Wenn Obdachlose keine Zeitungen mehr verkaufen können
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Zeitungen werden in Deutschland häufig auch von Obdachlosen verkauft.
© Quelle: Tom Weller/dpa
Frankfurt a.M. Das Cover der März-Ausgabe von "fiftyfifty" ziert in einem weißen Herz der Spruch "Corona meiden: Ja - Obdachlose meiden: Nein".
Wenn das so einfach wäre. Der Slogan ist jedoch Programm: Die Redaktion der Straßenzeitung aus Düsseldorf trotzt beharrlich dem Virus - das Blatt wird weiter verkauft. Andere Macher halten das für zu gefährlich und stoppen notgedrungen den Verkauf.
Harte Zeiten für Menschen, die auf der Straße leben. Denn viele kostenlose Angebote für sie sind längst geschlossen.
Das Aus des gedruckten Hamburger Straßenmagazins “Hinz&Kunzt” kam nicht wirklich überraschend. Längst hatten andere Anbieter die Reißleine gezogen. Der Schutz der Verkäufer vor Infektionen gehe vor, heißt es zur Begründung. “Schweren Herzens haben wir uns entschieden, den Vertrieb unseres Magazins vorläufig einzustellen”, sagte Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jörn Sturm.
Als Online-Magazin erscheinen
Die größte Sorge sei, dass sich die Verkäufer an ihrem Verkaufsplatz anstecken.
Bislang hatte das nach eigenen Angaben älteste deutsche Straßenmagazin, das eine Auflage von rund 55.000 Exemplaren angibt, versucht, den Betrieb mit Kleinstbesetzung aufrecht zu halten. Zuletzt wurden die Zeitungen nur noch durchs Fenster abgegeben. Um die Hinz&Künztler zu unterstützen, bekamen alle Verkäufer zehn Zeitungen täglich geschenkt.
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Freiburg: Drei Polizisten gehen mit einem Obdachlosen durch die Innenstadt.
© Quelle: Patrick Seeger/dpa
Eingestellt wird allerdings nur der Verkauf der Printausgabe. “Wenn wir nicht auf Papier erscheinen können, dann wenigstens als Online-Magazin”, sagte Chefredakteurin Birgit Müller.
“Hinz&Kunzt”-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer sagte dem Evangelischen Pressedienst: “Natürlich brauchen die Verkäufer auch das Geld dringend, aber vor allem ist es momentan die einzige Möglichkeit, noch Beachtung zu bekommen.” Die meisten Tageseinrichtungen für Obdachlose in Hamburg hätten geschlossen.
Warten auf Nothilfen
Bundesweit gibt es rund 40 Straßenzeitungen. Die meisten erscheinen aber im Moment nicht. Die Herausgeber in Nordrhein-Westfalen gehen unterschiedlich mit der Corona-Krise um.
Der Verein “bodo” kündigte jüngst an, die Ausgabe seines gleichnamigen Straßenmagazins an die 150 Verkäuferinnen und Verkäufer im Raum Bochum, Dortmund, Herne, Witten und Hagen zu stoppen und sich auf Nothilfen zu verlegen.
“Auch wir stehen in der Verantwortung, Risikogruppen zu schützen”, erklärte bodo-Vertriebsleiter Oliver Philipp. Die Sozialberatung in den Anlaufstellen in Bochum und Dortmund laufe jedoch weiter.
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Frankfurt/Main: Ein Obdachloser schläft nahe des Frankfurter Hauptbahnhofs hinter einer Betonmauer
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Ärmste doppelt getroffen
Der Obdachlosenverein “fiftyfifty” will dagegen seine Straßenzeitung weiterhin vertreiben. Die Ärmsten der Armen seien durch die Krise doppelt negativ betroffen und hätten andernfalls keine Möglichkeit mehr, Geld zu verdienen. Das treffe die Verkäufer hart, denn viele Einrichtungen mit kostenlosen Angeboten seien geschlossen, erklärte Geschäftsführer Hubert Ostendorf. Die Verkäufer erhalten die Hälfte des Verkaufspreises je Heft von 2,40 Euro.
Das von der Diakonie gegründete niedersächsische Straßenmagazin "Asphalt" wird ebenfalls gestoppt. Das Heft mit einer durchschnittlichen Auflage von 22.500 Zeitungen erreicht monatlich rund 50.000 Leserinnen und Leser in 14 Städten Niedersachsens. Es wird unter anderem von rund 200 Wohnungslosen und Langzeitarbeitslosen verkauft, die vom Erlös einen Anteil bekommen.
Weil diese Einnahmen jetzt wegbrechen, bittet “Asphalt”-Geschäftsführer Georg Rinke um Unterstützung. “Die Verkäuferinnen, Verkäufer und wir sind jetzt noch mehr als sonst auf Ihre Solidarität angewiesen.”
Entgehende Einnahmen werden ersetzt
"Asphalt" ersetze den Verkäufern die entgangenen Einnahmen so gut es gehe, sagte er. Unter anderem würden Einkaufsgutscheine herausgegeben. Doch Asphalt lebe ausschließlich vom Verkauf der Hefte und von Spenden. "Jeder Spenden-Euro zählt jetzt", appellierte Rinke.
Auch bei Hinz&Kunzt arbeitet man an einem Spendenmodell. "Wir werden in der kommenden Zeit extrem auf die Unterstützung und die Solidarität der Hamburger angewiesen sein", sagt Geschäftsführer Sturm. "Wir tüfteln an einer Methode, wie wir die Hinz&Künztler an Spenden beteiligen können, damit sie nicht leer ausgehen."
RND/cle/epd