Türkei bezeichnet Nordzypern als „Inland“: Mittelmeerinsel fürchtet neue Flüchtlingswelle
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Zypern ist EU-Mitglied – die türkische Besatzungszone im Norden der Insel hat sich als Türkische Republik Nordzypern deklariert, wird völkerrechtlich allerdings nur von der Türkei anerkannt.
© Quelle: imago images/NurPhoto
Die Türkei deklariert jetzt Flugverbindungen zum türkisch besetzten Nordzypern als Inlandsflüge. Die rechtmäßige Republik Zypern sieht darin einen weiteren Schritt zur Annektierung des Inselnordens durch Ankara – und erwartet einen neuen Ansturm irregulärer Migrantinnen und Migranten aus der Türkei.
Zypern ist ein beliebtes Urlaubsziel im östlichen Mittelmeer. Aber die zyprische Destination Ercan (IATA-Code: ECN) sucht man auf den Abflugtafeln der europäischen Airports vergeblich. Denn der Flughafen liegt im Nordteil Zyperns, der seit der türkischen Invasion vom Sommer 1974 von Ankara kontrolliert wird. Auf der Insel leben zwei Volksgruppen, die griechischen Zyprer im Süden und die türkische Gemeinschaft im Norden. 1983 erklärte sich die Besatzungszone zur Türkischen Republik Nordzypern. Sie wird jedoch völkerrechtlich nur von der Türkei anerkannt. Direktflüge aus dem Ausland gibt es deshalb nach Ercan nicht. Der Flugverkehr läuft über die Türkei. Die ausländischen Urlauber, vor allem Britinnen und Briten sowie Deutsche, müssen dort zwischenlanden.
Flughafen als Drehscheibe für irreguläre Migrantinnen und Migranten
Bisher galten Flüge zwischen der Türkei und Nordzypern als Auslandsstrecken. Jetzt hat das türkische Verkehrsministerium alle Verbindungen nach Ercan als Inlandsflüge klassifiziert. Die Begründung: Dadurch werden die Flüge günstiger, weil geringere Gebühren anfallen. Fikri Ataoglu, Tourismusminister im Inselnorden, rechnet mit einer Verbilligung der Tickets um bis zu 500 Lia (27 Euro). Das könnte mehr Touristinnen und Touristen anlocken.
Der Präsident der international anerkannten Republik Zypern, Nikos Anastasiades, kündigte Beschwerden bei der UN und der EU an, der die Inselrepublik seit 2004 angehört. Die Einstufung von Ercan als türkischer Inlandsairport sei ein weiterer Schritt der Türkei zur Annektierung Nordzyperns, sagt man im Inselsüden.
Die griechischen Zyprer treibt aber neben völkerrechtlichen Einwänden auch eine ganz praktische Sorge um. Über Ercan kommen nicht nur Touristinnen und Touristen sowie Geschäftsreisende aus der Türkei nach Nordzypern. Der Flughafen ist in den vergangenen Jahren zu einer beliebten Drehscheibe für irreguläre Migrantinnen und Migranten geworden. Schleuser bringen die Migrantinnen und Migranten von Ercan zur Demarkationslinie, die seit der Teilung quer durch Zypern verläuft. Nur wenige Schritte durchs unbewachte Niemandsland, und man ist im EU-Staat Zypern.
Nach Angaben des zyprischen Innenministers Nicos Nouris beantragten in den ersten fünf Monaten 10.000 Migrantinnen und Migranten Asyl in Zypern. Das waren doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Aufnahmelager im Inselsüden sind überfüllt. Die meisten Asylbewerberinnen und -bewerber kommen aus Syrien, Nigeria und dem Kongo. 85 Prozent der Migrantinnen und Migranten reisen aus der Türkei über Ercan nach Zypern, sagt Innenminister Nouris.
Wenn jetzt die Tickets dank der Klassifizierung als Inlandsflüge billiger werden und weitere Kontrollen wegfallen, könnte der Strom weiter anschwellen. Die EU will im Juli mit der Türkei über die Entwicklung beraten. Aber auch die türkisch-zyprischen Behörden kommen unter Druck. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, besuchte am vergangenen Wochenende das Notaufnahmelager Pournara bei Nikosia und richtete eine Mahnung an den Inselnorden: „Wir werden es der türkisch-zyprischen Gemeinde nicht durchgehen lassen, sich bei dem, was vorgeht, als neutral zu betrachten.“
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