„Schlaglicht auf katastrophale Arbeitsbedingungen“: Truckerstreik erreicht Politik
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Streikende Lastwagenfahrer stehen auf der Raststätte Gräfenhausen. Am Karfreitag wollte der Besitzer der LKW mit einer Gruppe eines bezahlten Sicherheitsdienstes sich Zutritt zu den LKW verschaffen.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Berlin/Gräfenhausen. Seit mehr als zwei Wochen streiken gut 50 Lastwagenfahrer einer polnischen Spedition auf einer Raststätte bei Darmstadt. Die Männer aus Georgien und Usbekistan fordern ausstehende Löhne. Inzwischen hat sich auch die Bundespolitik eingeschaltet.
„Der Vorfall in Gräfenhausen wirft ein Schlaglicht darauf, welche katastrophalen Bedingungen in Teilen des Transportgewerbes herrschen. Meine Solidarität gilt den streikenden Lkw‑Fahrern“, sagt der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Udo Schiefner (SPD), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Leider beauftragen auch namhafte deutsche Unternehmen Speditionen zu Dumpingpreisen und verschließen die Augen davor, dass solche Angebote bei fairer Bezahlung und Einhaltung aller Regeln nicht möglich wären.“
Die Streikenden fahren als Selbstständige für eine polnische Unternehmensgruppe, die nach Gewerkschaftsangaben auch für deutsche Konzerne als Subunternehmer tätig ist. Einige georgische Fahrer hätten ihre Familien seit einem Jahr nicht mehr gesehen, da sie ständig in ihren Lastwagen unterwegs seien, berichtete das DGB‑Vorstandsmitglied Stefan Körzell bei einem Besuch auf der Raststätte Gräfenhausen.
Der Spediteur und seine Schläger wurden festgenommen
Am Freitag war der Speditionsunternehmer Lukasz Mazur kurzzeitig von der Polizei festgenommen worden: Er war mit Ersatzfahrern und martialisch auftretenden privaten Sicherheitsleuten auf der Raststätte erschienen und hatte versucht, die Zugmaschinen wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Die paramilitärisch auftretende Einheit hatte nicht nur ihr eigenes Fernsehteam, sondern vor allem auch ein gepanzertes Fahrzeug zur Einschüchterung mitgebracht. Die Polizei stellte sich vor die Streikenden und setzte Mazur und 18 Angreifer vorläufig fest. Ermittelt wird wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs, Bedrohung, Nötigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Störung einer Versammlung.
Unterstützt werden die Fahrer von der niederländischen Gewerkschaft FNV, von der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und dem DGB‑Netzwerk Faire Mobilität. Auf dessen Facebook-Profil wird einer der Fahrer zitiert: „Ich komme aus Abchasien, ich habe den Krieg erlebt und viele russische Panzer gesehen, dabei sind viele Menschen gestorben. Das war schrecklich. Aber so ein oller Panzerwagen kann mich nicht mehr beeindrucken.“ Ein anderer sagt: „Eigentlich müssen wir Lukasz Mazur dankbar sein. Besser hätten wir der Öffentlichkeit nicht zeigen können, was für Banditen das sind.“
Nach Gewerkschaftsangaben fahren die Lkw des polnischen Spediteurs unter anderem auch für DHL. Die Fahrer haben einen offenen Brief an den Bonner Konzern verfasst und um Hilfe gebeten. Ein DHL‑Sprecher konnte gegenüber dem RND weder den Eingang eines Brief bestätigen noch eine Geschäftsbeziehung zu Mazurs Spedition.
Verkehrspolitiker fordern: Mehr Kontrollen und Tariftreue bei der Auftragsvergabe
SPD-Verkehrspolitiker Schiefner kündigte gegenüber dem RND einen Antrag der Koalitionsfraktionen im Bundestag an, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, wettbewerbsverzerrende und unfaire Arbeitsbedingungen stärker zu bekämpfen.
„Das Mindestlohngesetz muss für inländische und gebietsfremde Unternehmerinnen und Unternehmer noch wirksamer kontrolliert werden“, forderte er. „Die Überwachungsbehörden müssen gestärkt und mehr Personal für Kontrollen bereitgestellt werden, die Auswertungen digitaler Kontrollgeräte noch effektiver genutzt und ausgeweitet werden und die relevanten Bußgelder empfindlich angehoben werden, um den wirtschaftlichen Vorteil tatsächlich erkennbar zu übersteigen.“
Zudem müssten der Bund und bundeseigene Unternehmen „mit gutem Beispiel vorangehen und für Transportleistungen nur Unternehmen beauftragen, die Tariftreue nachweisen“.
„Endlich schaut Deutschland mal hin“
„Was hier in Gräfenhausen passiert, das kann überall passieren – und oftmals sehen wir es nicht“, sagte der rheinland-pfälzische Arbeitsminister Alexander Schweitzer (SPD) bei einem Besuch am Sonntag. Eine Sache sei gut an dem Streik: „Endlich schaut Deutschland mal hin und sieht, was passiert auf deutschen Straßen.“ Er wolle den Streik zum Anlass nehmen, um Arbeitsbedingungen im internationalen Güterverkehr in der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
„Die Zustände für viele Fahrer, besonders aus Osteuropa, sind menschenverachtend, kritisiert der CDU‑Europaabgeordnete Dennis Radtke gegenüber dem RND. „Zustände, wie wir sie gerade in Gräfenhausen erleben, waren einer der wichtigsten Gründe, warum die EU das Mobilitätspaket auf den Weg gebracht hat.“ Auch Fahrer aus Nicht‑EU‑Ländern fielen unter die europäischen Schutzvorschriften, wenn sie für ein Unternehmen aus einem EU‑Land tätig sind. „Wir brauchen eine Debatte, wie die Europäische Arbeitsmarktbehörde als zuständige EU‑Agentur künftig engmaschige Kontrollen besser koordiniert, um solchen Unternehmern das Handwerk zu legen“, fordert Radtke. „Darüber hinaus stellt sich die Frage, wo die deutschen Behörden bei solch offenkundigen Fällen von Scheinselbstständigkeit sind. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesverkehrsminister Volker Wissing sind jetzt am Zug, damit europäisches Recht in Deutschland konsequent umgesetzt wird.“