Von „Schlag ins Gesicht“ bis „stolz“: So reagieren die gespaltenen Staaten von Amerika
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Ex-US-Präsident Barack Obama hat zum Widerstand gegen das Abtreibungsurteil des Obersten Gerichtshofes in den USA aufgerufen.
© Quelle: Getty Images
Washington. US-Präsident Joe Biden hat die historische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten als „tragischen Fehler“ bezeichnet. „Das ist ein trauriger Tag für das Gericht und für das Land“, sagte Biden am Freitag in einer Rede an die Nation.
„Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs“, so der US-Präsident weiter. „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diesen zutiefst unamerikanischen Angriff zu bekämpfen.“ Der US-Kongress müsse jetzt handeln, um in der Sache das letzte Wort zu haben. „Es ist nicht vorbei“, so Biden.
Zuvor hatte der Supreme Court mit einer wegweisenden Entscheidung das liberale Abtreibungsrecht des Landes gekippt. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court machte damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei - bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten. Unter dem vorigen Präsidenten Donald Trump rückte der Supreme Court deutlich nach rechts.
Obama ruft zu Protesten auf
Der ehemalige US-Präsident Barack Obama rief angesichts der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zum Widerstand auf. „Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen - und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen“, schrieb Obama bei Twitter.
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Obama teilte zudem einen Bild mit einem Text: „Schließt Euch den Aktivisten an, die seit Jahren Alarm schlagen beim Zugang zu Abtreibungen, und handelt. Steht mit ihnen bei einem örtlichen Protest“, hieß es dort. Seine Frau Michelle Obama schrieb: „Ich bin untröstlich für die Menschen in diesem Land, die gerade das Grundrecht verloren haben, fundierte Entscheidungen über ihren eigenen Körper zu treffen.“ Der Richterspruch müsse ein Weckruf vor allem für junge Menschen sein.
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Bereits nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ist es vor dem Gerichtsgebäude in Washington zu Protesten gekommen. Dort hatten sich zuvor schon Gegner und Befürworter versammelt. Auch in anderen Städten des Landes werden Proteste erwartet. Die Stimmung war bereits aufgeheizt, nachdem vor rund zwei Monaten ein Entwurf der Entscheidung öffentlich wurde. Mit seiner Entscheidung machte der mehrheitlich konservativ besetzte Gerichtshof nun den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei - bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten.
Freude bei den Trumps
Der Sohn von Ex-Präsident Trump feierte die Supreme-Court-Entscheidung gegen das liberale Abtreibungsrecht in den USA dagegen als Sieg seines Vaters. „Stolz auf meinen Vater für das, was er heute erreicht hat“, schrieb Donald Trump Junior am Freitag bei Twitter. Sein Vater habe für „unsere Bewegung“ drei Richter am Obersten Gerichtshof eingesetzt, die gegen liberale Abtreibungsregeln seien. Auch der konservative texanische Gouverneur Greg Abbott begrüßte das Urteil: Texas sei ein Staat, der ungeborenes Leben schütze.
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Sein Vater zeigte sich wenig später ebenfalls erfreut über das Urteil, lobte dieses als „Gewinn für das Leben“. Die Entscheidung sei nur möglich gewesen, weil er drei konservative Richter an das Oberste Gericht berufen habe. „Es war mir eine große Ehre, das zu tun“, schrieb er in einer Mitteilung. Trotz der „radikalen Linken“ bestehe noch Hoffnung, das Land zu retten.
Trump hatte während seiner Amtszeit die Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett ernannt. Damit verschob er die Mehrheit im Gericht deutlich nach rechts: auf sechs der neun Sitze.
Pelosi und Schumer zeigen sich schockiert
Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verurteilte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes dagegen mit scharfen Worten. „Es ist ein Schlag ins Gesicht für Frauen“, sagte die Demokratin am Freitag. Die Beschränkung von Abtreibung sei erst der Anfang, warnte sie. „Das ist todernst.“ Pelosi verwies auf die Kongresswahlen im November - dort stehe das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, auf dem Wahlzettel.
Auch der mächtige Demokrat Chuck Schumer zeigte sich schockiert. „Heute ist einer der dunkelsten Tage, die unser Land je gesehen hat“, schrieb der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat auf Twitter. Amerikanischen Frauen sei ihr Grundrecht auf Abtreibung von Trump-nahen Richtern „gestohlen“ worden.
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Reaktionen auch aus Großbritannien und Kanada
Der britische Premierminister Boris Johnson bezeichnete die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in den USA zum Abtreibungsrecht als „großen Rückschritt“. Er sei immer schon der Ansicht, dass die Entscheidung bei den Frauen liegen müsse, sagte Johnson am Freitag bei einem Besuch in Ruanda.
Entsetzen löste das Urteil bei Kanadas liberalem Premier Justin Trudeau aus: „Keine Regierung, kein Politiker oder Mann sollte einer Frau sagen, was sie mit ihrem Körper machen kann und was nicht“, schrieb Trudeau am Freitag auf Twitter und versicherte kanadischen Frauen, für ihr Recht auf Abtreibungen einzustehen. Die Nachrichten aus dem Nachbarland USA seien „erschreckend“.
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Familienministerin Paus „fassungslos“
Bundesfamilienministerin Lisa Paus zeigte sich ebenfalls „fassungslos“ über das Urteil. Die Grünen-Politikerin schrieb am Freitag auf Twitter von einer schockierenden Nachricht. „Ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen sorgt erwiesenermaßen nicht für weniger Abbrüche, es sorgt für eine Gefährdung der Schwangeren, denn ihnen wird ein sicherer und medizinisch begleiteter Abbruch verwehrt.“
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Auch aus Sicht der Grünen-Spitze ist das Grundsatzurteil zu Abtreibungen ein herber Rückschlag für Frauenrechte und Selbstbestimmung. „Damit wird in den USA die Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper zum ideologischen Spielball“, sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang in Berlin. Das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, das in einigen US-Bundesstaaten jetzt zu befürchten sei, werde Frauen zwar nicht daran hindern, ungewollte Schwangerschaften zu beenden. Die Abbrüche würden dadurch jedoch unsicherer.
UN warnen vor negativen Auswirkungen
Die Vereinten Nationen wiesen nach dem Urteil auf die Gesundheitsrisiken für Frauen hin. „Daten zeigen, dass die Einschränkung des Zugangs zur Abtreibung die Menschen nicht davon abhält, eine Abtreibung durchzuführen - sie macht sie nur tödlicher“, teilte der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen am Freitag mit.
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USA schränken Frauenrechte ein: Was bedeutet das für Deutschland?
Das Oberste US-Gericht hat am Freitag nach 50 Jahren das landesweite Recht auf Abtreibungen gekippt. Künftig können Schwangerschaftsabbrüche deutlich restriktiver geregelt oder sogar ganz verboten werden. Eine historische Zäsur – und ein deutliches Signal für die Debatte um Abtreibungsrechte in Deutschland.
Auch UN-Menschenrechtschefin Michelle Bachelet wies auf die negative Auswirkungen für Millionen von Frauen hin. „Dies ist ein massiver Schlag gegen die Menschenrechte von Frauen und gegen die Gleichberechtigung“, sagte die Hochkommissarin am Freitagabend.
Moderate Reaktion von Vatikan-Akademie
Der Vatikan reagierte zunächst moderat auf die höchstrichterliche Entscheidung in den USA. In einer Erklärung der Päpstlichen Akademie für das Leben hieß es am Freitag unter anderem: „Nach 50 Jahren ist es wichtig, wieder eine ideologiefreie Debatte zu beginnen über den Stellenwert, den der Schutz des Lebens in der zivilen Gesellschaft hat, um uns zu fragen, welche Art von Zusammenleben und Gesellschaft wir aufbauen wollen.“ Papst Franziskus, von dem es zunächst keine persönliche Reaktion zu dem Urteil gab, hatte stets betont, dass er gegen jede Form von Abtreibung sei; er setzte sie mit Mord gleich.
Die katholischen US-Bischöfe hatten zuvor triumphierender auf das Urteil des Supreme Courts reagiert, das nach fast einem halben Jahrhundert das liberale Abtreibungsrecht kippte und damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze bis hin zum Verbot frei macht.
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„Dies ist ein historischer Tag im Leben unseres Landes, der unsere Gedanken, Gefühle und Gebete weckt. Seit fast 50 Jahren hat Amerika ein ungerechtes Gesetz vollstreckt, das es einigen ermöglichte, zu entscheiden, ob andere leben oder sterben können“, hieß es in einem Statement der Konferenz der US-Bischöfe. „Diese Politik hat zum Tod von zig Millionen Frühgeborenen geführt, Generationen, denen das Recht verweigert wurde, überhaupt geboren zu werden.“
In Rom sagte Erzbischof Vincenzo Paglia, Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, das Urteil sei eine „starke Einladung“, gemeinsam über die Weitergabe von menschlichen Idealen nachzudenken.
Die Akademie forscht über Ethik und Moral und ist mit diversen Dikasterien, so etwas wie den Behörden des Vatikans, verbunden.
US-Justizministerium sichert Frauen Hilfe zu
US-Justizminister Merrick Garland sicherte derweil betroffenen Frauen die Unterstützung der Regierung zu. Das Justizministerium werde alle Werkzeuge nutzen, die es zur Verfügung habe, um die freie Entscheidung von Frauen beim Thema Abtreibung zu schützen, teilte Garland am Freitag mit. Später wollte sich auch Präsident Joe Biden in einer Rede an die Nation wenden, um seine Pläne darzulegen.
US-Bundesstaat Oklahoma verabschiedet umstrittenes Abtreibungsgesetz
Im US-Bundesstaat Oklahoma wurde am Donnerstag einen Gesetzentwurf endgültig gebilligt, der so gut wie alle Abtreibungen verbietet.
© Quelle: Reuters
Biden ist ein Unterstützer des Rechts auf Abtreibung, das 1973 in einem Grundsatzurteil verankert worden war und am Freitag vom mehrheitlich konservativen Supreme Court gekippt wurde.
Garland sagte, das Justizministerium werde sicherstellen, dass Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen, das in jenen US-Bundesstaaten, in denen das weiterhin erlaubt ist, auch tun können. Außerdem betonte er, die US-Arzneimittelaufsichtsbehörde FDA habe das Abtreibungsmedikament Mifepristone freigegeben. Da Experten es als sicher erachten, könnten es einzelne Staaten auch nicht einfach verbieten, sagte Garland. Mehr als die Hälfte der Abtreibungen in den USA werden mit solchen Abtreibungspillen vorgenommen.
RND/dpa/jst/AP