Verschwundene Milliarden: Korruptionsskandal und zwielichtige Ölgeschäfte in Venezuela
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Venezolanische Ölarbeiter machen eine Pause in der Raffinerie El Palito während der Ankunft des iranischen Öltankers Fortune.
© Quelle: Ernesto Vargas/AP/dpa
Ein Start-up gibt als seinen Sitz ein kleines Haus in einem Arbeiterviertel von Caracas an, dessen Eigentümer nie von dem Unternehmen gehört hat. Ein anderes ist eine 2020 gegründete Briefkastenfirma in Hongkong. Ein drittes gehört einem spanischen Rohstoffhändler, der in den USA wegen mutmaßlicher Geldwäsche für russische Oligarchen angeklagt ist. Die drei Start-ups gehören zu Dutzenden obskuren Vermittlern im Zentrum eines neuen Korruptionsskandals in der staatlichen Ölindustrie Venezuelas, der auch Regierungsinsider nervös macht.
20 Milliarden Dollar verschwunden
Zur gleichen Zeit fragt sich die Bevölkerung des südamerikanischen Landes, wie Einnahmen aus Ölverkäufen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar anscheinend verschwinden konnten. Das Vorgehen der Behörden in dem Fall begann im März mit der Festnahme von 21 Verdächtigen, unter ihnen ranghohe Wirtschaftsvertreter und Politiker. Die staatlichen Medien zeigten in den vergangenen Tagen Fotos der Beschuldigten, die in orangefarbenen Overalls dem Haftrichter vorgeführt wurden.
Die sozialistisch geführte Regierung hat angekündigt, mit Härte gegen Korruption vorzugehen, die Venezuela seit Langem plagt: Im jüngsten Ranking der korruptesten Länder von Transparency International wurde der Opec-Staat auf Rang vier geführt. Doch die Institutionen arbeiten nicht unabhängig, und die Mächtigen des Landes wurden bislang nur selten zur Rechenschaft gezogen.
Korruption erschwert nötige Kontrollen
Nun kommen zu der Korruptionsproblematik die undurchsichtigen Ölgeschäfte hinzu, wie der venezolanische Volkswirt Francisco Monaldi von der Rice University im US-Staat Texas erklärt: „Selbst für einen viel weniger korrupten Staat wäre es sehr schwierig, alle nötigen Kontrollen durchzuführen.“
Ein mächtiger Akteur wurde jedoch durch den jüngsten Skandal bereits gestürzt: Erdölminister Tareck El Aissami musste deswegen zurücktreten. Unter den Festgenommenen war sein enger Verbündeter Joselit Ramírez, der bis dahin Leiter der venezolanischen Aufsichtsbehörde für Kryptowährungen war und in den USA wegen Geldwäsche angeklagt ist. Die meisten der zwielichtigen Geschäfte des staatlichen Ölriesen Petróleos de Venezuela SA (PDVSA) liefen unter El Aissamis Aufsicht.
Aus internen PDVSA-Dokumenten, die der AP vorliegen, geht hervor, dass im August vergangenen Jahres 90 meist unbekannte Handelsunternehmen dem Staatskonzern insgesamt 10,1 Milliarden Dollar schuldeten. Die Firmen waren als Großkäufer von venezolanischem Öl aufgetreten, seit die USA Wirtschaftssanktionen verhängt hatten, um Präsident Nicolás Maduro zu stürzen. Verbindlichkeiten von weiteren 13,3 Milliarden Dollar bestehen direkt gegenüber der Regierung – das ist mehr als die gesamten Devisenreserven der venezolanischen Zentralbank.
Verkauf zu geringeren Preisen
Die entsprechenden Öllieferungen wurden zu deutlich niedrigeren Preisen auf Kommission verkauft, da etabliertere Händler aufgrund der Sanktionen anfingen, Geschäfte mit Venezuela zu meiden. Der Ölkonzern war daher verstärkt auf ein komplexes Netzwerk von Zwischenhändlern angewiesen. Die tägliche Produktion von PDVSA ging im Sommer 2020 infolge der Strafmaßnahmen – und zu einem kleinen Teil auch wegen der geringeren Nachfrage im Zuge der Corona-Pandemie – auf ein Zehntel im Vergleich zu 1999 zurück.
Die meisten Zwischenhändler sind in Ländern wie Panama, Belize oder Hongkong registrierte Briefkastenfirmen. Die Käufer schicken sogenannte Geistertanker los, die ihren Standort verschleiern und die wertvolle Fracht mitten auf dem Meer übergeben, bevor sie ihr Ziel erreichen, das meistens in Asien liegt. Doch nicht alle zahlten für die Lieferung. In den internen PDVSA-Dokumenten sind offene Zahlungen der Vermittler zwischen 526 Dollar und 1,2 Milliarden Dollar gelistet.
Offene Zahlungen der Vermittler
Allein die Firma Walker International DW-LLC schuldet dem Ölkonzern demnach etwa 77 Millionen Dollar. Sie ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten registriert, gibt als venezolanische Adresse aber ein bescheidenes Haus in der Hauptstadt Caracas an. Dessen Eigentümer Andrés Muzo reagiert schockiert darauf, dass sein Zuhause mit einem internationalen Korruptionsfall in Verbindung stehen könnte. „Ich erfahre das gerade erst“, sagt er mit einem Kopfschütteln. „Das müssen illegale Firmen sein. Sie haben nichts unter meinem Namen, nicht einmal ein Blatt Papier.“
Die venezolanischen Behörden haben noch nicht offiziell mitgeteilt, wie viel Geld insgesamt fehlt, und auch keine Namen von Unternehmen genannt, gegen die ermittelt wird. Doch Maduro nutzte einige seiner jüngsten abendlichen Ansprachen im Staatsfernsehen, um an Minister und andere Politiker zu appellieren, sich von Korruption fernzuhalten.
Viele Fachleute erwarten, dass Maduro die Finanzprobleme vor der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr ansprechen und eine Offensive zur Stabilisierung der Wirtschaft verkünden wird. „Die Staatskasse ist leer, und das Land geht in ein Wahljahr, in dem Maduro die Botschaft vermitteln will, dass Venezuela wieder in die Spur kommt“, erklärt Geoff Ramsey von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington. „Je deutlicher es wird, dass die Wirtschaft weiter in einer Notlage steckt, desto mehr wird Maduro nach Leuten suchen, die für ihn den Kopf hinhalten.“
RND/AP