Was in Israel passiert, ist eine politische Sensation
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Jair Lapid (r), Vorsitzender der Partei Jesch Atid, und Naftali Bennett, Vorsitzender der Jamina-Partei, während eines gemeinsamen Treffens.
© Quelle: -/Yesh Atid Handout/dpa
Brüssel. Ein ungewöhnliches Duo aus einem Rechtsaußenpolitiker und einem Zentrumsmann hat in Israel eine Acht-Parteien-Koalition geschmiedet, um den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu aus dem Amt zu jagen. Noch ist das nicht sicher, aber wenn das Vorhaben gelingt, wäre das eine Sensation.
Nichts beschreibt die Polarisierung der israelischen Gesellschaft besser als die entgegengesetzten politischen Positionen der beiden Männer, die Netanjahu in den Ruhestand schicken wollen. Naftali Bennett ist ein orthodoxer Jude, ein Siedlerfreund, der das Westjordanland annektieren will. Jair Lapid dagegen ist ein säkularer Jude, der eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten für machbar hält.
An Sollbruchstellen mangelt es in der neuen Koalition nicht
Dass sich diese beiden Männer nun annähern und womöglich auch zum ersten Mal in der Geschichte Israels eine arabische Partei in die Regierungskoalition aufnehmen, zeigt anschaulich: Bennett und Lapid haben verstanden, dass nur ungewöhnliche Bündnisse das Land aus der politischen Krise führen können. Es ist längst Zeit dafür.
Vier Wahlen seit 2019 haben keine stabilen Mehrheitsverhältnisse hervorgebracht. Das Zweckbündnis Lapids, dessen Partei bei der letzten Wahl auf Platz zwei kam, mit dem ultrarechten Bennett, dessen Partei nur sieben von 120 Sitzen in der Knesset einnimmt, könnte das nun ändern.
Ob das Rotationsprinzip an der Regierungsspitze – erst zwei Jahre Bennett und dann zwei Jahre Lapid – funktionieren wird, lässt sich nicht vorhersagen. Das gilt auch für die Halbwertszeit der Koalition, in der es an Sollbruchstellen nicht mangelt.
Auch wird sich Netanjahu, der Israel seit zwölf Jahren ununterbrochen regiert, so leicht nicht geschlagen geben. Er wird in den kommenden Tagen versuchen, Politiker aus dem zukünftigen Regierungsbündnis zum Überlaufen in sein Lager zu überreden, um die Koalition doch noch platzen zu lassen.
Israelis sind Netanjahu krampfhaftes festhalten an der Macht satt
Das wird schwer werden. Denn Netanjahu hat abgewirtschaftet. Frühere enge Gefolgsleute haben sich längst von ihm abgewendet. Doch Netanjahu war immer der ultimative politische Überlebenskünstler.
Jahrelang hat er in Trumpmanier die Gräben in der israelischen Gesellschaft schamlos für seinen persönlichen Machterhalt ausgenutzt und sogar verbreitert. Nicht einmal eine Anklage wegen Korruption konnte ihn aus dem Amt vertreiben.
Zwar bekam Netanjahus Partei bei der Wahl vor Kurzem wieder die meisten Stimmen. Aber die Israelis sind es offenbar endgültig leid, dass Netanjahu krampfhaft an jener Macht festhält, deren Missbrauch ihm vorgeworfen wird. Das wiederum erhöht die Überlebenschancen für die neue Koalition in Jerusalem.
Neue Dynamik im Nahostkonflikt?
Wenn das Experiment klappt, könnte sogar eine neue Dynamik im klinisch toten Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern entstehen. Bennett ist zwar ein Hardliner, dem die Idee einer Zweistaatenlösung völlig fremd ist. Doch die Acht-Parteien-Koalition ist so divers und fragil, dass er sich erlauben könnte, auf Eskalation zu setzen. Das Bündnis würde in diesem Fall ziemlich sicher zerbrechen, weil schließlich mehrere Partner die Zwei-Staaten-Lösung anstreben.
Was allerdings dazu weiter fehlt, ist ein verlässlicher Gesprächspartner auf palästinensischer Seite. Im Westjordanland wurde seit 15 Jahren nicht mehr gewählt. Und in Gaza herrschen weiter die Hamas-Terroristen.
Aber immerhin ist Trump weg und Netanjahu kurz davor. Damit wären endlich zwei Populisten von der Bühne verschwunden, deren politische Leistung nur darin bestand, den komplizierten Konflikt im Nahen Osten noch weiter zu verkomplizieren. Bennett und Lapid haben nun die historische Chance, es besser zu machen.