Warum wir Lützerath nicht mehr vergessen werden
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Polizisten Tragen einen Demonstranten aus dem Protestcamp in Lützerath.
© Quelle: Andy Spyra/RND
Ein kleines rheinisches Dorf ist zum großen Symbol der Klimabewegung geworden. In Lützerath kristallisieren sich in diesen Tagen Wut, Entschlossenheit und Verzweiflung der radikalen Klimaschützerinnen und ‑schützer. Vor Lützerath verlaufe die 1,5-Grad-Grenze – das behaupten die Menschen, die dort auf den längst verlassenen Höfen und in Baumhäusern ausharren. Dramatischer kann man die Protestaktionen nicht begründen. In dieser Überhöhung der tatsächlichen Bedeutung des Braunkohledorfs liegt die große Gefahr, dass die gerade begonnene Räumung zur existenziellen Frage der Menschheit verklärt wird – mit der Folge, dass es zu heftigen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizei kommt.
+++ Alle Entwicklungen zur Räumung von Lützerath im Live-Blog +++
Nun entscheidet sich selbstverständlich nicht in Lützerath, ob global das von 195 Ländern ausgehandelte Pariser Klimaabkommen eingehalten wird, wonach die Erderwärmung auf nicht mehr als 1,5 Grad steigen soll. Auch die Rettung von Lützerath und selbst ein sofortiger Stopp des Braunkohleabbaus könnten das nicht garantieren. Das 1,5-Grad-Ziel ist Stand heute kaum noch zu erreichen, weil die ganze Welt viel zu langsam ist beim Klimaschutz. Aber dieser niederschmetternde Befund darf nicht zur bequemen Ausrede für das Verfehlen der eigenen Klimaschutzziele werden. Zumal große Industrienationen wie Deutschland für die weltweite CO₂-Reduktion eine besondere Verantwortung tragen.
Kurzum: Die Gesellschaft braucht eine entschlossene und starke Klimabewegung zur steten Mahnung und es gibt viele gute Gründe für den aktuellen Protest. In Lützerath ist erneut eine Hypothek in Sachen Klimaschutz aufgenommen worden. Die Braunkohle unter dem Dorf soll wegen der Energiekrise zur Verstromung abgebaggert werden dürfen, was den CO₂-Ausstoß in diesem und im kommenden Jahr erhöhen wird. Dafür soll dort schon 2030 anstatt erst 2038 mit dem Braunkohleabbau Schluss sein – damit würden insgesamt 280 Millionen Tonnen Braunkohle weniger abgebaut. Um diese Einsparung tatsächlich zu leisten, dafür muss die Kraft Ende dieses Jahrzehnts aufgebracht werden. Dieser Deal ist vereinbart worden, ohne dass man weiß, welche Krise zum Stichtag gerade hereingebrochen ist und ohne dass man weiß, ob sich die übernächste Regierung daran halten wird.
Angriffe auf Polizisten retten Klima nicht
Die Protestierenden sorgen mit ihrer Beharrlichkeit also dafür, dass die Nation Lützerath und den 280-Millionen-Tonnen-Deal nicht vergessen wird. Bis zu diesem Punkt kann das Verständnis reichen. Es geht aber nicht, dass die Protestierenden Lützerath zur entscheidenden Kraftprobe – zu einer Art Showdown – mit der Kohlebranche und dem Staat machen. Damit setzen sie sich nur ins Unrecht und verspielen ihre immer noch vorhandenen Sympathien in der Bevölkerung. Mit Angriffen auf Polizisten und Polizistinnen lässt sich das Klima nicht retten – mit ihrer Verunglimpfung als „bezahlte Schlägertrupps von RWE“ spart man auch keine CO₂-Emissionen. In Lützerath hat sich gerade eine gefährliche Spirale zwischen den Aktivistinnen und Aktivisten sowie dem Staat in Gang gesetzt, an deren Ende viele Verlierer stehen könnten.
RND-Reporter zur Lage in Lützerath: „Es hat hier durchaus kritische Szenen gegeben“
Die Polizei hatte am Mittwochmorgen mit der Räumung der von Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen besetzten Ortschaft Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier begonnen.
© Quelle: RND
Klar ist, dass die Protestierenden diesen Kampf nicht werden gewinnen können. Die Lage ist eine ganz andere als 2018 im Hambacher Forst, der unter dem rechtswidrigen Vorwand geräumt wurde, die Baumhäuser hätten keinen Brandschutz. Der Hambacher Forst steht immer noch. Die Kohle unter Lützerath ist aber längst eingeplant, um die Stromversorgung in Zeiten des russischen Angriffskriegs und der Energieknappheit zu sichern. Die Rechtslage ist eindeutig, und der Staat wird sich gegen die Aktivistinnen und Aktivisten im Dorf durchsetzen. Der Staat muss aber endlich auf allen Ebenen bei der Umsetzung der Klimaziele genauso konsequent werden.