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Vom Kosovo bis in den Fernen Osten

Das sind die sieben gefährlichsten Krisenherde 2023

Serbische Nationalisten protestieren an der Grenze zum Kosovo.

Serbische Nationalisten protestieren an der Grenze zum Kosovo.

Vor genau einem Jahr dominierte ein Thema die globale Berichterstattung: der Aufmarsch russischer Truppen im bereits seit 2014 besetzten Osten der Ukraine zudem in Belarus. Von einer ernsten Bedrohung war damals die Rede, aber auch davon, dass die Wahrscheinlichkeit eines Krieges nicht sehr hoch sei. Selbst in der Ukraine ging Präsident Wolodymyr Selenskyj von einem Bluff des russischen Präsidenten Wladimir Putin aus – ein verhängnisvoller Irrtum, wie sich am 24. Februar 2022 zeigen sollte.

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Es gibt daneben Kriege, über die wird kaum berichtet: Im Jemen schwelt ein verheerender Bürgerkrieg, der eigentlich ein Stellvertreterkrieg der Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien ist. Der Bürgerkrieg in Syrien ist längst nicht beendet, das vom Russland militärisch unterstützte Regime von Präsident Baschar al-Assad geht brutal gegen die eigenen Bevölkerung vor. In zahlreichen afrikanischen Ländern schwelen Konflikte, die oft von außen in das Land hineingetragen wurden, wie im Fall Mali, wo islamistische Gruppen im Norden gegen die Regierung kämpfen. In Äthiopien bemüht sich die internationale Staatengemeinschaft um ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und den Rebellen in der Region Tigray im Norden.

Die Gefahr von Krisenherden, die sich in bewaffnete Konflikte verwandeln, ist zunehmend größer geworden, weil sich im Windschatten des russischen Überfalls eine „Verrohung“ im Verhältnis von Konfliktparteien konstatieren lässt. Die Hemmschwelle militärischer Gewalt ist eher gesunken, wie Chinas Muskelspiel gegenüber Taiwan oder Erdogans „Strafaktionen“ in den syrischen Kurdengebieten mutmaßen lassen. Die Welt schaut auf die Ukraine – das scheinen Kriegstreiber weltweit als Einladung zu missverstehen, ihrerseits die Muskeln spielen zu lassen. Hier eine Auswahl der sieben brisantesten Konflikte, die uns beschäftigen werden.

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1. Kosovo

Die Lage an der Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo ist hochexplosiv. Lokale Medien berichteten Mitte Dezember über Explosionen, Schüsse und Straßenblockaden. Am 11. Dezember waren Maskierte auf serbischen Barrikaden zu sehen, die die wichtigsten Straßen in Richtung serbischer Grenze blockierten. Die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission Eulex teilte mit, eine ihrer Patrouillen sei mit einer Blendgranate angegriffen worden. Verletzte oder Schäden habe es nicht gegeben, doch sollten die Verantwortlichen weitere Provokationen unterlassen.

Der serbische Präsident Aleksandar Vucić erwog indes, 1000 Sicherheitskräfte aus Serbien in den Kosovo zu schicken, was von der kosovarischen Regierung als bedrohliche aggressive Provokation erachtet wird. Laut dem Abkommen von Kumanovo aus dem Jahr 1999 hat Serbien nämlich zugesagt, alle Sicherheitskräfte aus dem Kosovo abzuziehen. Nur so konnte damals Frieden geschaffen werden. Vucićs Wunsch nach Sicherheitskräften wird deshalb im Nachbarstaat Kosovo als Kriegsrhetorik gelesen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock twitterte, dass dieses Ansinnen „völlig inakzeptabel“ sei.

Die Integration der Serben, vor allem jener im Norden, in die kosovarischen Strukturen wurde mit dem Brüsseler Abkommen 2013 vereinbart. Mit Unterstützung der serbischen Regierung in Belgrad lassen serbisch-nationalistische Kreise im Kosovo nichts unversucht, das zu vereiteln, im Zweifel auch mit Gewalt. Jetzt werden wieder serbische Parallelinstitutionen im Norden aufgebaut, die laut dem Brüsseler Abkommen eigentlich aufgelöst werden sollten.

Serbiens nationalistische Regierung unter Präsident Aleksandar Vucić sieht sich unterstützt von Russland dazu ermuntert, die Ergebnisse des 1999 verlorenen Krieges zu revidieren. Vucić behauptet, dass die Serbinnen und Serben im Kosovo unterdrückt würden und dass es Pläne gäbe, sie aus dem Kosovo zu vertreiben. Der kosovarische Premier Albin Kurti setzt auf die Kooperation gemäßigter Serben. Europa versucht indes, Druck auf den EU-Beitrittskandidaten Serbien aufzubauen.

Nikol Paschinjan (Mitte), Ministerpräsident von Armenien, spricht mit einem Offizier der armenischen Armee in einem Dorf an der Grenze. Zwischen Aserbaidschan und Armenien brechen im Kaukasus immer wieder schwere Kämpfe aus.

Nikol Paschinjan (Mitte), Ministerpräsident von Armenien, spricht mit einem Offizier der armenischen Armee in einem Dorf an der Grenze. Zwischen Aserbaidschan und Armenien brechen im Kaukasus immer wieder schwere Kämpfe aus.

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2. Aserbaidschan greift nach Armenien

Russland ist Armeniens Schutzmacht. Eingezwängt zwischen seine „Erbfeinde“ Aserbaidschan und dessen Schutzmacht Türkei würde es Armenien womöglich gar nicht mehr geben, wäre da nicht Russland, das eine etwa 1000 Soldaten starke Friedenstruppe im Grenzgebiet zum östlichen Nachbarn unterhält. Doch die Verzweiflung und Enttäuschung in dem kleinen Land ist mit Händen zu greifen, die Menschen in Armenien fühlen sich von Russland verraten und alleingelassen. Denn als sich Armenien im Frühjahr 2021 und erneut im September aserbaidschanischen Angriffen auf sein Territorium ausgesetzt sah, rief das von Russland geführte Verteidigungsbündnis OVKS nicht den Bündnisfall aus.

Im nunmehr seit 35 Jahren schwelenden Konflikt um die überwiegend von Armenierinnen und Armeniern bewohnte aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Exklave Berg-Karabach droht Armenien beim nächsten Waffengang alles zu verlieren. Denn Armenien wirkt schwach und zudem politisch isoliert. Aserbaidschan, mit den Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen hochgerüstet und zudem vom Mentor Türkei ermutigt, hat kein Interesse am Status quo und möchte die Gunst der Stunde nutzen, den Erzfeind zu besiegen.

Aserbaidschans Autokrat Ilham Alijew wird ob seines Gasreichtums nicht nur vom Westen umworben, sondern rühmte sich jüngst, im von Russland dominierten Verteidigungsbündnis OVKS „trotz der Tatsache, dass wir kein OVKS-Mitglied sind, mehr Freunde in dieser Organisation zu haben als Armenien“. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko bestätigte Ende Oktober, Alijew sei „ganz unser Mann“. Ein neuer Konflikt hier gilt als sehr wahrscheinlich.

Die jüngsten Kämpfe im Grenzgebiet zu Aserbaidschan mit mehr als 300 Toten endeten erst, als die USA, Frankreich und die EU den diplomatischen Druck auf Baku deutlich erhöhten. Regierungschef Nikol Paschinjan setzt zunehmend auf eine Kooperation mit dem Westen.

Weil seine Umfragewerte angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs schlecht sind, wütet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Vorfeld der Wahlen 2023 zunehmend gegen den griechischen Nachbarn.

Weil seine Umfragewerte angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs schlecht sind, wütet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Vorfeld der Wahlen 2023 zunehmend gegen den griechischen Nachbarn.

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3. Türkei droht Griechenland

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat im Streit um griechische Inseln im östlichen Mittelmeer indirekt mit einem Raketenangriff gedroht, sollte Griechenland „keine Ruhe geben“. Griechenland sei nervös, weil die von der Türkei entwickelte Rakete Tayfun auch Athen treffen könne, sagte Erdogan am Sonntagabend bei einem Treffen mit Jugendlichen im nordtürkischen Samsun.

Wer nervös reagiert, ist vor allem Erdogan. Er möchte sich im nächsten Jahr als Präsident bestätigen lassen und setzt im Wahlkampf, weil die Bilanz seiner Amtszeit sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht desaströs ausfällt, auf Eskalation. Auch nach innen: Sein möglicher Herausforderer, der populäre Bürgermeister von Istanbul Ekrem Imamoglu wurde am 14. Dezember wegen „Beleidigung“ zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt – gegen ihn wurde ein Politikverbot verhängt.

Dass Erdogan tatsächlich Griechenland angreift, gilt aufgrund der westlichen Solidarität mit dem EU-Mitglied und aufgrund der griechischen Stärke als unwahrscheinlich. Aber das hat man vor Russlands Angriff auf die Ukraine auch von Putin gedacht. Autokraten handeln unberechenbar.

4. China provoziert Taiwan

China hat in einer Demonstration militärischer Stärke an den Weihnachtstagen 71 Kampfflugzeuge und sieben Schiffe über die inoffizielle Grenze in der Straße von Taiwan geschickt. Das teilte das taiwanische Verteidigungsministerium am Montag mit. Die Manöver begannen nach der Verabschiedung des US-Haushaltsgesetzes am Samstag, das Militärhilfe für Taiwan vorsieht und deshalb von Peking kritisiert wird.

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Der Konflikt um Taiwan verschärft sich. Ein Konflikt, in dem diesmal die zwei Atommächte China und USA direkt aufeinanderstoßen könnten. Diplomaten in Peking fürchten, dass es eher früher als später dazu kommen könnte. Hohe US-Militärs sehen einen Angriff Chinas auf die Insel 130 Kilometer vor dem chinesischen Festland bislang noch als viel zu riskant für Peking an. Doch wie China, die USA und Taiwan seit Jahrzehnten mit ihren Differenzen umgehen, passt immer weniger zur Realität – das Risiko für eine Konfrontation zwischen den großen Mächten steigt.

5. Bosnien und Herzegowina, ein zerrissenes Land

Die Wahlen vom 2. Oktober brachten in dem aus drei Teilrepubliken bestehenden Krisenstaat Bosnien und Herzegowina das von Beobachterinnen und Beobachtern erwartete Ergebnis: Im serbischen Teil gewann der Nationalist Milorad Dodik. Dagegen verloren im kroatisch und im bosnischen (muslimischen) Landesteil die nationalistischen Kräfte zugunsten Gemäßigter: Der Proeuropäer Zeljko Komsić erkämpfte den kroatischen Sitz im Staatspräsidium, der Sozialdemokrat Denis Bećirović vertritt die bosnischen Musliminnen und Muslime. Das führt dazu, dass auch hier vor allem die Serben eine Stabilisierung des Landes verhindern. Es gibt Sezessionsbestrebungen in der Republika Srpska. Russland wird vorgeworfen, diese zu unterstützen. Deshalb gilt die von den EU-Staaten ausgesprochene Empfehlung des EU-Beitrittskandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina auch als warnendes Signal an die russische Führung.

6. Russland droht den „untreuen“ Kasachen

Schon kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine begann sich Kasachstan von Moskaus Kurs zu distanzieren. Das sorgte im Westen für Überraschung, galt doch der kasachische Autokrat Kasym-Schomart Tokajew, dem Moskau im Januar nach einem Volksaufstand noch mit Militär ausgeholfen hatte, als treuer Vasall Moskaus.

Als sich Tokajew aber deutlich von der russischen Aggression abgrenzte, drohte Moskau unverhohlen mit mit einem „Ukraine-Szenario“, wie es der bekannte Journalist und Putin-Vertraute Tigran Keosajan formulierte. Tatsächlich ist die Situation zwischen beiden Ländern explosiv. Im Norden Kasachstans leben mehr als zwei Millionen Russinnen und Russen. Schon lange fordern die russischen Nationalisten einen Anschluss dieser Gebiete an Russland. Viele Kasachinnen und Kasachen haben nun die Befürchtung, dass Putin nach dem Krieg in der Ukraine als Nächstes gegen ihr Land vorgehen könnte.

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7. Asiens konkurrierende Giganten China und Indien

Mitte Dezember kam es zu neuen Zusammenstößen zwischen indischen und chinesischen Truppen an der umstrittenen Grenze. Nach Angaben von Indiens Verteidigungsminister Rajnath Singh gab es Verletzte auf beiden Seiten. Chinesische Soldaten hätten am vergangenen Freitag versucht, auf indisches Territorium vorzudringen, heißt es.

Nicht nur militärisch, auch wirtschaftlich ist Indien zu einem ernstzunehmenden Herausforderer für Chinas Vormachtstellung in der Region geworden: Das Land hat mittlerweile mehr Einwohnerinnen und Einwohner als China und eine ähnlich dynamisch wachsende Wirtschaft von zuletzt 8,9 Prozent. Zudem vertritt Indiens Regierung unter Ministerpräsident Narendra Modi mit seinem hindu-nationalistischen Kurs eine zunehmend selbstbewusste Außenpolitik, die Chinas Ambitionen konterkariert.

RND/dpa/AP/stu

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