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Vorsicht, Gesichtserkennung! Googel mal den Mann da drüben!

Gesichtserkennung mit Überwachungskamera.

Gesichtserkennung mit Überwachungskamera.

Brüssel. Sundar Pichai, geboren in Indien und berufstätig in den USA, hat eine neue, sehr wichtige Schlüsselregion für sich und sein Unternehmen entdeckt: Europa.

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In Brüssel fand er sich am Montag vor einem Lunchbüfett wieder. Es gab Putenbraten, Shrimps, Falafel und Pasta. Zum Nachtisch wurde Mousse au Chocolat gereicht. Die Denkfabrik Bruegel hatte eingeladen zum „gemeinsamen Nachdenken“ über künstliche Intelligenz.

Pichai war der Star der Veranstaltung. Der 47-Jährige ist einer der mächtigsten Manager auf dem gesamten Globus. Er führt nicht nur Google, sondern auch den Dachkonzern Alphabet. Dessen Börsenwert stieg zu Jahresbeginn erstmals auf mehr als eine 1000 Milliarden US-Dollar. In solchen Flughöhen beginnt ein neues Denken.

Dem bloßen Managen, dem Umgang mit den gerade aktuellen Problemen des Tages, ist Pichai längst entstiegen. In Brüssel ließ er jetzt sogar etwas erkennen, das man bei Managern von US-Konzernen nur sehr selten sieht: Mut zur Langsamkeit.

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Programme beladen mit "lauter Problemen"

Gesichtserkennungsprogramme zum Beispiel, sagte Pichai, werde Google weiterhin nicht anbieten – obwohl die Technologie längst zur Verfügung steht. „Diese Programme sind beladen mit lauter Problemen.“ Ausdrücklich äußerte Pichai Verständnis für ein mögliches Moratorium in der EU: „Es ist Sache der Regierungen, den Kurs vorzugeben.“

Google, die weltweit größte Suchmaschine, sucht Führung: Das ist neu.

Doch Pichai ist mit seiner fragenden, fast demütigen Grundhaltung nicht allein. Immer mehr amerikanische Konzernchefs verbeugen sich derzeit höflich vor den Europäern. Dabei mischen sich echte Diskussionsbereitschaft und schlichter Eigennutz.

Google-Chef Sundar Pichai.

Google-Chef Sundar Pichai.

Denn die EU ist aus Sicht globaler High-Tech-Giganten doppelt interessant. Erstens reguliert sie die Zugänge zu einem hoch entwickelten Markt mit 500 Millionen Menschen. Zweitens beweisen die Brüsseler immer wieder einen weltweit einzigartigen politischen Mut, bloße Marktregelungen gleich auch mit Regelungen zum Schutz der Menschenwürde und der Freiheitsrechte zu verbinden.

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Auch bei allen Regeln zur künstlichen Intelligenz (KI), ließ die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen frühzeitig wissen, könnten sich die Konzerne schon mal auf „ein koordiniertes Vorgehen der EU“ einstellen. Mehr denn je werde es dabei auch um „ethische Fragestellungen“ gehen.

Die Konzerne sind gewarnt

Die Konzerne sind gewarnt. Schon als es nur um Wettbewerbsfragen ging, kannte die EU kein Pardon. Ungerührt verhängte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in den vergangenen Jahren nie dagewesene Milliardenstrafen. In von der Leyens Kommission wird die Dänin nun noch an Einfluss gewinnen und auch in KI-Fragen den Rahmen definieren.

Alle Beteiligten in Brüssel wissen: Die wahrhaft spannenden ethischen Grundsatzfragen sind in der Vergangenheit noch gar nicht berührt worden.

Bei den von Vestager verhängten Milliardenstrafen gegen Google etwa ging es lediglich um Wettbewerbsverzerrungen; der Konzern hatte zum Beispiel Produkte, an denen er selbst beteiligt, in seinen Suchmaschinen begünstigt.

Auch die Datenschutzgrundverordnung der EU – anfangs heiß umstritten, inzwischen globaler Goldstandard – rührt nicht an die Grundfesten des Menschseins. Das Prinzip des Brüsseler Regelwerks ist ganz schlicht: Wer ins Internet geht, soll die Möglichkeit haben, den Weg seiner Daten von A nach B zumindest einigermaßen im Blick zu behalten. Dazu gehört die Möglichkeit, sogenannte Cookies nicht zuzulassen.

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Weltweite Datenspur

Noch ist unklar, ob sich Digitalkommissarin Vestager für ein vorläufiges Verbot der Gesichtserkennung aussprechen wird. An diesem Mittwoch muss sie in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Industrieausschusses im Europaparlament dazu Stellung beziehen.

Verbündete für einen harten Kurs gegen die Digitalgiganten würde Vestager in Brüssel schnell finden. Zu ihnen zählt Alexandra Geese, die für die Grünen im Europaparlament sitzt. Geese sagte dem RND: „Der Vorschlag eines Moratoriums für Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ist absolut richtig.“ Die Menschen müssten die Kontrolle über ihre Bilder behalten.

Denn das Thema Gesichtserkennung indessen führt einen großen, einen ungeheuren Schritt weiter - in eine ganz neue Richtung.

Bislang wurde Datenschutz nur für denjenigen zum Thema, der selbst in der digitalen Welt aktiv wurde, etwa indem er in eine Suchmaschine einen Begriff eingab oder bei einem Onlinedienst etwas bestellte.

Künftig aber könnte es schon reichen, aus der Tür zu treten und mal eben über die Straße zu gehen, um im weltweiten Netz eine Datenspur zu hinterlassen - bis in alle Ewigkeit und rund um die Welt verfolgbar.

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Auf Knopfdruck könnten Facial-Recognition-Apps auch im freien Westen Datenberge aufhäufen wie im streng kontrollierten Polizeistaat China. Bestimmte Pixelkonfigurationen von Augen, Mund und Nase ergeben, erstens, die Identität der Person. Über GPS-Daten kommt zweitens der genaue Ort hinzu. Als drittes wird die Uhrzeit abgespeichert - fertig ist das Überwachungsdokument.

EU-Kommission sieht Gefahren

Was ist das am Ende für eine Gesellschaft, die Millionen oder gar Milliarden solcher Pakete zusammenschiebt? Fühlt man sich darin am Ende angenehm sicher? Oder wie eine Laborratte?

Die EU-Kommission sieht die Gefahren – und drückt erstmal auf die Bremse. Ein Moratorium von drei bis fünf Jahren wird in einem Papier erwogen, das Vestager im Februar vorstellen will. Kernpunkte daraus wurden schon vorab bekannt,

Die Technologie zur Gesichtserkennung ist längst da. Milliarden Menschen nutzen sie schon, etwa im Programm fürs private Fotoarchiv. Ordnet man einem Gesicht einen Namen zu, kann das Programm schnell alle weiteren auf dem Handy oder in der Cloud gespeicherten Fotos finden, auf denen diese Person zu sehen ist.

Alle Fotos zusammengekratzt

Aus dem Spiel wird allerdings Ernst, wenn eine App über privat angelegte Bilddateien hinausgreift, sämtliche öffentlich verfügbaren Fotos zusammenkratzt. Genau dies soll die App Clearview AI schaffen - wobei AI für Artificial Intelligence steht, künstliche Intelligenz.

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  • Die App nutzt laut „New York Times" unter anderem das komplette Foto- und Videomaterial der Internet-Giganten Facebook und YouTube. Jedes Gesicht könne auf diese Weise mit drei Milliarden anderer Gesichter verglichen werden.
  • Im Fall einer Übereinstimmung meldet die App , wo und in welchem inhaltlichen Kontext die fragliche Person bereits aufgetaucht ist.
  • Clearview versorgt nach eigenen Angaben bereits „600 Behörden“ aus dem Bereich Strafverfolgung mit ihren Programmen.
  • Wegen der Berichterstattung in der "New York Times" häufen sich zwar die Suchen nach Clearview im App-Store von Apple - doch eine Nutzung durch einzelne Privatleute ist bislang ausgeschlossen.
  • Eine kleine Zahl privater Firmen soll ausnahmsweise bereits Zugang zu Clearview bekommen haben, „zu Sicherheitszwecken".

Firmenchef fing digitale Laufbahn mit Spielchen an

Einstweilen bleibt Clearview umweht vom Odium des Obskuren. Gründer Hoan Ton-That, Australier mit asiatischen Wurzeln, arbeitete schon mal als Model, betont in seinem Internetauftritt, man könne ihn mit „er“ und „ihn“ ansprechen und fing seine digitale Laufbahn mit Spielchen an, bei denen man Donald Trumps gelbe Haare sich selbst oder anderen auf den Kopf zaubern konnte.

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Zwei weitere Namen allerdings ließen die No-Nonsense-Abteilung der Internetszene aufmerken. Zu den Clearview-Gründern gehört auch Richard Schwartz, der lange für den republikanischen Politiker Rudolph Giuliani gearbeitet hat. Und als sehr früher Investor bei Clearview trat der Deutsche Peter Thiel auf, ein Internetmilliardär, der auch in den Anfängen von Facebook eine Rolle spielte und zu den Gründern von Paypal gehörte.

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Ein Sprecher von Thiel sagte, Thiel habe Clearview im Jahr 2017 mit nur 200.000 Dollar unterstützt „und dafür einen Anteil bekommen“.

Der Bericht der „New York Times“-Reporterin Kashmir Hill schlug mittlerweile weltweit Wellen. Als gruselig wird nicht nur ihr Ausblick auf „eine Welt ohne Privatsphäre, wie wir sie kennen“, empfunden. Hinzu kommt eine bedrückende Begebenheit während der Recherche: In einem Gespräch mit Polizisten, die Clearview nutzten, bat Hill, doch auch einmal ein Foto von ihr hochzuladen – kurze Zeit später rief die Firma bei der Polizeibehörde an und fragte nach, ob sie gerade Besuch von der Presse habe.

Clearview gibt sich zugeknöpft

Das Unternehmen Clearview gibt sich zugeknöpft, eine Liste von Kunden will es nicht vorlegen. Auf seiner Webseite betont Clearview, es gehe einzig und allein um die Bekämpfung von Verbrechen. Zitiert wird auf der Clearview-Seite ein namentlich nicht genannter „Detective“ aus einer „kanadischen Behörde zur Verfolgung von Sexualdelikten“ mit den Worten, Clearview sei „das Beste, was in Sachen Identifizierung seit Langem passiert ist“.

Politiker in den USA ziehen unterdessen die Stirn kraus. US-Senator Ron Wyden aus Oregon etwa, Mitglied der Demokratischen Partei, zeigte sich besorgt : „Amerikaner müssten wissen, ob ihre Fotos heimlich in einer privaten Datenbank landen.“

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Nach vielen Jahren schlichter Technikbegeisterung hat an vielen Stellen in den USA inzwischen ein Umdenken eingesetzt. Besonders die Aussicht auf eine massenhafte Gesichtserkennung ist den Amerikanern nicht ganz geheuer.

Ausgerechnet in den High-Tech-Regionen Kaliforniens wuchs zuletzt der Widerstand. So erklärte sich San Francisco als erste Großstadt in den USA zur gesichtserkennungsfreien Zone. Ausgenommen wurden nur Flughafen und Hafen. Mehrere kleine Städte und diverse Universitäten folgten. Der liberale Aktivist Matt Cagle von der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union applaudierte: „Gesichtsüberwachung passt einfach nicht zu einer gesunden Demokratie.“

Jüngst musste San Francisco seinen Bann allerdings ein bisschen modifizieren. In einer Zusatzklausel wurde die Entsperrung von Smartphones per Gesichtserkennung vom generellen Facial-Recognition-Verbot ausgenommen. Ohne diese Veränderung wäre die Regelung in San Francisco auf ein Verbot der neuesten Generation von iPhones hinausgelaufen.

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