Verfassungsschutz darf AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten
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AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla (M.) Bundesschatzmeister Carsten Hütter (l.) und der frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Oberstaatsanwalt Roman Reusch (r.) kommen zur Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Köln im Kristallsaal der Kölner Messe.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Berlin. Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD einer Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts zufolge als rechtsextremistischen Verdachtsfall einordnen. Eine entsprechende Klage der AfD werde abgewiesen, erklärte das Gericht am Dienstag.
So lief der Tag im Gericht
Unter der Decke des Kristallsaals in der Kölner Messe strahlen die Kronleuchter, unten im Saal stehen wie Requisiten für ein Theaterstück Dutzende Aktenordner und Schriftsätze. 5500 Seiten Akten, 2000 Seiten Gutachten des Gerichts.
Im coronabedingten Ausweichort verhandelt das Verwaltungsgericht Köln am Dienstag und Mittwoch die brisanteste politisch-juristische Frage der bundesdeutschen Gegenwart. Darf das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD bundesweit als rechtsextremen Verdachtsfall mit geheimdienstlichen Mitteln beobachten?
Verhandelt wurde über vier Klagen der Partei gegen den Inlandsgeheimdienst. Es geht unter anderem um die Beobachtung des formell aufgelösten rechtsextremen „Flügels“ der Partei und der Jugendorganisation Junge Alternative sowie die Einstufung der Bundespartei als Verdachtsfall.
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Tino Chrupalla, Vorsitzender der AfD, wartet im sogenannten "Kristallsaal" der Kölner Messe, der für das Verfahren zu einem Gerichtssaal umgewandelt wurde.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
AfD-Chef Tino Chrupalla ist zur Verhandlung angereist. Er spricht von einem „Schauprozess“, sieht die „Meinungsfreiheit in Gefahr“. Die Partei hat in den vergangenen Jahren erhebliche Mühen und Mittel darauf verwendet, den Verfassungsschutz als politisch gesteuert hinzustellen. Eine „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ beim Bundesvorstand, die nach innen wirken und bei demokratiefeindlichen Äußerungen von Parteivertretern zur rhetorischen Mäßigung aufrief, wurde aber 2021 aufgelöst.
Rechtsextremer Flügel? „Den gibt es nicht mehr“
Der Vorsitzende Richter Michael Huschens führt den komplexen Prozess souverän, ruhig und mit einer Prise Ironie. Die Argumente der Anwälte der AfD und des BfV sind außerhalb des Gerichtssaals oft vorgetragen: Der Dienst muss aus öffentlich zugänglichen Quellen begründen, warum eine Beobachtung mit geheimdienstlichen Mitteln angezeigt ist. Die AfD will bei den als rassistisch und demokratiefeindlich bewerteten Aussagen führender Vertreter die mildest mögliche Interpretation in Anschlag bringen.
So bezeichnet der sachsen-anhaltische Landesvize Hans-Thomas Tillschneider die deutsche Fußball-Nationalmannschaft als „zusammengewürfelte Söldnertruppe“. Das BfV wertet das als Indiz für ein grundgesetzwidriges ethnonationales Staatsverständnis. AfD-Anwalt Christian Conrad von der Kölner Kanzlei Höcker wiegelt ab: „Da sagt keiner, People of Color seien Deutsche zweiter Klasse.“
Bei den AfD-Vertretern regte sich Hoffnung, als der Anwalt des Verfassungsschutzes, Wolfgang Roth, erklärte, es sei unklar, ob der rechtsextreme und formal aufgelöste „Flügel“ um den Thüringer Landeschef Björn Höcke in der Partei noch existiere. Conrad betonte in der Verhandlung: „Den ‚Flügel‘ gibt es nicht mehr.“ Er habe sich aufgelöst. Das werde derzeit noch geprüft, sagte Roth.
Er stellte später allerdings klar, dass „die Ideologie und politische Zielsetzung des ‚Flügels‘ in der Partei enthalten sei und die wesentlichen Kräfte des ‚Flügels‘ in der Partei tätig seien“.
Richter ließ durchleuchten, dass Einstufung der AfD als Verdachtsfall zulässig ist
Chrupalla betonte hingegen, dass seine Partei nicht als rechtsextrem eingestuft werden könne. Über den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte er am Rande des Prozesses: „Herr Haldenwang hat noch im Oktober 2020 im Innenausschuss des Bundestags gesagt, dass die AfD keine rechtsextreme Partei ist. Da fragen wir umgekehrt: Was hat sich denn seitdem verändert?“
Da wusste der Parteichef noch nicht, dass auch der Verfassungsschutzanwalt Roth zu Protokoll gab, dass eine Einstufung der Gesamt-AfD als gesichert rechtsextreme Bestrebung zurzeit nicht geplant sein. Die Machtkämpfe in der Partei dauerten noch an, daher müsse die AfD eben als Verdachtsfall beobachtet werden.
Einige Äußerungen des Vorsitzenden Richters Huschens deuteten bereits darauf hin, dass die Einstufung der AfD als Verdachtsfall, um die es im wichtigsten Verfahren ging, zulässig sein könnte: „Die wehrhafte Demokratie muss nicht zuwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagte er. Und auch dieser Satz fiel: „Wenn es an der Oberfläche nach Öl riecht, ist es zulässig, mit einer Probebohrung herauszufinden, ob auch im Boden Öl ist.“
Chrupalla sagte nach dem Ende des Prozesses, ihn habe „das Urteil zur Einstufung als Verdachtsfall überrascht“. Die AfD werde „die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und diese sorgsam prüfen und dann entscheiden, ob wir weitere Rechtsmittel einlegen werden“.