Schlusswort im Prozess

Terrorverdächtiger streitet Verbindung zu Anschlag von Nizza ab: „Ich bin kein Terrorist“

Anwälte betreten den Sondergerichtssaal des Prozesses um die Anschläge von Nizza.

Anwälte betreten den Sondergerichtssaal des Prozesses um die Anschläge von Nizza.

Paris. Ein Sommerabend im südfranzösischen Nizza. Die Uferpromenade ist voll mit Familien, Freundesgruppen und Touristen, die hier das spektakuläre Feuerwerk zum Nationalfeiertag bestaunt haben. Dann rast ein tonnenschwerer Lastwagen in die Menschenmenge, fährt Zickzacklinien, reißt 86 Menschen in den Tod und verletzt mehr als 200 weitere. Erst nach etwa zwei Kilometern kommt das Fahrzeug zum Stehen. Der Attentäter schießt, die Polizei tötet ihn.

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Fast sechseinhalb Jahre nach dem wohl islamistisch motivierten Terroranschlag am 14. Juli 2016 geht der Prozess gegen acht mutmaßliche Unterstützer des Attentäters zu Ende. Am Montag ergriffen die Angeklagten ein letztes Mal das Wort vor dem Spezialgericht in Paris.

Betroffene kommen im Prozess zu Wort

Der Anschlag, bei dem auch zwei Schülerinnen und eine Lehrerin aus Berlin starben, hatte in dem bereits vom Terror schwer geschüttelten Frankreich tiefe Wunden hinterlassen. Das brutale Vorgehen des Tunesiers Mohamed Lahouaiej Bouhlel schockierte ebenso wie die große Zahl der Kinder unter den Toten und Verletzten. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte die Tat für sich - aus reinem Opportunismus, wie die Staatsanwaltschaft nun sagte.

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Der seit September laufende Prozess fand in der Öffentlichkeit eher wenig Beachtung. Für die mehr als 2000 Nebenklägerinnen und Nebenkläger war das Verfahren dennoch eine Chance, gehört zu werden. „Es ist sechs Jahre her und es fällt mir sehr schwer, weiterzumachen“, sagte etwa die 20-jährige Audrey Borla, die ihre Zwillingsschwester Laura bei dem Anschlag verlor. „Das war die Liebe meines Lebens, mein halbes Leben lang.“ Die Nebenklägerin erzählte etwa von Schlafprobleme und Suizidgedanken, die sie zwischenzeitlich quälten.

Polizisten stehen in Nizza um den Lastwagen, mit dem der Attentäter beim Anschlag am Nationalfeiertag in eine Menschenmenge an der Strandpromenade gerast war.

Polizisten stehen in Nizza um den Lastwagen, mit dem der Attentäter beim Anschlag am Nationalfeiertag in eine Menschenmenge an der Strandpromenade gerast war.

Mutter von getöteter Berliner Schülerin: „Das ist nicht fair“

Die Familie befand sich beim Anschlag auf der Promenade, Laura ging verloren. „Ich konnte nicht atmen, ich hatte das Gefühl, ihren letzten Atemzug zu spüren. Dieser Schmerz, das war, als hätte man mir das Herz ausgeblutet.“ Heute arbeitet Borla als Friseurin, dem Traumberuf ihrer Schwester. „Es ist für sie, dass ich lebe, auch wenn es Momente gab, an denen ich alles beenden wollte.“

Unter den Nebenklägern ist auch die Mutter einer der Berliner Schülerinnen, die auf Oberstufenfahrt in der Hafenstadt war und bei dem Anschlag aus dem Leben gerissen wurde. „Für mich war sie ein kleines Mädchen, das gerade 18 geworden ist und das von der Welt noch viel sehen wollte, das ist nicht fair“, klagte die Mutter unter Tränen vor Gericht. „Ich möchte, dass die Leute, die dabei waren, die mitgemacht haben, nicht mehr rauskommen. Ihr seid grausam.“ Heute warte die Frau einfach auf ein Urteil, sagte ihre Anwältin Alexandra de Brossin de Méré der Deutschen Presse-Agentur. Im Prozess zu sprechen, habe ihrer Mandantin sehr gut getan.

Staatsanwaltschaft fordert 15 Jahre Haft für drei Männer

Wegen Komplizenschaft ist keiner der acht Angeklagten vor Gericht. Drei Männer müssen sich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten, fünf wegen Verstößen gegen das Waffenrecht. Die Staatsanwaltschaft stellte klar, keiner von ihnen könne verurteilt werden, als sei er der Attentäter.

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Die Anklage forderte in ihrem Schlussplädoyer nun lediglich für zwei der Männer, enge Bekannte des Attentäters, eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Sie hätten von seiner Gesinnung gewusst und dass er in der Lage gewesen sei, einen Anschlag zu begehen. Einer der beiden stritt im Schlusswort jegliche Verbindung zum Anschlag ab. „Ich bin kein Terrorist“, sagte er. Der andere schwieg. Die beiden sollen 15 Jahre hinter Gitter, so die Forderung der Staatsanwaltschaft.

Auch der Mann, der dem Täter die beim Anschlag benutzte Pistole besorgte, soll 15 Jahre in Haft - aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat er das schwerste Verbrechen begangen, um das es in dem Prozess geht. In seinem Schlusswort sagte der Mann, er habe nicht nachgedacht. Für die fünf weiteren Angeklagten, die auch in die Beschaffung einer Waffe verwickelt waren, verlangte die Anklage zwischen zwei und zehn Jahren Haft sowie teils Landesverbote. Sie entschuldigten sich in ihren Schlussworten größtenteils für ihre Vergehen.

Auch wenn der erschossene Attentäter selbst nicht vor Gericht ist, befasste sich der Prozess eingehend mit seinen Anschlagsplänen und seiner Gesinnung. Der Attentäter habe auf eine möglichst hohe Zahl von Opfern abgezielt und sein Vorgehen sei extrem gewaltsam gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Sein Ziel sei es gewesen, einen Terroranschlag zu begehen, und diesem wollte der von islamistischem Terror faszinierte, radikalisierte Mann eindeutig eine dschihadistische Dimension verleihen. Zum IS habe es allerdings keine direkte Verbindung gegeben.

Urteil am Dienstag erwartet

Am Dienstagnachmittag soll es in Paris ein Urteil gegen die mutmaßlichen Gleichgesinnten und Handlanger des Attentäters geben - ein wichtiger Schritt für die Angehörigen. Gut getan hat vielen von ihnen vermutlich bereits, dass die Staatsanwaltschaft behördliche Fehler eingeräumt und sich für diese entschuldigt hat. Doch eine Frage dürfte die Angehörigen auch nach Dienstag noch umtreiben: Reichten die Sicherheitsvorkehrungen in Nizza aus? Untersuchungen dazu laufen in der Hafenstadt noch. Zahlreiche Angehörige und Opfer hoffen auf einen weiteren Prozess.

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RND/dpa

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