War es ein Anschlag? Syrische Mutter stirbt nach Brandstiftung in Berlin
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Auch Wochen nach dem Brand sind die Wände im Treppenhaus des Pankower Wohnhauses noch schwarz und schwer beschädigt.
© Quelle: Felix Huesmann/RND
Berlin. Die Wände des Treppenhauses sind noch völlig schwarz. Am frühen Abend des 25. Januar wurde hier, in einem Mehrfamilienhaus im Berliner Stadtbezirk Pankow, das als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird, ein Feuer gelegt. 44 Personen mussten das Haus verlassen, zwei wurden laut Angaben der Berliner Feuerwehr schwer verletzt. Eine von ihnen, eine 43-jährige Mutter aus Syrien, starb am 10. Februar offenbar an den Folgen ihrer Verletzung. Öffentlich bekannt wurde der Tod der Frau erst in den vergangenen Tagen. Die Berliner Polizei ermittelt wegen Brandstiftung mit Todesfolge. Doch viele Fragen bleiben zehn Tage nach dem Tod offen.
Am Montagnachmittag stehen mehrere der Hausbewohner im Innenhof, nur wenige Meter von dem verrußten Treppenhaus entfernt, und sprechen mit Journalisten. Sie hätten das Feuer durch den Alarm der Rauchmelder bemerkt, berichtet ein Sohn der Verstorbenen. „Wir wissen nicht, wie das Feuer entstanden ist“, sagt er. Wahrscheinlich sei es im Hausflur ausgebrochen, wo immer ein Kinderwagen und ein Fahrrad gestanden hätten. Das Feuer breitete sich so schnell aus, dass die Feuerwehr nach eigenen Angaben etwa 30 Bewohnerinnen und Bewohner mit einer Drehleiter und mit Feuerschutzhauben aus dem Haus bringen musste.
Die Feuerwehr hatte das Haus nach dem Brand am 25. Januar zunächst für unbewohnbar erklärt. „Wir wurden nach Tegel gebracht“, berichtet einer der Bewohner. Dort, am ehemaligen Hauptstadtflughafen, befindet sich eine Sammelunterkunft für Geflüchtete. Nach einer Woche seien sie jedoch wieder in das Haus zurückgekehrt. Dort sei es zumindest wärmer und sie hätten mehr Freiheit als in der Massenunterkunft.
Sohn der Verstorbenen: Wurden erst nach Wochen von der Polizei befragt
Hilfen von Berliner Behörden, sagt der Sohn der Verstorbenen, hätten sie bislang nicht erhalten. Durch eine privat organisierte Spendenkampagne sind in den vergangenen Tagen jedoch 20.000 Euro zusammengekommen, um die Familie zu unterstützen. Nun seien sie seit der vergangenen Woche in Kontakt mit dem Bezirksamt Pankow, in der Hoffnung, eine neue Wohnung zu finden. Die Polizei habe ihn und seine Familie erst am vergangenen Donnerstag vernommen, sagt er. Einen Tag vor der Beerdigung. Seine Mutter war zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Tage tot, seit dem Brand waren schon 23 Tage vergangen.
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Ausgebrannt und zerstört: ein Sicherungskasten im Treppenhaus.
© Quelle: Felix Huesmann/RND
Der Tod der sechsfachen Mutter war am vergangenen Freitag durch eine Twitter-Veröffentlichung des Berliner Journalisten und Autors Tarek Baé öffentlich bekannt geworden. Baé warf der Berliner Politik und auch den Medien darin vor, den Fall zu verschweigen. Tatsächlich war über den Brand in der Flüchtlingsunterkunft am 25. Januar von mehreren Medien berichtet worden. Der Tod der syrischen Mutter blieb jedoch tagelang unbekannt.
Die Polizei Berlin hatte die Öffentlichkeit am Tag nach dem Brand in einer knappen Pressemitteilung unterrichtet. „Die weiteren Ermittlungen wegen schwerer Brandstiftung werden von einem Brandkommissariat des Landeskriminalamts geführt“, hieß es darin. Hinweise auf ein politisches Tatmotiv gebe es bislang nicht, sagte eine Polizeisprecherin dem „Tagesspiegel“ am Abend des Brandes.
Nach der Veröffentlichung durch Baé häuften sich am Wochenende und am Montag Vorwürfe gegen Polizei, Politik und Medien: Vielfach wurde die Frage gestellt, warum sich niemand zu einem möglicherweise rassistisch motivierten Brandanschlag mit Todesfolge äußere.
Die Polizei unterrichtete die Öffentlichkeit erst spät
Tatsächlich äußerte sich die Berliner Polizei ungewöhnlich lange nicht: Die ersten Medienanfragen zu dem Todesfall waren spätestens am Freitagabend bei der Behörde eingegangen. Auch das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) fragte am Samstag schriftlich nach. An Wochenende sind Behörden regelmäßig nicht für Presseanfragen zu erreichen – besonders, wenn zunächst noch weitere Informationen eingeholt werden müssen.
Am Montag dauerte es dann bis 15.30 Uhr, bis sich Polizei und Generalstaatsanwaltschaft mit einer knappen Mitteilung zu Wort meldeten.
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„Nach dem Brand in einem Mehrfamilienhaus in Französisch Buchholz am 25. Januar 2023 verstarb am 10. Februar 2023 die damals verletzte 43-jährige Bewohnerin des Hauses“, heißt es darin „Die Ermittlungen des zuständigen Brandkommissariats des Landeskriminalamts Berlin werden nunmehr wegen Brandstiftung mit Todesfolge geführt. Zudem ist bei der Staatsanwaltschaft Berlin ein Todesermittlungsverfahren anhängig, so dass zur Todesursache derzeit keine Angaben gemacht werden können.“ Zu den Hintergründen der Tat würden weiter intensive Ermittlungen in jede Richtung geführt. Dabei stünden die Brandermittlerinnen und ‑ermittler auch in engem Austausch mit dem polizeilichen Staatsschutz. „Bislang liegen keine Anhaltspunkte für eine politische Tatmotivation vor“, schreiben Polizei und Staatsanwaltschaft abschließend. Am Montagnachmittag meldeten sich auch Stimmen aus der Berliner Politik zu Wort. Die Berliner Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) etwa sprach der Familie der Verstorbenen auf Twitter ihr Beileid aus. Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke) schrieb: „Meine Gedanken und Tränen gelten ihnen.“
Auf die Frage des RND, warum die Polizei nach dem Tod der 43-Jährigen nicht eigenständig mit einer ergänzenden Pressemitteilung an die Öffentlichkeit getreten war, antwortete die Behörde am Dienstag: Die Ermittlung der Todesursache sei noch nicht abgeschlossen, deshalb habe man von einer Pressemitteilung abgesehen. Dies sei so üblich, sagte eine Polizeisprecherin. Die Öffentlichkeit würde in der Regel erst dann informiert, wenn geklärt sei, dass die Verletzungen durch den Brand tatsächlich zum Tod geführt haben. So werde auch verfahren, wenn eine Person nach einem Verkehrsunfall sterbe. Dass am Montag doch eine Mitteilung verschickt wurde, sei eine Entscheidung der Polizeipressesprecherin gewesen, weil so viele Medienanfragen eingegangen seien und der Todesfall eine politische Relevanz bekommen habe.
Kritik am langen Schweigen der Behörden
Dieses lange Schweigen der Polizei kritisiert Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. „Angesichts der seit Herbst bundesweiten Welle von rassistisch motivierten Brandstiftungen gegen bewohnte und unbewohnte Unterkünfte von Geflüchteten ist es fatal, dass Polizei und Justiz die Öffentlichkeit so lange nicht näher über den schweren mutmaßlichen Brandanschlag informiert haben“, sagte Kleffner dem RND.
Der Sohn der Verstorbenen sagt, er wisse nicht, wer den Brand gelegt habe, ob es jemand von außerhalb gewesen sei. Doch er berichtet auch von einem Vorfall aus der Vergangenheit: Seiner Mutter sei in der Straße vor dem Haus mal ein Mittelfinger gezeigt worden – aus rassistischen Gründen. Durch ihr Kopftuch sei sie als Muslima zu erkennen gewesen. Im Umfeld des Hauses, in den zu Pankow gehörenden Stadtteilen Französisch Buchholz und Blankenburg berichten antifaschistische Initiativen außerdem immer wieder von rechtsextremen Aufklebern und Neonazi-Schmierereien.
Ob am 25. Januar tatsächlich ein rassistischer Brandanschlag verübt wurde, ist bislang gänzlich unklar. Doch die zögerliche Kommunikation der Behörden lässt viele Beobachterinnen und Beobachter fragend zurück. „Schließlich hat es mit der Rechtsterrorismusserie in Berlin-Neukölln über Jahre neonazistische und rassistisch motivierte Brandanschläge gegeben, bei denen die Ermittlungen von gravierenden Fehlern und Blockaden geprägt waren“, sagte Heike Kleffner.
Hinweis: Der Text wurde nachträglich durch ein Statement der Berliner Polizei zu der Frage ergänzt, warum die Öffentlichkeit erst so spät über den Tod der Frau informiert wurde.