkt das Mitspracherecht der Angehörigen ein. Aber das ist sicher auch kein ganz einfaches Thema. Denkbar ist ohnehin, erst einmal die Widerspruchslösung in Kraft zu setzen und zum Beispiel nach fünf Jahren die Wirkung zu überprüfen. Nur wenn es dann immer noch nicht genug Organe gibt, kommen wir an einem Anreizsystem nicht mehr vorbei.

Lesen Sie auch: Ex-Minister Schmidt und Gröhe nehmen Spahns Widerspruchslösung auseinander

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