Virologe Stöhr fordert Lockerungen: 2G und 2G plus „von Anfang an wenig zielführend“
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Der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr hält Lockerungen für sinnvoll.
© Quelle: imago images/teutopress
Der Virologe Klaus Stöhr hat die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens als unzureichend kritisiert. „Was bei den Beschlüssen fehlt, ist eine Lockerung der von Anfang an wenig zielführenden Corona-Regeln 2G und 2G plus“, sagte Stöhr im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Auf den Intensivstationen machen die Geimpften weniger als ein Viertel der Patienten aus, so Stöhr. Das Risiko für einen schweren Verlauf ist also gering. „Warum sollen die sich noch testen lassen, wenn sie einkaufen oder ins Restaurant gehen?“, fragt der Virologe.
Ohnehin geht Stöhr davon aus, dass sich wegen der sich schnell ausbreitenden Omikron-Variante bald ein Großteil der Ungeimpften infiziert und dann als genesen gilt. Die Folge: „Geimpft oder genesen, also 2G, wird schon sehr bald Normalität für alle sein.“ Die Politik hätte hier deutliche Lockerungen beschließen müssen. „Besonders die 2G-plus-Regel ist suspekt, wegen ihres potenziell destruktiven Effekts auf die Impfbereitschaft und der vernachlässigbaren Wirkung auf die Ausbruchshäufigkeit in Einzelhandel und Gaststättengewerbe.“
Eine Möglichkeit für Lockerungen sieht Stöhr auch bei den Maßnahmen in Schulen: „Es ist fraglich, ob die Maskenpflicht und das anlasslose Testen in Deutschland noch sinnvoll sind.“
Stöhr: Lockerungen und „mehr Normalität zulassen“
Stöhr appellierte an die Verantwortlichen, den Blick auf die Pandemieerfahrungen der Nachbarländer zu werfen. „In Frankreich lockert die Regierung, obwohl die Inzidenz dort viel höher liegt und die Regierung die Situation in den Krankenhäusern als angespannt, aber handhabbar bezeichnet.“ Ähnlich sei die Lage in anderen europäischen Ländern. „Der Umgang mit der Pandemie in den Nachbarländern zeigt uns, dass wir mehr Normalität zulassen können“, so die Einschätzung des Virologen.
Deutschland habe zum Beispiel zweimal so viel Krankenhausbetten pro Einwohner wie die Schweiz oder die Niederlande und fast viermal so viel wie Schweden. Trotzdem würden diese Länder deutlich mehr lockern als Deutschland.
Ebenfalls würden andere Länder mehr Tempo an den Tag legen, wenn es um eine Strategie aus der Pandemie heraus geht. „Dass die Ministerpräsidenten nun am 24. Januar verkünden, in der Zukunft einen Exitplan erarbeiten zu wollen, ist ein Beispiel für die Qualität der strategischen Pandemiebekämpfung hierzulande.“ Der Virologe verweist auf Dänemark, die Schweiz und Großbritannien, die schon vor Monaten einen solchen Plan vorgelegt haben.
Der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie widerspricht Stöhr: „Jetzt über Lockerungen und Öffnungen zu sprechen ist nicht der richtige Zeitpunkt“, sagte Zeeb dem RND. Deutschland sei in einer „sehr delikaten Pandemielage“, da die Inzidenzen sehr hoch seien und weiter steigen würden. „Deshalb dürfen Lockerungen jetzt nicht das Hauptthema sein.“ Zeeb argumentierte ähnlich wie auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Abend, dass man über Lockerungen erst beim Abklingen der Omikron-Welle nachdenken könne.
Strategiewechsel bei PCR-Tests und Kontaktverfolgung
Beim Corona-Gipfel von Bund und Länder hatten sich die Politikerinnen und Politiker darauf geeinigt, die bisherigen Maßnahmen nicht zu lockern – aber auch nicht zu verschärfen. 2G im Einzelhandel bleibt daher zunächst bestehen, wo es noch nicht von Gerichten gekippt wurde.
Eine weitere Neuerung: PCR-Tests sollen priorisiert und vorwiegend im Krankenhaus und im Pflegebereich eingesetzt werden. Auch bei der Kontaktverfolgung soll es eine Priorisierung geben. Den Strategiewechsel hält Virologe Stöhr für sinnvoll. Aber die Begründung für diesen Strategiewechsel gehe am Gesamtverständnis der derzeitigen Pandemielage vorbei. „Das Virus zirkuliert schon so weit in der Bevölkerung, dass die Maßnahmen wie PCR-Tests bei allen oder die Kontaktnachverfolgung aller Fälle überholt und nun nicht mehr zielführend sind.“
Ebenfalls sprach sich Stöhr dafür aus, dass sich Klinikpersonal bereits fünf Tage nach einer Corona-Infizierung freitesten könne, wie in anderen Ländern. Bisher liegt diese Zeitspanne bei sieben Tagen. Dass sich Infizierte in Zukunft auch mit einem Antigentest statt eines PCR-Tests freitesten können, hält Stöhr für sinnvoll. „Er ist unter Praxisbedingungen die bessere Alternative zum PCR-Test.“