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Wiederholungswahl in der Hauptstadt

Warum die Wahl in Berlin bundespolitisch bedeutsam ist

Der Turm des Roten Rathauses spiegelt sich in einer Scheibe. Berlin wählt ein neues Landesparlament, weil die letzte Abstimmung ungültig war.

Der Turm des Roten Rathauses spiegelt sich in einer Scheibe. Berlin wählt ein neues Landesparlament, weil die letzte Abstimmung ungültig war.

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Berlin. Da es in Deutschland 16 Bundesländer gibt und die Wahlen nicht an einem Tag, sondern zeitlich gestaffelt stattfinden, werden immer irgendwo Bürgerinnen und Bürger zu den Urnen gerufen – ganz abgesehen davon, dass es ja auch noch Kommunalwahlen gibt. So ereignen sich 2023 allein vier Landtagswahlen: nämlich in Berlin, Bremen, Bayern und Hessen.

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Nun ist die bundespolitische Aussagekraft meist auf die großen Flächenstaaten begrenzt: neben Bayern also Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Nur was dort geschieht, lässt sich womöglich hochrechnen auf das ganze Land – so jedenfalls die lange geltende Theorie. Außerdem fallen Wahlen in Westdeutschland immer noch deutlich anders aus als in Ostdeutschland. Im Westen hat die Linke überwiegend keine Chance, und die AfD-Ergebnisse sind dort deutlich geringer.

Berlin hat bei all dem eine Ausnahmestellung

Das hat zum einen mit dem Image der Hauptstadt zu tun. Ihr haftet der Ruf des Lässigen an – im Guten wie im Schlechten. Getreu der Devise des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD): „Berlin ist arm, aber sexy.“ Dass ausgerechnet in Berlin eine Wahl wiederholt werden muss, passt da perfekt ins Bild. Die Krawalle zu Silvester taten es ebenso, wenngleich solche Krawalle auch andernorts Realität waren. Entsprechend sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Anfang Januar: „Berlin entwickelt sich leider zu einer Chaosstadt – beginnend bei der Politik, die weder Wahlen organisieren noch die Sicherheit ihrer Bürger garantieren kann.“

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Dabei ist derlei Berlin-Bashing keineswegs neu; das gab es schon zu DDR-Zeiten, bloß unter anderen Umständen und auf Ost-Berlin beschränkt. Bisweilen ist dieses Bashing noch dazu berechtigt. Dass der neue Flughafen BER erst Jahre später fertig als geplant und erheblich teurer wurde, halten viele für ein Phänomen, das in anderen Ländern so nicht aufgetreten wäre. Derlei Schlamperei wiederum sorgt bundesweit nicht zuletzt deshalb für Aufsehen und Verdruss, weil Berlin beim Länderfinanzausgleich zu den Nehmerländern zählt. So hat die Hauptstadt im vorigen Jahr 3,6 Milliarden Euro bekommen, während beispielsweise Bayern 9,9 Milliarden Euro an Berlin und andere ärmere Länder gegeben hat.

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Dass Berlin eine Ausnahmestellung besitzt, hat ferner damit zu tun, dass die Stadt bis 1990 geteilt war und Hauptstädte natürlich überall hervorgehoben sind. So war die Linke bei der letzten Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 in Ost-Berlin ungefähr doppelt so stark wie in West-Berlin; bei der AfD war es ähnlich. Auch zeigen sich soziale Probleme in der Metropole stärker als auf dem Land. Vor 1989 galt das Wohnen in Berlin noch als sensationell günstig. Zuletzt sind die Miet- und Kaufpreise regelrecht explodiert. Wohnungen in zentralen Lagen sind sogar für die gehobene Mittelschicht nicht selten unerschwinglich geworden – von Geringverdienern ganz zu schweigen.

In nahezu der ganzen Stadt sind heute Obdachlose zu sehen, viele davon an der Spree in unmittelbarer Nähe von Bundestag und Kanzleramt. Probleme, die sich aus der Migration ergeben, stellen sich in Berlin ebenfalls verschärfter dar – wenngleich nicht so, wie viele Klischees besagen.

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Die Hälfte der Bewohner sind gar keine Berliner

Unterdessen wirkt gerade die Berliner Landespolitik auf viele Bewohner ausgesprochen provinziell. Das trifft auf die CDU zu, die sich schon vor über 20 Jahren für den letztlich überforderten Teppichhändler Frank Steffel aus Berlin-Reinickendorf als Spitzenkandidaten entschied, der im Wahlkampf nicht davor zurückschreckte, München zur „schönsten Stadt Deutschlands“ zu erklären. Dabei hätte das CDU-Schwergewicht Wolfgang Schäuble, dem solche Fehler gewiss nicht passiert wären, als Kandidat bereitgestanden.

Doch auch die anderen Parteien bleiben lieber unter sich – und sind daher für Polit-Importe eher unattraktiv. Mit zwei bedeutenden Ausnahmen. Die erste Ausnahme ist die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die zunächst Bezirksbürgermeisterin in Neukölln war, dann Bundesfamilienministerin wurde und von dort als Chefin ins Rote Rathaus umzog. Die zweite Ausnahme ist die langjährige Vorsitzende der Linken, Katja Kipping. Sie wurde Sozialsenatorin in Berlin – und fand dabei offenbar die Rolle ihres Lebens. Besonders prägend für Berlin ist vielleicht, dass die Hälfte der Stadtbewohner gar keine Berliner sind, sondern Zugezogene, und zwar ziemlich egal, ob in Ost oder West. So stammt etwa Giffey aus Brandenburg und Kipping aus Sachsen. Das hat zur Folge, dass das Berlin-Bashing mitunter nicht auf den Rest der Republik beschränkt, sondern auch unter den dort lebenden Menschen weit verbreitet ist. So ist etwa die Kritik an den vermeintlich oder tatsächlich nicht funktionierenden Bürgerämtern regelrecht Volkssport geworden.

Ja, Berlin wächst seit Jahren unaufhörlich, auf jetzt über 3,7 Millionen Frauen, Männer und Kinder. Mit der Liebe zur Stadt ist aber auch der Hass auf sie gewachsen. Das dürfte in dieser radikalen Form ebenfalls deutschlandweit einmalig sein.

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