Verstehen Sie Scholz?
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte bei der Regierungsbefragung im Bundestag die späten Panzerlieferungen an die Ukraine.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich habe ja immer mal wieder Gelegenheit, mit dem Kanzler direkt zu sprechen oder auch mit seinen Vertrauten. Ich höre also viele Erklärungen, warum Scholz diese oder jene Entscheidung fällt oder auch nicht – oder sie später fällen möchte und es dann doch überraschend schnell tut. Zuletzt ging es in solchen Gesprächen immer um die Frage der Waffenlieferungen, insbesondere um die Leopard-Kampfpanzer.
Das hat sich dann immer wie folgt abgespielt. Scholz hebt auf die beiden Punkte ab, die er auch öffentlich so äußert: Er möchte die Unterstützung der Ukraine gemeinsam mit den Verbündeten in der Nato organisieren. Und: Er hat den Eid auf die Verfassung geleistet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. In der Pandemie hätte man zu diesem Vorgehen „Team Vorsicht“ gesagt. Das sind nachvollziehbare Argumente, und sie werden viele Bürgerinnen und Bürger besser schlafen lassen, als wenn man einen Hasardeur zum Kanzler hätte.
Scholz: Müssen Krieg zwischen Russland und der NATO verhindern
Der Kanzler sagte, es sei richtig, dass Deutschland sich bei der Entscheidung, Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern, nicht habe treiben lassen.
© Quelle: Reuters
Man kann übrigens auch getrost davon ausgehen, dass eine Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihre Worte sehr viel sorgfältiger wägen würde, wäre sie selbst Verteidigungsministerin und nicht nur Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Doch mit diesen Überlegungen kommt man schnell in Richtung hätte, hätte Panzerkette.
Viele Fragezeichen
Also zurück zu Scholz: An seine grundsätzlichen Positionen in diesem Krieg schließen sich eine Reihe von Fragen an, auf die man keine Antworten mit guten Argumenten bekommt. Warum hat er drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine die Zeitenwende so klar und überzeugend formuliert, wendet aber seine eigene Politik in Zeitlupentempo? Warum hat er so lange an seiner Verteidigungsministerin festgehalten, die von Anfang an mit dem Job überfordert war und selbst das Amt verlassen wollte? Warum spricht er von einer deutschen Führungsrolle, versteckt sich aber bei den entscheidenden Fragen hinter den USA? Warum lässt er immer wieder den Eindruck entstehen, er sei ein Zauderer bei der Unterstützung der Ukraine, obwohl Deutschland doch nach den USA und Großbritannien die meisten Waffen liefert und die größten finanziellen Hilfen gibt?
Auf diese Punkte reagiert der Kanzler inzwischen reichlich gereizt. Wie genervt man im Kanzleramt über Strack-Zimmermann und andere ist, die mit rhetorischem Trommelwirbel und Fanfarenstoß nach mehr Waffen rufen, zeigte sich am Wochenende in der öffentlichen Auseinandersetzung zwischen der FDP‑Politikerin und SPD‑Fraktionschef Rolf Mützenich. Dieser warf Strack-Zimmermann „Schnappatmung“ sowie eine Schwächung von Bundesregierung und Bundestag vor. Mützenich hat ausgesprochen, was man im Kanzleramt schon länger meint.
Strack-Zimmermann kritisiert Verschiebung der Kampfpanzer-Entscheidung
„Die Geschichte schaut auf uns, und Deutschland hat leider gerade versagt“, monierte Strack-Zimmermann.
© Quelle: dpa-Video
Scholz meint auch, dass sich Führungsqualität nicht im Vorpreschen bemisst. Am liebsten ist es ihm, wenn er eine Lösung erst vertraulich im kleinen Kreis erarbeiten und dann damit in einem überraschenden Schritt nach vorne gehen kann. Beim Aushandeln des Koalitionsvertrags ist ihm das noch gelungen. Inzwischen müssen so viele Probleme gleichzeitig bearbeitet werden, dass der Deckel selten auf dem Topf bleibt. Irgendetwas läuft immer gerade über. Beim Rücktritt von Christine Lambrecht war er drei Tage lang nicht Herr der Lage. Die Nachricht über die Lieferung der Kampfpanzer war ebenfalls schneller an der Öffentlichkeit als der Kanzler auf dem Platz. Dramatisch ist das eigentlich nicht, wenn reife Entscheidungen durchsickern. Schwierig aber wird es, wenn lange, überreife Entscheidungen wie die Panzerlieferungen durchsickern, dann erst einmal unkommentiert in der Schwerelosigkeit hängen und im Nachhinein vom Kanzler als sein Erfolg verkauft werden.
Es gibt zwei Lesarten für die Kampfpanzer-Entscheidung
Für die Geschichte mit den Kampfpanzern gibt es mindestens zwei Lesarten. Die von Scholz: Er hat das ganze Bündnis nun dazu bewegt, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Das hilft der Ukraine viel mehr, als wenn beispielsweise nur Polen seine Bestände rüberfährt. Die seiner Kritiker: Scholz zögert die Hilfen für die Ukraine künstlich in die Länge, indem er die Lieferung von amerikanischen Abrams zur Bedingung für deutsche Lieferungen macht, anstatt offensiv im Bündnis das für die Ukraine zu organisieren, was sie braucht. Was dem Kanzler dennoch gelungen ist: Sowohl der französische Präsident Macron wie auch US‑Präsident Biden haben in den vergangenen drei Tagen öffentlich Scholz den Rücken gestärkt.
Bittere Wahrheit
Viele Bemühungen, Worte, Versprechen. Es geht nicht um fünf oder zehn oder fünfzehn Panzer. Der Bedarf ist größer.
Wolodymyr Selenskyj,
Präsident der Ukraine
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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine
© Quelle: Uncredited/Ukrinform/dpa
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat sehr verhalten auf die Ankündigung des Westens für die Lieferung von Kampfpanzern reagiert. Das Muster besteht seit Beginn des Krieges, dass der Ukraine die Waffen aus dem Westen nie reichen und sie alles, was geliefert wird, zwar mit Dank, aber eben auch mit weiteren Forderungen quittiert. Aus ukrainischer Sicht ist das nachvollziehbar: Vom ersten Kriegstag an hat die Ukraine immer wieder versucht, die Nato-Staaten zum Eingreifen auf ihrer Seite zu bewegen. Selenskyj weiß, dass das Verteidigungsbündnis nicht aktiv in den Krieg eintreten wird. Dennoch will und muss er zur Rettung seiner Nation alles versuchen, die westliche Allianz für seine Zwecke einzusetzen. Die Allianz für die Ukraine wiederum hat das Interesse, mit ihrer Unterstützung einen Erfolg Putins zu verhindern aus der übergeordneten Erwägung, dass ein Angriffskrieg im 21. Jahrhundert nicht erfolgreich enden darf. Es gibt aber keine erkennbare Strategie, ob die Ukraine beispielsweise auch bei einer möglichen Rückeroberung der Krim mit gleichbleibenden Waffenlieferungen und finanziellen Hilfen unterstützt wird. Das Gezerre wird als dauern, so lange der Krieg dauert.
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Die Bürgerinnen und Bürger sind nach den Umfragedaten des Meinungsforschungsinstituts Forsa in der Frage der Waffenlieferungen gespalten. Ob sie es für richtig halten, dass der Kampfpanzer Leo an die Ukraine geliefert wird, beantworten 44 Prozent mit Ja – 45 Prozent sind dagegen. Am stärksten sprechen sich der Umfrage zufolge die Anhängerinnen und Anhänger der Grünen für die Leo-Lieferung aus (62 Prozent). Die Wählerinnen und Wähler von SPD (45 Prozent) und FDP (46 Prozent) sind in der Frage zurückhaltender. Bei den Unionsanhängern gibt es mit 52 Prozent eine Mehrheit für die Lieferung des Kampfpanzers. Auch der Osten und der Westen der Republik unterscheiden sich in der Frage nach Leopard-Lieferungen. 67 Prozent der Ostdeutschen sind dagegen, nur 28 Prozent dafür. Im Westen bejahen 47 Prozent die Lieferungen, während 40 Prozent dagegen sind.
Das Zögern des Kanzlers bei den Waffenlieferungen schadet der SPD offensichtlich nicht. Sie legt einen Prozentpunkt zu. Verharrt aber auf niedrigem Niveau.
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© Quelle: Forsa
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